Kapitel 10

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Niedergeschlagen saß ich in der Lobby. Seit dem wir im Hotel angekommen sind, sitze ich hier und lasse Lando ungestört in unserem Zimmer schlafen.
Nach einer Weile hörte ich Schritte und die Person ließ sich auf den Sessel mir gegenüber fallen.

,,Du siehst traurig aus. Willst du reden?", fragte jemand mit spanischen Akzent.
Alles klar, die Luft ist rein. Es darf nur nicht Charles sein, ansonsten würde ich nicht wissen, wie ich mich verhalten soll.

Ich blickte auf und sah Carlos.
,,Nichts wichtiges, wird sich schon wieder regeln.", sagte ich und biss mir fest auf die Lippe um nicht zu weinen. An sich ist es nicht schlimm, dass er sich in mich verliebt, aber...
Nein, okay, es ist schlimm, er hat so ziemlich unsere ganze Beziehung ruiniert. Ich liebe ihn aber nicht auf diese Art...

,,Ganz sicher? Du siehst gerade aus wie jemand, der ganz viel Schokoladeneis braucht."
Damit brachte er mich zum Lachen.

,,Siehst du, du bist viel hübscher, wenn du lachst. Und jetzt noch den Kopf nach oben. Das Krönchen soll nicht runterfallen, Prinzessin. Und egal, was grad bei dir los ist, denk daran, dass du deinen Bruder und den heissen Typen dir gegenüber hast, die die Sache liebend gerne für dich regeln werden."
Ich schmunzelte. Irgendwie steckte Carlos' fröhliche Art mich an. Irgendwas trieb mich dazu ihn eine Umarmung zu geben.
,,Wie auch immer du das gemacht hast, es geht mir schon viel besser."
,,Immer wieder gerne. Und jetzt geh zu deinem Bruder, er fragt sich schon wo du bleibst."
,,Echt?"
,,Okay, hör zu. Dein Bruder liebt dich wirklich sehr und er macht sich unglaublich viele Sorgen um dich. Nur weil deine Eltern sich nur für Lando interessiert haben, heißt es nicht, dass dein Bruder sich nicht um dich sorgt."

Das weiß ich...

Ich nickte Carlos wissend zu, gab ihm noch eine Umarmung und stand auf, um zu Lando zu gehen.
Also das hatte ich vor.
Er saß am Treppeneingang vor dem Gang, der in unser Zimmer führte und stand auf, als er mich sah.
,,Wir beide reden jetzt. Und du erzählst mir, was mit dir passiert ist und was du in den letzten Jahren so getrieben hast."
Lando nahm meine Hand, aber nicht grob, wie ich es erwartet hatte, sondern ganz sanft. Fast schon so, als ob meine Hand aus Porzellan bestünde.
Wir gingen zu unserem Zimmer und Lando schloss auf.

Das Licht war an und auf einem Tisch zwischen unseren Betten stand heiße Schokolade, die sogar noch dampfte.

,,Brauchst du deine Jacke eigentlich wieder?",fragte ich, als ich sie auszog und aufhängen wollte.
,,Nein, behalt sie ruhig."
Ich zuckte mit den Schultern, hing sie auf und ging ins Bad um mir Schlafsachen anzuziehen. Dann setzte ich mich neben ihm aufs Bett und nahm mir eine der Tassen.

