Kapitel 25 - Längst überfällige Gespräche

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Kapitel 25 - Längst überfällige Gespräche

– Paul –

La Push, November 2009

Noch nie hatte ich mich in dieser Position befunden.
Damals hatte mir Sam erklärt, was es mit meinen plötzlichen Veränderungen auf sich hatte und hatte versucht, mir nahezulegen, was mein neues Dasein zu bedeuten hatte – und plötzlich waren die Rollen vertauscht und ich hatte die seine eingenommen, als ich versuchte, Julie schonend beizubringen, was in ihrer Heimat vor sich ging.

Es war unser erstes ernstzunehmende Gespräch – meine erste reelle Chance.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich konnte es deutlich hören. Julie so vor mir sitzen zu sehen, das Bein angewinkelt und auf den Baumstamm gestützt, den Kopf wiederum auf ihrem Knie abgelegt, war mehr als ich mir am Anfang dieses Tages jemals hätte erhoffen können.
Egal, wie müde sie mich in diesem Moment ansah - ich war hellwach.

Ich konnte mir kaum vorstellen, was in ihr vorging und was dieser heutige Tag mit ihr gemacht hatte.
Gott weiß, hätte ich mir einen anderen Weg gewünscht, sie in die Stammesgeheimnisse einzuweihen.
Andererseits wurde mir damit nun ein Weg geebnet, den ich zuvor unmöglich hätte beschreiten können – hin zu dem Ziel, von dem ich bereits gefürchtet hatte, es niemals erreichen zu können.
Und dieses Ziel war Julie.

Es war kaum zu glauben, dass sie mich tatsächlich ohne all die Verachtung, die sie mir bisher entgegengebracht hatte, ansah und mir ruhig gegenübersaß.
Zwar strahlte sie völlige Resignation aus und nickte hin und wieder bloß leicht, ganz egal, wie absurd all das, was ich sagte für sie auch klingen mochte, doch ihr Blick war sanft und versöhnlich.

Ich hatte ihr noch einmal von den alten Mythen erzählt, von den jüngsten Ereignissen mit den Vampiren in Forks, von meiner ersten Verwandlung und davon, wie bald darauf Jacob gefolgt war. Ich versuchte ihr verständlich zu machen, wie schwer es jedem gefallen war, sich von seinen Freunden abzuwenden, gleichzeitig aber den unweigerlichen Drang verspürte, sich in den Reihen des Rudels aufzuhalten.

„Es ist verrückt. Ich war so fest entschlossen, sie auf ewig zu hassen und plötzlich sind sie meine Familie", erklärte ich mit neutraler Stimme, obwohl sich mein Herz in diesem Moment unangenehm zusammenzog.
In mir waren in letzter Zeit so viele fremde und dennoch unheimlich starke Emotionen aufgekommen und warteten darauf, gelebt zu werden, dass ich selbst nicht mehr einordnen konnte, wie ich mich fühlte.

Der sicherste Weg war immer noch, sie sicher verschlossen in mir zu behalten. Das hatte ich in den letzten zwölf Jahren meines Lebens gelernt.
Emotionen zu zeigen, machte die eigene Lage weder besser, noch fühlte es sich sonderlich gut an.
Was würde es ändern, hätte ich jedes Mal darüber geklagt, wenn Dad wieder einmal betrunken nach Hause gekommen war? Oder wenn ich gezeigt hätte, wie sehr es mich überforderte, dass er die Verantwortung damit oftmals abgegeben hatte und ich damit weder Vater, noch Mutter als schützende Hand über mir wusste?

Das Einzige, das sich geändert hätte, wäre die Wahrnehmung der Anderen gewesen.
Ich hätte Schwäche gezeigt, hätte ihren Respekt verloren und mich verletzlich gemacht – und das waren keine Optionen gewesen, zumindest nicht bislang.
Doch jetzt, als ich hier saß und liebevoll jede von Julie Bewegungen beobachtete, schienen mir diese Optionen plötzlich gar nicht mehr so schrecklich weit hergeholt.

Gerne hätte ich Julie hier und jetzt reinen Wein eingeschenkt und ihr gesagt, was in mir vorging.
Wie verdammt aufwühlend die letzten Monate für mich gewesen waren und wie sehr mich mein Schicksal immer noch an meine Grenzen brachte – und vielleicht sogar, dass mein Herz beinahe zersprang, so sehr schlug es für sie.

Lahote || Twilight / WerwolfWhere stories live. Discover now