Kapitel 20

8.6K 407 22
                                    

Ich rannte, ich glaubte noch nie so schnell gerannt zu sein. Der Entführer hatte ihm ein besseres Leben geschenkt, hatte ihm geholfen. Was meinte er damit? Wie konnte ihm eine Entführung helfen?

Ich sollte Lucy dort lassen? Niemals! Ich wusste noch nicht einmal wo sie sich aufhielt. Seine Worte hatten so echt geklungen, wie als meinte er das was er gesagt hatte, wirklich ernst. Aber wie sollte ich ihm glauben, dass Lucy es dort besser hatte?

Nachdem Jack Riders das Revier verlassen hatte, war ich zuerst nach Hause gegangen, war verwirrt auf dem Sofa gesessen und hatte einen schönen starken Kaffee getrunken, doch auch der widerliche Geschmack dieses Getränkes half mir nicht.

Und da kam mir der Gedanke Elijah zu treffen, ihn ein aller letztes Mal zur Rede zu stellen und endlich eine Lösung zu finden. Es war schon dunkel, die Lampen auf der Straße belichteten den Weg. Es wehte ein kühler Wind durch meine Haare, die ich mir nur Minuten zuvor zusammengebunden hatte.

Ich rannte an der mit Graffiti besprühten Wand vorbei, bis an das leicht schäbige und alte Haus. Dieses Mal zögerte ich kein einziges Mal. Ich trat mit schnellen Schritten und immer noch außer Atem an die Tür und öffnete sie. Kein Geräusch.

Die Tür ließ sich mit leisem Quietschen öffnen und vor mir lag ein fast leeres Haus, das bestimmt schon seit Jahren nicht mehr vermietet wurde.

"Elijah." Ich rief seinen Namen, doch ich bekam keine Antwort zurück. Ein weiteres Mal versuchte ich es nicht, er würde mir sowieso nicht antworten. Ich lief die Holztreppe hinauf und eine weitere führte auf das Dach.

Das Dach war wie eines, dass man aus den Filmen kannte. Wie in den Hotels in denen ich im Urlaub geschlafen hatte, nur viel kleiner. Es war quadratisch und für ein solch altes Haus noch in guter Verfassung. Dennoch hatte ich Angst, das alles unter mir zusammenbrechen. Doch dort, die Füße baumelnd und keinerlei Angst viele Meter hinab zu stürzen, saß er. Er trug wie immer einen Kapuzenpulli, doch dieses Mal verdeckte die Kapuze sein Gesicht nicht.

Ich wollte mich nicht anschleichen und der Grund dafür sein, dass er hinunterfiel und sich das Genick brach.

"Elijah." Etwas unsicher trat ich hervor. Sein Kopf schellte zur Seite und er blickte zu mir.

"Avery. Was für eine Überraschung!"

Er klopfte mit der Hand neben sich und zeigte mir somit, dass er wollte, dass ich mich neben ihn setzte. Ich blieb stehen, denn ich hatte Zweifel daran, dass er mich nicht herunterschubsen würde.

Sein Blick lag immer noch auf mir. Abwartend darauf, dass ich mich hinsetzte.

"Komm schon. Ich werde dich schon nicht runterschubsen. Eine Leiche wäre wohl das Letzte, was ich jetzt noch gebrauchen könnte."

Da hatte er wohl recht. Auch wenn ich keine Höhenangst hatte, wurde mir etwas mulmig, als ich mich neben ihn setzte und wie er meine Füße herunterbaumeln ließ. Für eine Sekunde schloss ich meine Augen und atmete die frische Luft ein. Von hier oben aus fühlte man sich frei.

Ich konnte Elijahs Blick auf mir spüren und als ich die Augen öffnete und ihm direkt ins Gesicht schaute, nahm er den Blick immer noch nicht von mir. Ein leichtes Kribbeln herrschte auf meinem ganzen Körper. Ich wusste nicht warum, aber seine Blicke ließen mich nicht so kalt, wie sie es eigentlich sollten.

"Also was führt dich her, kleine Avery?" Ein spöttisches Grinsen hatte sich auf seine Lippen gelegt und von der so entspannten Stimmung, war plötzlich nichts mehr vorhanden. "Ich habe mit Jack Riders geredet."

Er zog eine Augenbraue in die Höhe. "Echt." Es war keine Frage. "Und was hat er gesagt?"

"Das ist es ja. Er hat mir nicht besonders viel erzählen können und umstimmen konnte ich ihn auch nicht."

"Ihn umstimmen, warum wolltest du ihn umstimmen?" Nichts außer dies, schien ihn zu interessieren.

"Lucy ist meine Freundin. Ich habe auf sie aufgepasst, mit ihr gespielt und ganz plötzlich ist sie nicht mehr da. Ich möchte sie finden, ich will, dass sie ein normales Leben führen kann."

Ich konnte an seinem Blick nicht erkennen was er dachte. "Glaubst du, dass ich sie entführt habe?"

Diese direkte Frage warf mich für eine einen kurzen Moment aus der Bahn, aber ich fasste mich schnell wieder. "Ganz ehrlich. Ich weiß nicht mehr was ich denken soll. Ich hoffe, dass du es nicht warst, aber wissen kann ich es nicht." Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Ich hatte etwas komplett Anderes erwartet, dass er böse wurde oder mich doch noch herunterschubste, doch er lächelte einfach nur vor sich hin.

"Warum willst du nicht, dass ich es bin?" Ich wusste nicht, was ich ihm darauf antworten sollte, aber die Wahrheit schien mir am leichtesten. Auch wenn sie mir nicht leicht über die Lippen kam.

"Du bist gar nicht so übel, wie man dich im Fernsehen beschreibt."

"Du magst mich also, kleine Avery." Plötzlich war er meinem Gesicht so nah, wie es Jack vor ein paar Stunden gewesen war. Doch bei ihm war es mir gar nicht unangenehm. Sein warmer Atem beruhigte mich ein wenig und ich bekam eine Gänsehaut. Für einen kurzen Moment dachte ich, er wollte mich küssen, doch er wich zurück und fuhr sich durch die Haare.

"Ich finde dich auch gar nicht so übel, Avery." Mit diesen Worten stand er auf und lief Richtung Treppe.

"Bist du Morgen wieder hier?" Rief ich ihm hinter her. "Immer, wenn du mich brauchst." Er machte eine kurze Verbeugung und verschwand in dem Haus, indem ich vor ein paar Minuten noch herumgeirrt war.

Tattooed Monster Where stories live. Discover now