Kapitel 2

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Sie zwang sich zu einem Lächeln. Es war kein echtes, aber wer konnte in dieser Situation schon lächeln. Sie hatte dunkle Augenringe und sah ziemlich fertig aus. Auch das konnte ich ihr nicht verübeln. Was sie gerade durchmachte, wünschte ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind.

"Komm doch rein." Sie öffnete die Tür ein Stückchen weiter, so dass ich eintreten konnte. Sie winkte meiner Mutter zu, um ihr zu zeigen, dass sie auch hereinkommen sollte. Doch diese winkte nur mit der Hand ab und gab ihr damit zu verstehen, dass sie draußen wartete. Sie schloss dir Tür und bat mich ins Wohnzimmer.

Ich sah mich im Haus um. Es hatte sich nichts verändert und trotzdem wirkte alles so anders. Das einst farbenfrohe Haus, das sich durch das Lachen eines Kindes wie ein warmes Zuhause angefühlt hatte, wirkte jetzt nur noch wie ein kalter dunkler Raum. Die Vorhänge waren zugezogen und die Rollläden an manchen Fenstern ganz heruntergelassen. Dieses Haus fühlte sich nicht mehr wie ein Familienhaus an, es sah aus wie verlassen.

Ich folgte ihr ins Wohnzimmer. Der Fernseher lief und ihr Telefon lag auf dem Esstisch. Bestimmt hoffte sie auf Nachrichten oder einen Anruf der Polizei, der ihr sagen würde, dass es Lucy gut ging und sie sie nach Hause bringen würden. Doch bisher blieb es still. Erst vor zwanzig Minuten hatte ich die Nachrichten gesehen und so schnell konnte sich die Situation wohl kaum verändert haben.

"Möchtest du etwas trinken?" Auch jetzt versuchte sie zu lächeln, scheiterte aber vergeblich. Außer einem leichten Zucken ihrer Mundwinkel war nichts zu erkennen, was einem Lächeln ähnelte. Ich lächelte und schüttelte den Kopf. "Nein danke."

Sie schaute auf das Telefon, als könnte sie etwas verpasst haben, als sie mich hineingelassen hatte.

Erst jetzt viel mir auf, dass ich immer noch die Dose mit den Keksen in meiner Hand hielt. "Hier, die habe ich gestern gebacken, ich hoffe sie schmecken." Ich streckte ihr die Dose hin, die sie wieder mit einem Zucken der Mundwinkel annahm. "Danke."

"Wie geht es Maik?"

Maik war der Mann von Lisa und somit auch der Vater von Lucy. Ihr Gesicht veränderte sich schlagartig zu einem sehr traurigen und verletzten Ausdruck.

"Er wohnt hier nicht mehr." Wie bitte, hatte ich etwas verpasst?

"Aber wieso?" War das einzige was meinen Mund verließ, auch wenn ich im nächsten Moment merkte, was ich gerade für eine dumme Frage gestellt hatte.

"Er hat einen Brief hinterlassen, indem er schreibt, dass er all das nicht mehr kann. Vor allem nicht, nachdem Lucy verschwunden ist."

Eine Träne verließ ihre Augen.

Feigling! Seine Frau alleine damit zu lassen, obwohl sie sich genau in solchen Momenten gegenseitig unterstützen sollten und er verschwindet einfach. Ich kann verstehen; dass es auch schwer für ihn sein musste, aber einfach zu verschwinden, war keine Lösung.

Ich hatte ihn immer gemocht, auch wenn er in manchen Momenten ziemlich seltsam gewesen war. Eine Wut, die ich damals verspürt hatte, als ich verstand warum mein Vater sich damals von uns abwandte, kam in mir hoch. Lisa zu liebe, ließ ich mir diese aber nicht anmerken und schon gar keine Kontrolle über mich gewinnen.

"Das tut mir leid." Mehr konnte ich nicht sagen. Ich konnte ihr nicht sagen, dass alles wieder gut werden würde, denn das konnte ich nicht wissen. Niemand konnte wissen, ob sie Lucy jemals wieder zu Gesicht bekommen würde, oder in die Arme schließen konnte.

Egal wie sehr ich es mir wünschte, ich konnte es nicht beeinflussen. Jedenfalls nicht, wenn ich sie nicht selbst fand und befreite. Doch wo sollte ich schon suchen? Am Ende würde er mich auch schnappen und ich säße gemeinsam mit ihr fest. Aber jetzt wo ich Lisas trauriges Gesicht sah, hätte ich sogar das in Kauf genommen.

Sie setzte sich auf das Sofa. Sie hatte immer noch ihren Pyjama an und wahrscheinlich seit gestern nicht mehr ausgezogen. Der Ton des Fernsehers war kaum zu hören und dennoch verstand ich alles was der Mann sagte. Die Nachrichten wiederholten sich erneut.

"Seit gestern ist nun auch die acht Jährige Lucy Hayls verschwunden."

Dieser Satz hallte in meinem Kopf nach und ich bekam Kopfschmerzen von all dem, was gerade los war. Alle sprachen, aber niemand konnte helfen.

Niemand konnte die Kinder zurückbringen. Keine Hinweise.

Das Telefon klingelte und Lisa sprang auf. Zitternd griff sie nach dem Telefon und verschwand in dem nächsten Raum, der eigentlich als Arbeitszimmer ihres Mannes diente.

Die Tür stand offen und ich trat näher heran. Ich wusste, dass ich sie eigentlich nicht belauschen sollte, aber ich hatte das Gefühl, dass es die Polizei war, mit der sie sprach.

Sie legte auf, bevor ich etwas verstehen konnte und trat in einen anderen Raum, welches ihr Schlafzimmer war, ein. Ich starrte auf die Tür und wartete darauf, dass sie herauskam.

Ich musste nicht lange warten. Sie kam heraus, angezogen und frisch gemacht. Es ließ sie ein wenig besser aussehen, aber dennoch sah sie nicht wirklich gesund aus.

An ihrem Gesicht konnte ich erkennen, dass die Polizei ihr nichts Neues erzählt hatte.

"Ich muss los, zum Polizeirevier. Sie wollen noch ein paar Dinge wissen. Danke, dass du da warst."

Gemeinsam verließen wir das Haus. Meine Mutter stand immer noch draußen und lächelte Lisa leicht zu, als sie auf sie zu lief.

"Ich muss zum Revier." Erklärte sie meiner Mutter.

"Soll ich dich begleiten?" Lisa schwieg. "Na komm." Meine Mutter führte sie zu unserem Haus. Ich trat schnell hinein und reichte meiner Mutter die Autoschlüssel. Dankend nickte sie mir zu und verschwand gemeinsam mit Lisa in ihrem Wagen.

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