Kapitel 25

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"Also, Elijah Jackson, wie alt bist du?"

Ich hatte mittlerweile mein erstes Stück Pizza verschlungen und wartete nun gespannt auf seine Antwort.

"Weißt du das nicht schon durch die Nachrichten?"

Ich zuckte mit den Schultern.

"Ich möchte es von dir hören und woher weiß ich, dass sie dort die Wahrheit erzählen."

"Deine Einstellung gefällt mir, kleine Avery."

Ich war nicht klein, nur, weil er so riesig war. Aber ich ließ diese Beschwerde außen vor.

"Ich bin zweiundzwanzig. Frisch und knackig."

Er zwinkerte mir zu und entlockte mir ein Lachen.

"Wie alt bist du?"

"Hast du das nicht schon längst nachgeforscht?" Entgegnete ich ihm.

"Ehrlich gesagt, nein. Ich habe keine Ahnung, außer dass mir bekannt ist, dass du noch zur Schule gehst."

Er biss in sein mittlerweile schon drittes Stück, während ich immer noch an meinem zweiten aß.

"Okay. Ich bin siebzehn. Also noch frischer und noch knackiger als du."

Ein tiefes Lachen verließ seine Kehle und wie auch die anderen Male zuvor, bekam ich eine Gänsehaut und ich hoffte, dass er dies nicht mitbekam.

"Niemand ist so frisch und knackig wie ich."

Sein Gesicht war meinem plötzlich unglaubliche nahe und seine tiefe Stimme nur noch ein Flüstern.

"Du bist also noch minderjährig.", sagte er eher zu sich, als zu mir.

"Ist das ein Problem?"

Ich wusste nicht woher ich das Selbstbewusstsein bekam, aber ich rückte noch ein Stückchen näher an ihn heran. Er blickte mir tief in die Augen und zuckte mit den Schultern.

"Sag du es mir."

Ich spürte seinen Atem an meinen Lippen. Ich entfernte mich wieder ein Stückchen von ihm, auch wenn es mir, zugegeben, nicht sehr leicht fiel.

"Wohnst du schon immer hier?" Er nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche und reichte mir ebenfalls eine, aus welcher ich auch sofort einen großen Schluck nahm.

"Nein. Nachdem mein Vater uns verlassen hatte, sind meiner Mom und ich hergezogen, in der Hoffnung auf ein kleines Haus und einen Neuanfang als Familie zu zweit."

"Hört sich gut an. Neuanfänge sind eine gute Sache. Meistens jedenfalls." Er wirkte auf einmal nachdenklich.

Doch er hatte recht, vor allem war dieser Neuanfang dringend nötig.

"Was ist mit dir? Wie lange wohnst du schon hier?"

"Schon mein ganzes Leben. Ich kenne fast jeden von hier. Nur seitdem ich ein paar Mal schlecht bei der Polizei aufgefallen bin, habe ich nicht mehr mit vielen Kontakt von hier."

Er wirkte nicht besonders traurig darüber. Aber ich konnte dennoch Enttäuschung in seinen Augen erkennen. Wahrscheinlich hatte niemand zu ihm gehalten. Doch es waren auch keine wahren Freunde gewesen, wenn sie ihm nicht glaubten.

"Was ist mit deinen Eltern?"

Ich wusste, dass diese Frage wahrscheinlich sehr persönlich war, aber wenn mich für etwas Interessierte schaute ich meist immer über solche Dinge hinweg, was ich aber nicht unbedingt als richtig empfand.

"Ich habe sie schon seit sechs Jahren nicht mehr gesehen, um ehrlich zu sein."

Er war auch darüber, nicht besonders niedergeschlagen. Seine Stimme klang verbittert, sie ähnelte meiner, wenn ich über meinen Vater sprach.

"Entschuldige, falls ich dir damit zu nahetrete, aber gibt es auch einen Grund dafür?"

"Schon okay. Sie waren nicht wirklich gute Eltern. Sie haben sich nicht wirklich für mich interessiert und mein Vater wollte nur, dass ich erfolgreich werde, aber das war nun mal nicht mein Plan. Das wollte er nicht verstehen."