,,Erzähl schon, was ist passiert, als du gegangen bist?"
,,Okay..."
Ich sammelte kurz die richtigen Worte.
,,Mum stand eines morgens vor meiner Tür und meinte, dass ich meine Sachen packen soll. Warum hatte sie mir nicht gesagt, aber sie meinte, dass mich jemand wegfahren wird. Sie hatte es aber so gesagt, als ob es der normalste shit der Welt wäre.
In der Zeit warst du bei einem Rennen, hast also nichts davon mitbekommen.
Eine Stunde später saß ich im Auto und weinte. Der Fahrer hatte mir erzählt, dass unsere Eltern mich auf ein Internat schicken wollen und sie hatten nicht mal die Zeit dazu, mich zu begleiten.
Er fuhr mich ins Internat und ab da war ich alleine. Keine Privatlehrer mehr, Vincent war nicht mehr da, du warst nicht mehr da.
Die Schulleiterin heuerte mir einen Jungen an, der mir alles zeigen sollte und die Koffer auf mein Zimmer bringen sollte. Er wurde später mein bester Freund.
Meine Zimmernachbarinnen waren nett, Wir freundeten uns an aber sie bekamen nie mit, wie ich mich abends in den Schlaf weinte und in Selbstmitleid versank. Irgendwann bekam dann Tyler, mein bester Freund, mit, wie ich jeden Abend weinte und half mir mit der Sache klar zukommen. Wie auch immer er es gemacht hat, von jetzt auf gleich verschwendete ich keinen einzigen Gedanken mehr an euch und zog mein Ding durch. Mein Schwerpunkt wurde Musik, durch hartes Lernen wurde ich eine der besten Schülerinnen der Schule, sprang von einer AG zur nächsten und das alles nur, um den perfekten Abschluss zu bekommen damit ich an den besten Musik Akademien angenommen werden kann. Als du und George mich aber in der siebten Klasse besucht habt wurde ich richtig wütend. Nach drei Jahren kommt ihr beiden auf einmal und bringt alles wieder durcheinander.
Ich hatte vor nach dem Abschluss an eine Musikschule zu gehen, aber unsere Eltern mussten mir diesen Plan zunichte machen. Erst interessieren sie sich mein halbes Leben nicht für mich und dann heißt es, dass sie mich zurück wollen und zwingen mich dazu, dich bei jedem einzelnen Rennen zu begleiten."
Ich nippte an meiner Schokolade.
,,Während der Schulzeit verlief mein Leben wie das eines normalen Teenagers. Ich hatte Beziehungen, einige von diesen unglaublich interessanten Nächten die ich mit Freunden draußen verbrachte, sowas halt. Und so wie jeder andere Schüler meiner Stufe, wunderte ich mich, dass die Internatszeit doch so schnell vorbei war und wir schon unsere Prüfungen schreiben. Ich hätte ihn auch mit meinen Freunden ganz traditionell feiern können. Wir hätten diesen Gelehrtenhut bekommen, den ich immer haben wollte, danach wären wir mit der gesamten Stufe bis zu den Sommerferien Studienreisen machen, aber nein. Herr von Vater musste mich ja zurückholen, bevor ich irgendetwas machen konnte. Wahrscheinlich haben sie sogar angeordnet, dass meine Ergebnisse sofort ausgewertet werden, damit sie einen Tag nach meiner Rückkehr ankommen. End of story, uninteressantes Leben."
,,Jedes Leben ist-"
,,Nein, Lando, ist es nicht."
Ich stand auf und legte mich auf mein eigenes Bett.
,,Wolltest du nicht zum ESC? Du hast nie aufgehört davon zu reden als du klein warst."
,,Doch aber ich bezweifle, dass ich überhaupt durch die Vorrunde komme.", gab ich zu.
,,Wie kommst du darauf? Wer hat das gesagt?"
,,Ich will ja niemanden sidekicken, aber unsere Eltern haben mich weggeschickt. Ich bin nicht mal gut genug gewesen um im Haus zu bleiben, obwohl das Internat wahrscheinlich ihre beste Entscheidung gewesen war."
,,Sag so was nicht, Leighton. Du bist der wertvollste Mensch in meinem Leben. Ich werde schon mit denen reden, auch wenn sie mich danach hassen..."
,,Wieso denn? Sie lieben dich doch."
,,Nein, sie lieben das Geld, das ich verdiene."

Niemand sagte mehr etwas. Ich kuschelte mich unter meine Decke und schloss die Augen in der Versuchung zu schlafen, aber ich war gerade wacher denn je.

,,Hey", sagte Lando sanft, ,,Erinnerst du dich an das, was ich dir gesagt habe? Ich beschütze dich vor jedem, der dir schlechtes will. Und weißt du was, sobald du 18 bist, ziehen wir weg von unseren Eltern. Nur wir beide."
Ich öffnete die Augen. Er hatte sich vor mein Bett gekniet.
,,Du bist schon den ganzen Tag so niedergeschlagen. Ich hatte genug Bühnenzeit, jetzt bist du dran. Ich sehe doch, dass es etwas komplett anderes ist, was dich beschäftigt."
Mit stiegen Tränen in die Augen.
,,M-mein bester Freund hat sich im mich verliebt und ich habe ihm gesagt, dass er sich nicht mehr melden soll. Ich fühle mich so unfassbar schlecht, Lando.", sagte ich mit zitteriger Stimme und ab da ließ ich meinen Tränen zum zweiten Mal an diesem Tag freien Lauf. Es ist das erste mal, dass ich vor Lando weinte.

Sofort nahm er mich in den Arm. Ich legte meine Arme um seinen Nacken und hielt mich fest, als ob er der letzte Halt für mich ist. Mein Bruder verstand, was ich brauchte und umarmte mich wahrscheinlich sogar mit doppelter Festigkeit zurück, aber es gab mir das Gefühl von Sicherheit.
,,Ich hatte nur ihn in den letzten Jahren."
,,Jetzt hast du aber George, Michelle und mich. Wir lassen dich nicht im Stich, Leigh."
,,Danke, dass du da bist.", schniefte ich und löste mich von ihm um mir die Tränen aus den Augen zu streichen.
,,Na hör mal, ich konnte die letzten neun Jahre nicht bei dir sein, natürlich hole ich das jetzt nach. Wenn es sein muss nehme ich mir diesen Tyler mal vor. Und mit unseren Eltern muss ich sowieso mal reden."
,,Bloß nicht. Nach der Saison bin ich so oder so weg, wenn wir nicht zusammen ziehen. Es hat eh keinen Zweck, Tyler ist Geschichte."
,,Wenn du meinst. Rück mal ein bisschen."

Ich rutschte zur Seite und Lando setzte sich neben mich.
,,Gucken wir einen Film?", fragte ich wie eine acht jährige.
Lando zog seinen Laptop rüber, der auf dem Nachtschrank stand und öffnete seine Netflix Mediathek um auf Lemony Snicket zu klicken.
Es war unser Lieblingsfilm gewesen, unser Kindermädchen hätte ihn und angemacht, wenn unsere Eltern nicht da waren.
Wir lehnten uns an das Kopfende meines Bettes.
,,Morgen ist unser letzter Tag hier.", sagte Lando während des Vorspanns.
,,Schade. Ich fange gerade an es hier zu mögen."

Losing game (beendet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt