Kapitel 09 - Alte Legenden

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Kapitel 09 – Alte Legenden

– Julie –

La Push, September 2009

Die Begegnung mit Paul steckte mir immer noch in den Knochen, doch ich war inzwischen bestens darin trainiert, diesen Kerl aus meinem Kopf zu verdrängen.
Zugegeben – immer wieder drifteten meine Gedanken ab und ich sah wieder seine starrenden Augen vor mir, doch konsequent besann ich mich immer wieder auf das Wesentliche.
Er hatte es nicht verdient, er konnte und durfte nicht länger in meinem Kopf herumschwirren.

Das ganze letzte Jahr hatte ich an mir gearbeitet, da konnte mich ein einziger Blick doch nicht so zurückwerfen.
Bevor ich mich wieder darin verlieren konnte, irgendetwas in die gestrige Situation hineinzuinterpretieren, rief mich bereits mein Dad zur Haustüre.
„Julie, Lou ist da!"

Begeistert schwang ich mich vom Sofa und rannte, vorbei an meinem Dad, zur Tür, wo mich meine beste Freundin bereits strahlend erwartete.
„Na, bereit Jacobs neuer Flamme auf den Zahn zu fühlen?", grinste sie mir entgegen und machte eine einladende Geste nach draußen.

„Aber klar doch! Ich hoffe sehr, du kannst deine Eifersucht in Zaum halten", lachte ich ebenso und trat zur ihr ins Freie.
Vor Jahren hatten sich Jacob und Lou ein paar Mal getroffen und hatten getestet, ob aus ihnen mehr werden könnte, doch sie waren sich schnell einig gewesen, dass sie es besser bei ihrer Freundschaft belassen sollten.
Das bedeutete aber längst nicht, dass ich jemals müde werden würde, mich darüber zu amüsieren.

Gespielt böse sah Lou mich an.
„Ich denke, das sollte ich hinbekommen", musste sie schließlich doch schmunzeln, als wir zielsicher den Weg zu Jakes Werkstatt einschlugen.

Lou erzählte mir vom üblichen Chaos in dem kleinen und einzigem Hotel La Pushs, das ihrer Mutter führte und wie sehr ihr die alten, nörgelnden Gäste auf die Nerven gingen. Sie half dort jeden Tag aus, immerhin sollte sie eines Tages den Betrieb übernehmen.
„Ich meine.. Sie sind doch hier, um sich zu erholen! Die sollen rausgehen und die Natur genießen, dann ist es auch egal, ob der Fernseher funktioniert oder nicht!", machte sie eben noch ihrem Ärger Luft, als sie mich prüfend ansah.
„Alles in Ordnung mit dir? Hörst du mir überhaupt zu?"

Unwohl biss ich mir auf die Unterlippe. Verdammt, ich musste wirklich lernen, meinen Gesichtsausdruck unter Kontrolle zu behalten.
Immer wieder hatte ich den Faden verloren und hatte stattdessen an die gestrige Situation mit Paul gedacht, was mir offensichtlich auch ins Gesicht geschrieben stand.
Doch es war nicht nur sein Blick, der mich beschäftigte, sondern viel mehr, was sich allgemein getan hatte – diese ganze neue Gruppierung um Sam, der nun auch Paul angehörte.

„Klar, alles in –"
„Lüg nicht, Julie", ermahnte mich Lou und schüttelte tadelnd den Kopf. „Was ist los?"
Sie kannte mich wirklich zu gut und ich wollte ihr auch gar nichts vorenthalten, aber Paul war für sie ein rotes Tuch. Sie hatte die Jahre mit ihm und damit auch meinen Niedergang hautnah miterlebt.
Zudem hatte ich Angst, dass sich dieses Thema nur noch mehr in meinem Kopf manifestierte, wenn ich es nun auch noch laut aussprechen und mit Julie darüber reden würde.
Dennoch wollte ich ehrlich zu ihr sein.

Seufzend nahm ich also meinen Mut zusammen und brachte es in einem Atemzug über die Lippen.
„Ich bin gestern Paul begegnet."
Sofort legte Lou die Bremse ein, blieb wie angewurzelt stehen und sah mich durch ernste Augen an.
„Julie Hanson", brummte sie nur wenig begeistert. „Es war ja vorherzusehen, dass du Lahote hier irgendwann mal über den Weg laufen würdest, aber du willst mir doch jetzt wohl nicht erzählen, dass sich dein Gehirn direkt wieder ausgeschalten hat!"

„Beruhige dich!", versuchte ich meine aufgebrachte Freundin zu beschwichtigen.
Es war traurig genug, dass sie mir so einfach zutraute, dass ich wieder schwach werden könnte.
„Ich hab noch nicht einmal mit ihm gesprochen, er ist nur ganz kurz an mir vorbeigelaufen. Aber es war einfach seltsam, ihn wiederzusehen."

Lahote || Twilight / WerwolfWhere stories live. Discover now