Kapitel 28

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Am nächsten Tag beschloss ich kurzerhand Lisa zu besuchen. Nach dem Vorfall hatte ich mich nicht wirklich getraut mit ihr zu reden. Ich hatte ihr gelegentlich ein paar Male zugewinkt, wenn sie in ihrem Garten arbeitete. Ich konnte ihr ansehen, wie peinlich ihr der Besuch bei mir gewesen war, aber ich war ihr nicht böse. Ich hoffte dennoch, dass sie in Zukunft die Finger von den Drogen ließ. Was bestimmt nicht leicht werden würde.

Ich hatte sie natürlich nicht an die Polizei verraten. Aber dennoch war ich mir unsicher, ob es nicht doch das Richtige gewesen wäre. Vielleicht würde ihr eine Therapie oder andere Mittel besser helfen, als alleine über den Schmerz hinweg zu kommen.

Als ich an der Tür angekommen war klingelte ich.

Lisa öffnete mir. Ihre Haare hingen ihr zerzaust von dem Kopf ab und sie sah aus, als hatte sie sehr hart gearbeitet die letzten Stunden.

"Avery, komm doch rein."

Ich trat ein. Von der Ordnung meines letzten Besuches war nichts mehr zusehen. Das Sofa war vermüllt mit Packungen verschiedener Lebensmitteln und der Staubsauger lag mitten im Weg. Das Geschirr stand auf dem Tisch und von der Küche wollte ich gar nicht erst anfangen. Hier herrschte das totale Chaos.

Etwas entsetzt blickte ich sie an.

"Ich weiß, eine Katastrophe hier." Sie kratzte sich verlegen an den Haaren und versuchte mit ihren Händen grob aufzuräumen, was ihr nicht gelang.

"Ich wollte gerade saubermachen."

Ihr Blick fiel auf den Staubsauger und ich war erleichtert, dass sie diesen Dreck beseitigen wollte.

"Bei was kann ich dir helfen?"

Sie legte ihren Zeigefinger an das Kinn und blickte sich um.

"Ich denke bei einer ganzen Menge, Danke."

Ihr Lachen erfüllte den Raum und ich lachte mit. Es war schön, dass sie lachte. Ich hatte es schon lange nicht mehr gehört.

Während sie staubsaugte, räumte ich den Tisch ab und stellte das Geschirr anschließend in die Spülmaschine. Das Sofa war in wenigen Minuten von den Verpackungen befreit und die Tagesdecke darüber ausgebreitet.

Mir fiel etwas Blaues ins Auge, während ich nach der Fernbedienung suchte, um den Fernseher auszuschalten.

Ein blauer Umschlag lag auf dem Abstelltisch, er war nicht beschriftet, aber schon geöffnet.

Ich wusste, dass ich damit ihre Privatsphäre stören konnte, aber in dieser Zeit wusste ich mir nicht anders zu helfen.

"Avery?"

Lisas Stimme unterbrach meine Straftat. Sie kam zu mir und blickte auf den Umschlag. "Hast du ihn gelesen?" Ich schüttelte mit den Kopf und war erleichtert, dass sie nicht sauer zu sein schien.

"Es ist von dem Entführer von Lucy."

Sie setzte sich neben mich und sah auf einmal wieder ganz niedergeschlagen aus.

Eine Träne tropfte ihre Wange hinunter. Sie nahm den Brief und reichte ihn mir.

"Er kam vor einer Stunde mit der Post."

Ich öffnete ihn. "Ich muss ihn als Beweismittel bei der Polizei abgegeben, aber ich war noch nicht bereit dafür."

Familie Hayls,

wie Sie wissen, habe ich Ihre Tochter bei mir. Sie wissen hoffentlich auch, dass ich sie Ihnen nicht zurück bringen kann.

Sie wissen genau warum.

Die Polizei kann dies leider auch nicht ändern. Ich verlange kein Geld, keine andere Belohnung dafür, dass ich sie zurückbringe.

Lassen sie Lucy einfach dort wo sie gerade ist, es ist besser so.

Der Brief hatte mich wohl so sehr geschockt, dass ich mich nicht bewegen konnte. Der Brief sagte so Vieles und doch so Wenig und die Chance Lucy zu finden, sank mit jedem Mal mehr in die Tiefe.

Doch eine Sache viel mir besonders ins Auge, der Brief war mit der Hand geschrieben worden. Und dieses geschwungene E kam mir verdammt bekannt vor.

Es traf mich wie ein Schlag.

"Ich muss mir den mal kurz ausleihen."

Den Brief fest in der Hand, rannte ich über die Straße zu meinem Haus. Ich rannte die Treppe hinauf, wühlte in meiner Schublade und zog den Brief heraus.

Ich freue mich auf dich heute Abend und vergiss nicht, ich bestelle Pizza.

Es war wie ein Flashback.

Ich ließ beide Briefe fallen. Ich war so geschockt, so enttäuscht, so wütend. Er hatte mich hintergangen, mich belogen, die ganze Zeit über. Cole hatte recht gehabt. Ich war zu Naiv gewesen. Ich hatte auf das Gute in ihm vertraut. Mir kamen Coles Worte in den Sinn. Er hat mehr damit zu tun, als du denkst. Ich schlug mir gegen den Kopf. Naiv. So naiv.

Es war Elijahs geschwungenes E, Elijahs Schrift. Elijah hatte den Brief an Lisa geschrieben. Elijah war Lucys Entführer.

Tattooed Monster Where stories live. Discover now