Kapitel 31

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Ich lief schon seit Minuten in meinem Zimmer umher. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Sollte ich gehen oder doch nicht. Es machte mich irre. Ich war so unsicher. Eigentlich sollte ich nicht nachgeben, ihm nach all dem was er getan hatte, nicht mehr vertrauen.

Ich konnte nicht wissen, was dort auf mich zu kam. Aber der Gedanke daran, es nie heraus zu finden, machte mich noch wahnsinniger, als alles andere.

Kurzentschlossen griff ich nach meiner Jeansjacke und rannte die Treppe hinunter, indem ich ein paar der Stufen übersprang.

"Mom, ich bin nochmal kurz weg."

Ich bekam keine Antwort, wahrscheinlich hatte sie sich schlafen gelegt, nach ihrem anstrengenden Morgen in der Arbeit. Besser für mich, so musste sie nicht wissen, dass ich schon wieder wegging, ohne ihr zu sagen wohin.

Mit großen Schritten, dauerte es nicht lange, bis ich an meinem Zielort angekommen war. Dort saß er wie immer, doch heute schaute er sich besonders oft um. Er hielt Ausschau nach mir. Irgendwie süß. Nein, ich durfte jetzt nicht schwach werden, wenn er tatsächlich Lucy entführt hatte, konnte ich es vielleicht heute herausfinden und vielleicht eine Möglichkeit finden sie zu befreien. Das war alles was zählte.

Ohne das er mich bemerkte, stieg ich wie jedes Mal die Treppen hinauf, nur dieses Mal ohne zu wissen, was passieren würde.

Als er mich erblickte, schien er erleichtert.

"Avery. Ich kann es nicht glauben, dass du gekommen bist."

Ich auch nicht, ich auch nicht. Vor einer Stunde war ich mir noch sicher gewesen, auf keinen Fall zu diesem Haus zu gehen und jetzt stand ich hier.

"Ich schätze, ich muss dir Einiges erklären. Setz dich."

Ich setzte mich an meinen Stammplatz, nur ließ ich ein bisschen mehr Abstand zwischen uns als die letzten Male. Meine Beine baumelten an dem Rand des Daches.

"Ich weiß, ich kann das nicht mehr gut machen, aber lass es mich versuchen."

"Dann fang mal an."
Er atmete tief durch.

"Ich habe das noch niemandem vor dir erzählt."

Es schien ihm sichtlich schwer zu fallen, die Wahrheit auszusprechen.

"Als ich sechszehn war, sah ich zum ersten Mal wie die Mutter, meiner damaligen besten Freundin ausholte und ihr eine Ohrfeige gab, nur, weil sie vergessen hatte, den Tisch abzuräumen."

Natürlich war dies furchtbar und ich fühlte mit der Person mit, die so etwas erlebt hatte, dennoch verstand ich nicht ganz, worauf er hinauswollte und schon gar nicht, was dies mit den Entführungen zu tun hatte.

"Natürlich hatte ich sie verteidigt und wenig später bekam ihre Mutter Hilfe mit ihren Aggressionen. Wenig später sah ich einen kleinen Jungen in einem Park. Sein Arm blutete und sein Auge war blau. Auch ihn hatten seine Eltern geschlagen. Er erzählte mir, dass beide Drogen nahmen und sich meist nicht unter Kontrolle hatten.
Ich fand es so fruchtbar, dass ich versprach ihm zu helfen."

Er machte eine kurze Pause.

"Auch meine Eltern haben Drogen genommen, Avery und ich weiß wie es ist, wenn man sich nicht auf sie verlassen kann. Ich traf ihn mehrere Male im Park, immer wieder war er schlimm zugerichtet. Ich versuchte es mit dem Jungendamt, doch nichts funktionierte. Er kam von dort nicht weg."

"Das ist furchtbar!" Mir war bewusst, dass solche Dinge immer wieder geschahen, aber es war trotzdem jedes Mal schrecklich sie zu hören.

"Eines Tages kam mir der Einfall. Ich musste ihn entführen, um ihn endlich von dort wegzuholen. Gesagt, getan. Vom nächsten Tag auf den anderen nahm ich ihn mit und wir flohen in eine andere Stadt. Ich hatte ein paar ältere Freunde, die sich um ihn kümmerten, während ich noch die Schule zu Ende brachte. Er fühlte sich wohl bei uns. Überall in den Nachrichten wurde nach ihm gesucht. Die Familie tat in den Nachrichten so, als würden sie sich um ihn sorgen. Alles nur Fassade. Ich hatte kein Mitleid mit ihnen."