"Und wie sieht dein Plan aus?"

Er lächelte mir zu.

"Vielleicht irgendwann, kleine Avery, zeige ich es dir und ich hoffe du wirst es verstehen."

Da ich nicht schwer von Begriff war, dachte ich sofort an die Kinder die verschwunden waren, auch wenn ich diesen Gedanken schnell wieder abschüttelte. Was sollte ich schon denken oder wissen, wenn ich ihn gerade erst richtig kennenlernte und ich musste sagen, dass mir dieser Elijah besser gefiel, als der, welchen ich vor der mit Graffiti besprühten Wand getroffen hatte.

"Ich würde es gerne sehen."

Sein Lächeln wurde breiter. "Gut. Aber nicht heute."

Etwas enttäuscht und mit meinem Gesicht zu einem Schmollmund verzogen schaute ich ihn an.

"Das ist unfair, wenn du mich so anschaust."

"Warum?"

"Weil es süß aussieht und ich nun mal auch nicht allem wiederstehen kann."

Er hatte mich süß genannt. Meine Wangen färbten sich rot. Jetzt verhielt ich mich schon wie eines dieser kleinen verliebten Mädchen aus der Grundschule. Ich sollte aufhören so viele Schnulzen mit meiner Mutter anzuschauen.

Als er seinen Arm anhob, um sich hinten abzustützen, erkannte ich einen tätowierten Buchstaben darauf. J.

"Wofür steht das J auf deinem Arm?"

Er blickte runter auf das Tattoo und hob den Kopf, um mir direkt in die Augen zu schauen.

"Das erzähle ich dir ein anderes Mal." Ich war etwas enttäuscht, dass er es mir nicht gleich verriet, aber man wollte auch nicht alles beim ersten Treffen von sich preisgeben und das konnte ich verstehen.

"Das heißt, du willst dich noch mal mit mir treffen?"

Um ehrlich zu sein, freute ich mich darüber wie ein kleines Kind.

"Wenn du auch willst?"

Er zog eine Augenbraue in die Höhe. "Ja, warum nicht. War heute doch gar nicht so übel mit dir."

"Freut mich."

Die Sonne war schon untergegangen und die pure Dunkelheit umhüllte uns. Wir beide saßen am Rande des Daches, wie das letzte Mal. Der Wind wurde kälter und ich fröstelte.

"Ist dir kalt?"

Sofort fühlte ich mich wie in einem dieser Klischees, das in so vielen Bücher genannt wurde. Das Mädchen friert und der Junge gibt ihr seine Jacke.

Doch dies war eher unwahrscheinlich, denn Elijah trug selbst keine Jacke.

"Ein wenig." Gab ich zu. "Ich denke, es ist Zeit dich nach Hause zu bringen."

Ich schüttelte meine Hand. Ich wollte noch nicht nach Hause und dies verwunderte mich. Ich fand den Abend mehr als angenehm und wollte nicht, dass er endete. Für einen Moment hatte ich wirklich all das mit meinem Vater und mit Lucy vergessen.

"Es ist nicht nötig, dass du mich nach Hause bringst."

"Ich bestehe aber darauf."

Er stand auf und streckte mir seine Hand entgegen, in die ich meine legte und er mich zu sich nach oben zog.

Als wir durch die dunkle Gegend liefen, schwiegen wir beide. Niemand traute sich etwas zu sagen, denn niemand wollte diesen Moment zerstören. Jedenfalls ich nicht.

Wir liefen schweigend neben einander. Elijah hatte seine Hände lässig in die Hosentaschen geschoben und während ich leicht vor mich hin fror, konnte ich keine Anzeichen erkennen, dass auch ihm kalt war.

Vielleicht sollte ich mir Gedanken darübermachen, warum mir immer kalt wurde.

Er wusste genau wo er abbiegen musste, um an mein Haus zu gelangen, auch wenn er erst einmal dort gewesen war, jedenfalls war dies das einzige Mal gewesen, dass ich es mitbekommen hatte.

Tattooed Monster Where stories live. Discover now