Kapitel 42

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Ich saß still am Esstisch, an dem ich Platz genommen hatte, nachdem mich die Freundin meines Vaters darum gebeten hatte. Ein leckerer Duft erfüllte den Raum und mein Magen begann leise zu knurren. Sie lief schnell zum Backofen und zog eine große Auflaufform daraus. Sie plazierte es auf einem Untersetzer aus Holz . Das Besteck lag schon bereit.

Mein Vater nahm gegenüber von mir Platz. "Das richtig fantastisch, Schatz."
Zu meiner Mutter hatte er so etwas nie gesagt. Schon wieder fühlte ich mich unwohl. Ich kannte sie nicht und das Schlimmste war, ich kannte auch meinen eigenen Vater nicht. Ich wusste nicht mehr wer er war oder was in seinem Kopf vorging. Wenn ich das überhaupt jemals gewusst hatte.

"Deine Mutter hat nie so gut gekocht." Ich ballte meine Hand zu einer Faust und krallte die andere in die Lehne des Stuhles. Ich hielt mich zurück. Er jedoch konnte es nicht lassen. Jedes Mal in meiner Nähe sprach er nur schlecht von ihr, wie als wäre alles ihre Schuld gewesen.

"Also ich finde sie kocht sehr gut, immer noch." Diesen Kommentar konnte ich mir nicht verkneifen und sein Gesichtsausdruck darauf zeigte mir, dass es sich gelohnt hatte. Er räusperte sich und griff nach der Weinflasche.

"Willst du auch ein Glas?" Mir war klar, dass ich Wein schon trinken durfte, dennoch hätte es mir Mom wahrscheinlich verboten. Ob er überhaupt wusste, wie alt ich war. Darüber hatte ich nie nachgedacht, weil es mich nicht interessiert hatte. Doch genau in diesem Moment, am Tisch, fragte ich mich, was er wirklich noch über mich wusste. Innerlich hatte ich immer gehofft, dass er mich vermisste. Doch dies glaubte ich schon lange nicht mehr.

Er hätte sich melden können, doch er hatte es nicht getan. Er hatte mehrere Chancen bekommen, er hatte diese nicht genutzt.
"Nein." Er schenkte sich und seiner Freundin ein volles Glas ein, wenn sie nicht schon längst verheiratet waren.
Erst jetzt fiel mir auf, dass ich ihren Namen noch nicht kannte. Sie stellte den fertigen Salat auf den Tisch und nahm auf der gleichen Seite Platz, auf der auch mein Vater saß.

"Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Gina." Sie verzichtete auf eine Umarmung, viellecht auch, weil sie eine gewisse Abneigung verspürte.
Ich nickte ihr so höflich wie ich konnte zu.
Sie nahm einen Löffel hervor und schnitt mit einem Messer ein großes Stück des Auflaufes ab. Mein Vater streckte ihr seinen Teller entgegen, doch sie schlug ihm auf seine Finger, so wie es auch meine Mom immer getan hatte. Manche Dinge lernte er wohl nie. Beinahe wäre mir ein Kichern herausgerutscht, welches ich gerade noch verhindern konnte.

"Die Gäste zuerst."
Sie lud das große Stück auf meinen Teller und ich zweifelte keineswegs daran, dieses große Stück nicht zu schaffen.
"Wie läuft es in der Schule, Avery?" Ich pustete, um mir meine Zunge nicht zu verbrennen. Wenigstens hielt mein Vater nichts von einer unangenehmen Stille. 
"Ganz gut. Ich weiß aber noch nicht was ich danach machen möchte, falls du darauf hinaus willst."

"Wie wäre es mit einem College. Hier ganz in der Nähe gibt es eins und du könntest auch bei uns wohnen."
Er wollte doch tatsächlich, dass ich zu ihm zog und Mom alleine ließ. Er hat sich kein Stückchen verändert.
"Ich weiß nicht. Ich möchte lieber in einen anderen Staat. Abenteuer, neue Dinge erleben."
Ich konnte erkennen, dass meinem Vater diese Antwort nicht gerade gefiel. Seine Hand umklammerte die Gabel fester und sein Blick war stur geradeaus gerichtet.
"Das ist eine fabelhafte Idee, Avery." Mir gefiel diese Gina immer mehr.
"Nicht wahr, Phil?" Ermahnend blickte sie ihn an, woraufhin er sich ein Lächeln auf die Lippen zwang.
"Ja, das ist es." Diese Worte gingen nicht leicht über seine Lippen, er spuckte sie fast aus. Er hatte es noch nie leiden können, wenn Dinge nicht nach seinen Vorstellungen verliefen. 

Nach dem Essen brachte Gina mich auf mein Zimmer, welches eigentlich ein Gästezimmer war. Es war bequem eingerichtet und das reichte für die eine Nacht mehr als aus.
Ich legte mich auf das weiche Bett und schaute zum ersten Mal an diesem Tag auf mein Handy. Elijah hatte mir eine Nachricht geschickt, nachdem ich ihn gestern angeschrieben hatte.
'Wo bist du? Ich war vor deinem Haus und habe an deinem Fenster geklopft.'
Er war doch tatsächlich auf meinen Balkon geklettert.
Ein Schmunzeln umspielte meine Lippen. Er war verrückt.
'Ich bin bei meinem Vater, aber morgen bin ich wieder da.'

Ich legte es weg und beschloss Gina zu fragen, ob ich beim Abwasch helfen konnte. Als ich die Treppe hinunter lief, konnte ich die beiden diskutieren hören. Ich blieb an der Treppe stehen und hörte an, über was sie redeten.
"Sie ist ein tolles Mädchen, mache es dir nicht kaputt." Es war ein aufgebrachtes Flüstern welches Ginas Mund verließ.
"Sie ist so abhängig von ihrer Mutter. Das ist ja schon abartig. Und noch so frech zu sein mich abzuweisen, nachdem ich angeboten habe, sie bei uns wohnen zu lassen."

Abartig. Er war abartig.
"Du hast sie nun mal verlassen. Das braucht Zeit."
"Es ist mir egal, dass sie Zeit braucht. Was glaubst du den was meine Arbeitskollegen von mir denken. Sonst hätte ich sie doch nie hierher eingeladen."

Der Schock saß tief. Ich hatte recht gehabt. Es ging ihm nur um seinen Ruf. Aufgebracht lief ich die Treppe hinauf. Ich nahm meinen Rucksack. Wütend schmiss ich mein Handy hinein und lief die Treppe hinunter.
"Wo willst du hin, Avery?" Mein Vater kam auf mich zu.
"Es geht dir doch sowieso nur um deinen Ruf. Ich verschwinde. Wage es nicht Mom und mich noch einmal zu belästigen. Ich bin fertig mit dir." Die Tränen liefen meine Wange hinunter. Der Schmerz den ich schon vor sechs Jahren gespürt hatte, kam erneut ihn mir hoch und dabei hatte ich mir selbst geschworen, nie wieder wegen ihm eine Träne zu vergießen.
"Du bleibst hier." Er griff nach meinem Handgelenk und zog mich zurück. Ich zischte auf, als er noch fester zu packte.

"Hör auf damit, Phil. Das bringt doch nichts."
Gina kam mir zu Hilfe und zog in von mir fort.
"Wenn du jetzt aus dieser Tür gehst, werden deine Mutter und du sehen was ihr davon habt."
Im Wissen darüber, dass er meiner Mutter das Sorgerecht entziehen wollte, ging ich aus der Tür. Ich ließ ihn endlich hinter mir und das hoffentlich für immer.

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