Kapitel 12

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Wir verließen das Café und trennten uns auf halbem Weg. Die Hitze war in einen kühlen Sommerwind verlaufen, was mir deutlich guttat und viel besser gefiel. Ich atmete die frische Luft ein und lief den Weg, den ich so gut wie jeden Tag lief, entlang. Vor mir bauten sich die Häuser auf und die Innenstadt entfernte sich immer weiter von mir. Ich lebte in einem eher abgelegenen Teil der Stadt. Es hatte mir nie etwas ausgemacht, die Ruhe tat gut und ließ mich den ganzen Trubel vergessen.

Auch dieses Mal, führte mein Weg an der Graffiti Wand vorbei. Ein neues Kunstwerk war darauf abgebildet, welches ich schon von Weitem sehen konnte. Ich näherte mich der Wand. Ein junger Mann mit Mundschutz und mit der Kapuze tief ins Gesicht gezogen, holte Dosen aus seinem Rucksack. Ich wusste, wenn ich jetzt etwas sagte, würde er wegrennen. Besser war es nichts zu sagen und ihn schweigend zu beobachten. Ich schwieg vor mich hin, hielt Abstand und zog mein Handy aus der Hosentasche.

Der Junge schien sich sicher zu sein, bei dem was er tat. Immer wieder wechselte er die Farbe, bei ihm sah das Ganze so einfach aus und das war es eigentlich nicht. Ich erinnerte mich an die Schule zurück. In einer Kunststunde sollten wir ein Graffiti entwerfen und man konnte sich vorstellen, wie es bei mir aussah, denn ich war noch nie in etwas wie Kunst, begabt gewesen.

Ich kam aus der Ecke, um das Kunstwerk zu betrachten, denn jetzt war es mir egal ob er mich sah oder wegrannte, denn sein Bild war so gut wie fertig und bedeckte einen großen Teil der Wand. Erschrocken blickte ich das Bild an, das sich vor mir abbildete. Es war Lucy. Er hatte ein Bild von Lucy mit Graffiti Dosen an die Wand gesprüht. Doch es war nicht das, was mich beunruhigte, viel mehr die Nummer die neben dem Bild mit einer verschnörkelten Schrift gesprüht war. Elf. Lucy war Opfer Nummer elf gewesen. Hatte er sie entführt oder war er doch nur ein Sprayer der gerne die Fakten aufwies?

Auch er blickte leicht erschrocken zu mir, doch sein Blick wechselte sofort zu einem genervten Gesichtsausdruck.

"Was wollen denn immer diese kleinen dummen Mädchen hier."

Hatte er mich als dumm beleidigt? Ja, definitiv. Ich war zwar klein; aber nicht dumm. Er zupfte an seiner Jacke herum und schob seine Jacke zur Seite. Eine Pistole. Eine Pistole befand sich an dem Bund seiner Hose. Angst überkam mich, er war doch kein einfacher Graffiti Sprayer. Rennen. Mein Unterbewusstsein schrie, doch wie bei dem Zusammentreffen mit Elijah; schien mein Körper nicht das Gleiche zu verstehen oder tun zu wollen. Er zuckte seine Pistole und richtete sie auf mich. Er richtete sie auf mich! Jetzt war definitiv der richtige Moment zu rennen.

"Willst du irgendetwas sagen?" Sein spöttisches Grinsen, machte mich wütend, aber meine Angst war um einiges größer. "Willst du mich erschießen?"

Ich versuchte meine Stimme zu kontrollieren und sie fest klingen zu lassen, scheiterte aber mit einem nicht wirklich leichten Zittern in meiner Stimme.

"Was glaubst du? Warum halte ich dir sonst eine Waffe an den Kopf?" Warum verdammt, wollte er mich erschießen? Ich hatte ihn doch nur beim Graffiti sprühen gesehen. Oder er ist der Entführer von Lucy und du hast es gerade eben herausgefunden, weshalb er dir gleich eine Kugel in den Kopf jagt.

Da war sie wieder, meine innere Stimme, die mich freundlich darauf hinwies, was gleich geschehen würde.

"Das reicht jetzt Cole, leg die Waffe weg! Sie gehört zu mir!" Eine tiefe bedrohliche Stimme, die direkt hinter mir erklang, katapultierte mich zurück in die Realität. "Elijah Jackson. Dass du dich mal wieder blicken lässt." Elijah trat vor mich und beide schauten sich abschätzig an.

"Das könnte ich auch von dir behaupten." Elijahs Mund verließ ein bedrohliches Knurren, was auch mich hinter ihm zusammenzucken ließ. Doch der Fremde, der immer noch mit der Waffe auf mich, okay, jetzt auf Elijah zielte, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. "Ich wollte mich mal wiedersehen lassen, Bekannte treffen." Gab dieser Cole schulterzuckend von sich. Seine Antwort war überraschend normal, doch nichts schien mehr normal in dieser Stadt zu laufen.

"Gut, dann verschwinde jetzt!" Wieder die bedrohliche Stimme von Elijah ließ mich zusammenzucken. Ich musste mich echt zusammenreißen.

"Beruhige dich alter Freund, du machst deiner Kleinen noch Angst."

Seine Kleine, ich war nicht Elijahs Kleine, ich war niemands Kleine.

Elijah drehte sich zu mir um und blickte mir fest in die Augen, dann wandte er sich wieder von mir ab und schenkte dem Psychopathen vor uns wieder seine volle Aufmerksamkeit. Dieser packte schon längst seine Graffiti Dosen ein und zog sich den Rucksack auf die Schultern.

"Wir sehen uns Jackson." Er klopfte Elijah auf die Schulter und zwinkerte mir zu. "Sicher Cannet." Gab Elijah zurück und wollte auch gehen. Er wollte jetzt einfach so gehen?

"Warte!" Ich hätte mich in diesem Moment selbst ohrfeigen können. Er drehte sich um und blickte mich erneut und mindestens genau so intensiv an.

"Danke." Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen.

"Kein Problem, kleine Avery." Schon wieder, er hatte schon wieder meinen Namen ausgesprochen und mich klein genannt. Ja, ich war nicht besonders groß, aber konnte ich etwas dafür, dass er so ein Riese war? Nein.

Er wollte sich schon wieder in Bewegung setzen und ich wusste nicht warum ich ihn aufhalten wollte, aber ich tat es.

Tattooed Monster Where stories live. Discover now