Kapitel 36

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Elijah zog seine Kappe tiefer ins Gesicht und duckte sich leicht herunter, um nicht erkannt zu werden. Ich jedoch wusste nicht, was ich tun sollte. Sie durfte ihn auf keinen Fall erkennen.

Ich öffnete die Autotür und stieg aus. Nur so konnte ich es verhindern. Sie schwankte, sie hatte getrunken. Wo war meine Mutter?

Lisa griff immer noch in ihrem Alkoholzustand und wütend nach meinem Arm.

"Ich weiß, dass du irgendetwas weißt! Sag mir wo meine Tochter ist!"

Sie spuckte mich förmlich an. Ihr Griff um mein Handgelenk wurde um einiges fester als das letzte Mal und ich zischte auf, als ich sah wie meine Hand rot anlief.

"Ich weiß nichts. Lass mich los Lisa. Ich rufe meine Mom an, dann reden wir gemeinsam, okay?" Sagte ich mit sanfter Stimme, doch sie ließ nicht locker. Meine Versuche sie zu beruhigen scheiterten.

"Du lügst!" Natürlich log ich, aber was sollte ich anderes tun? Ich würde nicht zulassen, dass Lucy wieder zurück zu ihr kam. Sie hatte sich nicht unter Kontrolle, sie brauchte Hilfe und es war Zeit meiner Mutter davon zu erzählen. Natürlich ohne den Teil mit Elijah.

"Wer sitzt dort im Auto?" Sie wurde immer aufgebrachter. Kurz erfasste mich die Panik, was sollte ich antworten? Ich griff zu der besten Lüge die mir in diesem Moment einfiel.

"Noah, ein Freund von mir." Log ich erneut.

Ihre Hand erhob sich und sie holte aus, sie wollte mich schlagen. Ich machte mich auf ein schmerzhaftes Ziehen an meiner Wange gefasst, doch plötzlich wurde ich mit einem festen Ruck nach hinten befördert. Elijah stand nun vor mir. Sein Kopf gesenkt, nahm er mich an der Hüfte hoch und trug mich halbherzig zum Auto. Er setzte sich hinein und brauste los. Ich konnte nur hoffen, Lisa hatte ihn nicht erkannt, was aber in ihrem Alkoholzustand, hoffentlich auch so war.

Ich war aufgebracht, aber es war nicht seine Schuld. Trotzdem musste ich es an irgendjemandem herauslassen.

"Bist du verrückt, sie hätte dich erkennen können?"

Er schlug mit einer solchen Wucht gegen das Lenkrad, das ich zusammenzuckte.

"Verdammt Avery! Sie wollte dir eine Ohrfeige verpassen!" Seine Stimme war laut und machte mir etwas Angst.

"Ich weiß. Aber ich hätte es verkraftet. Du müsstest ins Gefängnis und ich hätte nur eine Ohrfeige bekommen. Das ist noch nicht einmal halb so schlimm."

Er schüttelte den Kopf.

"Du verstehst das nicht."

"Was verstehe ich nicht Elijah?"

"Dass es mir egal ist, dass es mir wichtiger ist was mit dir passiert. Du hast nichts verbrochen, Avery. Ich schon. Dir muss nichts Schlimmes wegen mir widerfahren, auch wenn es nur halb so schlimm wäre, wie das, was auf mich wartet. Ich würde es mir nicht verzeihen."

Seine Stimme hörte sich so verzweifelt an und ich fühlte mich auf einmal furchtbar schlecht, ihm solche Dinge an den Kopf geworfen zu haben.

"Tut mir leid." Meine Stimme war nur ein Flüstern, aber ich wusste, er hatte es gehört.

"Wenn du mich an der Hintertür raus lässt, dann komme ich unbemerkt an Lisa vorbei." Mein Vorschlag war vielleicht nicht der Beste, aber ich wollte ihm nicht zur Last fallen, denn ich wusste, dass er noch einiges zu erledigen hatte.

"Nein. Dort gehst du jetzt erstmal nicht zurück."

"Ist schon okay. Mir passiert schon nichts." Ich versuchte ihn umzustimmen, doch er blieb bei seiner Meinung.

"Eigentlich müsste sie mit meiner Mom unterwegs sein." Ich verstand nicht, was aus ihrem Treffen geworden war.

"Kannst du bei meiner Mutter ihrer Arbeit vorbeifahren, dort ist sie bestimmt."

Er kämpfte mit sich.

"Ich weiß, dass du arbeiten musst, Elijah. Komm fahr mich dort hin." Endlich bekam ich ein Nicken und er wendete, um meiner Wegbeschreibung zu folgen.

Als ich in das große Gebäude eintrat, in dem meine Mutter arbeitete, kamen mir Menschen, die es ziemlich eilig hatten, entgegen. Es war ziemlich schwer gewesen, Elijah davon zu überzeugen, dass er fahren und seine Angelegenheiten regeln konnte. Er war ein ziemlicher Sturkopf, genauso wie ich, nur noch schlimmer.

Ich erkannte einen Arbeitskollegen meiner Mutter. James. Er war einmal bei uns Zuhause gewesen und hatte mit uns zu Abend gegessen. Ich war mir immer noch nicht sicher, ob zwischen ihm und meiner Mom nicht doch etwas lief. Ich würde mich für sie freuen, denn nach meinem Vater, war sie mit keinem anderen Mann mehr ausgegangen, aber vielleicht, würde ihr genau das, neben der vielen Arbeit, wirklich gut tun.

"Hey James, ist meine Mutter hier?"

Überrascht blickte er zu mir. "Avery, dich habe ich aber schon langen nicht mehr gesehen. Ja sie ist da, nachdem ihre Freundin abgesagt hat, ist sie gekommen noch ein paar Dinge zu holen. Sie müsste noch dort sein."

Das hatte auch meine Frage beantwortet, warum sie sich im Moment nicht mit Lisa traf. Aber warum hatte Lisa abgesagt und warum war sie schon wieder so aufgebracht?

"Danke."

"Ich hoffe wir sehen uns jetzt öfters."

Ja, das hoffte ich auch, immerhin musste ich ihn mit meiner Mom verkuppeln und er schien wirklich nett. Ein Volltreffer.

Ich winkte ihm zum Abschied zu und lief zum Schreibtisch meiner Mutter. Tatsächlich stand sie dort und sortierte ein paar Formulare.

"Avery. Was suchst du denn hier?"

Sie nahm ihre Mappe in die Hand, die schon so überfüllt war, dass das Gummi, welches alles zusammenhielt, zu zerspringen drohte und verließ gemeinsam mit mir das Gebäude.

"Ich war gerade in der Nähe und wollte dich besuchen kommen." Ich fühlte mich schlecht meine Mutter in der letzten Zeit so oft anlügen zu müssen. Aber ich konnte ihr die Wahrheit nicht sagen, zumindest nicht die Ganze.

"Echt? Warst du mit Noah unterwegs?"

"Ja. Er hat mich hier abgesetzt." Hoffentlich würde sie ihn nie darauf ansprechen.

"Aber eigentlich muss ich mit dir reden."

Es wurde langsam Zeit, sie über diese eine Sache zu informieren.

"Ach ja? Über was denn?"

"Über Lisa."

Tattooed Monster Where stories live. Discover now