Elijahs Gesichtsausdruck wurde bitter und ich konnte spüren wie nah es ihm ging.

"Er wollte nie zurück zu seinen Eltern, also gab es für mich auch keinen Grund ihn zurück zu bringen und natürlich wusste ich, dass ich eine Straftat begangen hatte. Aber es war mir zu diesem Zeitpunkt egal.

Kurze Zeit später, erzählte er mir von einem Mädchen in seiner Schule, auch sie hatte ähnliches wie er erlebt. Auch ihr halfen wir, auch sie nahmen wir mit. Langsam wurde es aber zu gefährlich, zu riskant, dass wir nicht aufflogen. Also beschlossen meine Freunde und ich eine geheime, aber natürlich auch illegale, Organisation zu gründen. Eine alte Fabrik war der perfekte Ort dafür. Die Regeln waren ganz klar. Die zwei Kinder nahmen privat Unterricht in der Fabrik und wohnten dort gemeinsam mit uns. Wir fanden alte Freunde die das Lehramt studiert hatten und sich uns freiwillig anschlossen."

All dies hörte sich so unglaublich und surreal an.

"Es wurde zu unserem Job, Kinder zu finden, die dasselbe Problem hatten, sie von zu Hause wegzuholen und ihnen ein neues, ein viel besseres Zuhause und vor allem eine Zukunft zu bieten. Es wurden immer mehr Kinder bis wir schließlich sieben davon hatten. Sie lernten bei uns, schliefen bei uns, wurden Freunde. Natürlich wurden wir von der Polizei verfolgt, aber niemand kannte unser Gesicht."

Ich wusste nicht, ob ich ihm all diese Dinge glauben konnte.

"Doch irgendwann, wurden auch wir erwischt und plötzlich landete mein Gesicht auf allen Nachrichtensendern. Die Menschen starrten mich an, als wäre ich ein tätowiertes Monster. Dabei wollte ich nur helfen. Aber niemand konnte das verstehen. Ich gebe zu, es war nicht die beste Lösung mit den Entführungen, aber die einzige um dieses Gesetz des Besseren zu belehren und Kindern in Not wirklich zu helfen, wenn sie Hilfe brauchen und nicht einfach wegzuschauen, sobald es mal kompliziert wurde."

Mit jedem Wort wurde er lauter, wütender und ich konnte ihn in manchen Punkten verstehen, aber es gab noch so Vieles das ich nicht verstand.

"Verdammt! Dieser Junge mit dem Alles anfing ist Jack Riders. Der Junge der jetzt achtzehn Jahre alt ist und Jura studiert. Er hat alles gegeben und er hat es geschafft. Und das mit jahrelanger Angst. Was glaubst du wie seine Zukunft bei seinen Eltern ausgesehen hätte? Das ist der Grund warum es sich manchmal lohnt böse Dinge zu tun."

Jetzt ergab alles einen Sinn. Mir war jetzt klar, warum er gegen Elijah niemals aussagen wollte. Er verdankte ihm so Vieles. Eine Träne rollte meine Wange hinunter. Ich fühlte mich schlecht ihn gleich verurteilt zu haben. Aber er hatte mich dennoch angelogen und eine Frage blieb immer noch offen.

"Warum dann Lucy?"

"Klar ihre Familie ist nicht perfekt. Aber sie lieben sie über alles."

"Man, Avery! Das ist doch alles nur eine Fassade. Ihre Eltern haben ein Drogen Problem. Beide. Sie sind oft aggressiv und man weiß nie, wann mal die Hand ausrutscht. Sie hat mir alles erzählt. Ihr Vater schreit sie und ihre Mutter an und ihre Mutter selbst ist auch nicht besser. Alles was du geglaubt hast über sie zu wissen, ist nicht wahr. Denn, sobald du gegangen warst, ging dort etwas ganz Anderes vor."

Es schockte mich. Die nette Frau, die beste Freundin meiner Mutter, war in Wirklichkeit eine ganz andere Person. All diese Informationen waren so viel auf einmal. Wie sollte ich das nur meiner Mutter erklären, sie wäre am Boden zerstört.

"Aber sie hat mir auch von dir erzählt. Wie gern sie dich hat und wie sehr du ihr geholfen hast."

Dass sie so über mich redete machte mich glücklich, aber auch traurig zu gleich. Wieso hatte ich nie bemerkt, wie schlecht es ihr eigentlich in ihrem Zuhause ging?

"Begleite mich und ich zeige dir meine Gruppe, mit denen ich seit vielen Jahren arbeite."

Er stand auf und reichte mir die Hand und ich willigte ein und ging mit ihm.

Tattooed Monster Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt