Kapitel 5

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Ich zog meine Schublade aus dem Schränkchen, welches direkt neben meinem Bett stand, auf und legte den Brief hinein. Ich atmete tief durch und spürte, dass ich langsam wieder klar denken konnte. Ich erhob mich vom Bett und beschloss kurz darauf, wieder zu meiner Mutter herunter zu gehen.

Ich stieg die Treppen hinab. Meine Mutter telefonierte. Sie fuchtelte dabei wild mit den Armen herum, was mich erahnen ließ, dass sie sich mit der Person am Telefon stritt. "Nein, natürlich nicht." Ihre Stimme war in Diskutierlaune und wenn meine Mom erst einmal anfing zu diskutieren, sollte der andere lieber in Deckung gehen. Man konnte stundenlang versuchen sie umzustimmen, sie blieb am Ende doch bei ihrer Meinung.

Sie legte auf und schmiss das Telefon förmlich auf dem Tisch. Sie hielt sich am Stuhl fest und sah ganz plötzlich ziemlich erschöpft aus. Um dieses kleine Haus zu bezahlen, arbeitete sie viel und vor allem den ganzen Tag. Auch wusste ich, dass sie einen zweiten kleinen Job hatte. Sie selbst jedoch wusste nicht, dass ich davon wusste, dass sie manchmal in einem Club kellnerte.

"Ist alles okay?" Sie zuckte zusammen, da sie mich auch dieses Mal nicht bemerkt hatte. Sie drehte sich um und ein Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Es war kein echtes, es wirkte viel zu sehr aufgesetzt. Dennoch erwiderte ich dieses.

"Alles gut, mach dir keine Sorgen." Bevor sie das gesagt hatte, hatte ich mir nicht wirklich Sorgen gemacht, aber jetzt tat ich es umso mehr. "Sicher?" Ich wusste, ich konnte sie nicht dazu bringen, mir zu erzählen worum es bei dem Telefonat ging. Sie nickte nur und verschwand in die Küche.

Mein Wecker riss mich aus meinen Träumen und verursachte damit, dass ich schlechte Laune bekam. Montag. Schule. Schnell sprang ich auf und verschwand im Badezimmer, um zu duschen. Ich zog mich an, trug ein bisschen Schminke auf, um nicht wie eine Leiche auszusehen und ging dann runter um etwas zu frühstücken.

Ich gab meiner Mom, die schon am Herd stand, einen Kuss auf die Wange und setzte mich an den Tisch. "Guten Morgen."

"Guten Morgen, hast du gut geschlafen?" Ich nickte, bemerkte aber dann, dass sie mit dem Rücken zu mir stand und brachte schnell ein "Ja" heraus.

Schon fertig für die Arbeit, stand sie in ihrer Bluse und Rock vor dem Herd und bereitete mir etwas zu essen vor. Egal wie oft ich ihr schon gesagt hatte, dass sie nichts für mich machen musste, es half nichts.

Mein Handy vibrierte in meiner Hosentasche, schnell fischte ich es heraus. Harper. Meine beste Freundin, hatte mir bestätigt, dass wir heute gemeinsam zur Bushaltestelle liefen und sie in zehn Minuten vor der Haustür stehen würde. Verdammt. In zehn Minuten.

Wie von der Tarantel gestochen, sprang ich auf und rannte die Treppe hinauf, woraufhin ich nur noch ein amüsiertes Kopfschütteln meiner Mutter mitbekam. Schnell packte ich meinen Rucksack. Hatte ich alles? Hoffentlich.

Ich ging die Treppe dieses mal ein wenig langsamer herunter und griff nach einem Apfel. Heute hatte ich nicht lange Schule. Das musste reichen. Schnell zog ich meine Schuhe an, als es schon klingelte.

"Soll ich euch fahren?" Meine Mutter rief mir von der Küche aus zu.

"Alles gut Mom mach dir keine Sorgen, du musst doch auch gleich zur Arbeit. Ich schaffe das schon."

Im Moment hasste sie es, wenn ich mich draußen herumtrieb. Ich konnte sie verstehen, aber in völliger Angst wollte ich nicht leben. Ich öffnete die Tür und schon fiel mir eine überglückliche Harper in die Arme. "Ich habe ich dich so vermisst!" Ich musste lachen. "Wir haben uns doch nur zwei Tage nicht gesehen." Auch sie lachte. "Eben. Zwei Tage, das war nicht auszuhalten."

Ich schloss die Tür hinter mir und trat gemeinsam mit ihr raus, in die frische Sommerluft. Kurz schloss ich meine Augen und atmete die erfrischende Luft tief ein. Wie ich die leichte Sommerbriese doch liebte. Wir hatten Mitte Juni und das Wetter wurde immer besser.

Wir liefen schweigend nebeneinander her. "Wie geht es eigentlich, du weißt schon, den Hayls?" Ich sah ihr an, dass sie sich unsicher war, ob diese Frage angebracht war. Und das war sie. Sie konnte mich immer alles Fragen. Immerhin kannten wir uns schon seit vielen Jahren.

"Ich habe sie gestern besucht. Ich war mir am Anfang unsicher und natürlich geht es ihr nicht gut. Aber sie bleibt stark." Sie nickte. "Und wie geht es dir? Ich meine du hattest ja auch eine starke Verbindung zu Lucy Hayls." Ich wusste nicht ob ich es eine starke Verbindung nennen konnte. Aber ja, ich hatte sie gemocht, sehr sogar. In manchen Momenten, war sie für mich die kleine Schwester, welche ich nie hatte.

"Mir geht es gut." Ich lächelte ihr zu und wir liefen schweigend weiter. An der Bushaltestelle angekommen, stand der Bus schon da. Wir beeilten uns und standen Sekunden später in dem leicht überfüllten Bus. Okay, er war nicht nur leicht überfüllt.

Ich sah mich um, in der Hoffnung noch jemanden zu entdecken, den ich kannte. Mein Blick wanderte durch die Sitzplätze und blieb bei einer Person hängen. Es war eine männliche Person. Er trug einen Hoodie und hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Er war komplett schwarz gekleidet und ich wunderte mich, dass er nicht noch anderen Leuten aufgefallen zu sein schien.

Er schien zu bemerken, dass ich ihn beobachtete. Er hob seinen Kopf und mir bleib die Luft weg. Leuchtende graue Augen blickten mir entgegen. Es fühlte sich so an, als versuchte er, seinen Blick durch meine Haut zu brennen.

Der Bus legte eine Vollbremsung hin und ich nutze es als Gelegenheit mich von dem Blick des Unbekannten zu befreien.

Endlich hielt der Bus an meiner Schule und ich stieg eilig aus. Die ganze Zeit über hatte ich mich beobachtet gefühlt. Sicher bildete ich es mir nur ein. Plötzlich umgriff eine Hand meine Schulter und ich drehte mich geschockt um.

Tattooed Monster Where stories live. Discover now