Kapitel 38

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Die nächsten Tage vergingen nur schleppend. Ich hatte buchstäblich Angst um mein Leben. Mein Zimmer war nicht mehr mein Zimmer. Es fühlte sich nicht mehr richtig an, darin zu schlafen. So wurde entweder das Gästezimmer oder das Wohnzimmer zu meinem Schlafplatz. Lando wollte ich nicht stören, er hatte immerhin ganz andere Probleme und ich will ihm nicht zur Last fallen.
Alles was ich tat, machte ich mit größter Vorsicht, ging kaum noch raus und wenn ich es tat, hatte ich das Gefühl verfolgt zu werden. Das ging vier Tage so weiter bis Lando mich gegen meinen Willen zu einem Psychologen schleppte. Dort wurden mir dann Tabletten gegen Angstzustände und Schlafstörungen verschrieben. Seit dem fühlte ich mich nur noch beklemmter als vorher. Meine Kreativität hatte nachgelassen. Alle Ideen, die ich vorher im Kopf hatte, waren jetzt weg. Ich fühlte mich leer aber absetzen wollte ich sie nicht, immerhin hatte ich durch sie nicht mehr das ständige Gefühl, verfolgt zu werden.
Das Treffen mit meinen Freunden während des Rennwochenendes ließ ich ausfallen. Stattdessen sollte ich mit Lando nach Azerbaijan zum Rennen fliegen. Ich war strikt dagegen. Immerhin muss er ein Rennen fahren und sich nicht um seine kleine Psycho Schwester kümmern. Also blieb ich bei meinem Cousin Oliver. Er und seine Verlobte lebten auf dem Land. Dort fühlte ich mich das erste mal seit zwei Wochen wieder gut. Devon verließ meine Gedanken für ein paar Tage, die einzige Erinnerung im Moment waren die Kratzer an meiner Hand und mein verletzter Fuß. Dafür schlich Charles sich wieder ein. Er hatte mir mehrmals geschrieben aber ich antwortete nicht, auch wenn es mir schwer fiel. Ich hatte mir vorgeschrieben, so wenig wie möglich am Handy zu sein, damit ich wieder mehr singe oder Gitarre spiele. Es tat wirklich gut, bei Sonnenuntergang rauszugehen und auf dem Boden sitzend Gitarre zu spielen. Einfach magisch. Aber dann musste ich wieder zurück. Ich wurde wieder panisch, irgendwie zittrig und das, obwohl mir nicht wirklich etwas passiert war. Es gibt Menschen mit schlimmeren Schicksalen und ich heule schon bei so einer Kleinigkeit rum.
Alle gingen im Moment äußerst vorsichtig mit mir um: Oliver nervte kein einziges Mal, seine Verlobte backte mir Kuchen oder Cookies. Lando ließ mich keine Sekunde aus den Augen, verschob sogar sein Training ins Wohnzimmer. Wenn ich mich aufrappelte und rüber zu Joseph gehen wollte, verbat er es mir. Und meine Freunde versuchten mich auf andere Gedanken zu bringen. Ich hatte es Lindsay erzählt und sie hatte es Chase erzählt. Es verbreitete sich wie ein Lauffeuer in unserem Freundeskreis. 

Im Großen und Ganzen fühlte sich die Situation einfach absurd an. Es vergingen Wochen und ich fühlte mich immer noch schlecht. Er war nicht da aber irgendwie wusste ich auch ganz genau, dass er da war. Ich spürte, wie er mich beobachtet und mir auf der Lauer liegt. Ich schlief nicht. Bei jedem kleinsten Geräusch schreckte ich hoch, auch wenn es nur der Wind war, es hätte Devon sein können.

Insgesamt vergingen vier Wochen bis ich beim nächsten Rennen dabei war. Spanien. Der Ort, an dem ich Charles kennenlernte. Wir waren wieder im selben Hotel. Es tat tatsächlich gut, mal wieder unter die Leute zu kommen. Zwar sah ich schlecht aus aber was soll's. Ist jetzt auch egal. Ich freute mich auf George und Charles aber wie erkläre ich meine komplette Abwesenheit? Und meinen Fuß. Oder die Kratzer auf meiner Hand. Vor allem Charles...
Aber ich werde sowieso hauptsächlich im Hotel bleiben. Er könnte immerhin unter diesen Menschen sein. Er könnte überall sein. Vielleicht sollte ich auch einfach... Personenschutz beantragen? Nein, es gibt Menschen, die es nötiger haben als ein krankes, 18 jähriges Mädchen.

Langsam stieg ich aus dem Auto und bekam meinen Rucksack von Lando. Die heisse Sonne Spaniens prallte auf und runter und ich fing an unter der Anstrengung des Laufens zu schwitzen. Wer hätte gedacht, dass es so anstrengend sein kann. Zum Glück bin ich wenigstens die Krücken nach zwei Wochen losgeworden. Bis zu meiner Abschlusszeremonie müsste ich eigentlich wieder komplett genesen sein.
Lando schaute mich besorgt von der Seite an, während wir in die klimatisierte Lobby gingen. Als er eincheckte, ließ ich mich auf einen der Sessel fallen und legte meinen Kopf in die Hände. Wäre ich doch bloß bei Oliver geblieben, es wäre viel entspannter. Dort gibt es Kühe, Kühe sind niedlich. Sie haben so lange und perfekte Wimpern... ich bin neidisch.
,,Geht's dir gut, Leighton?", fragte Lando, der anscheinend schon fertig war. Er setzte sich vor mich und schaute mich mit zusammen gezogenen Augenbrauen an.
,,Ja, warum? Alles bestens..."
,,Du hast so abwesend ausgesehen. Brauchst du eine Pause?"
,,Nein, nein. Schon gut, gehen wir in's Zimmer."
Auf der Stelle stand Lando auf und reichte mir seine Hand hin, an der ich mich hochzog. Normalerweise würde ich mich jetzt beschweren aber die Tabletten benebelten mein Denken. Am liebsten würde ich sie absetzen aber Lando will das nicht. Er versteht es nicht... es fühlt sich komisch an.
Wir fuhren mit dem Fahrstuhl rauf in das Zimmer. Es war das selbe Stockwerk wie im Februar. Nachdem Lando das Zimmer öffnete und ich eintrat, schloss ich aus Gewohnheit ab. Das war etwas, was ich in den letzten Wochen ständig machte. Die Haustür wurde nachts zwei Mal abgeschlossen und ich legte das Kettchen an. Meine Zimmertür war von außen abgeschlossen, damit er nicht reinkonnte und wenn ich im Gästezimmer schlief, zog ich die Vorhänge zu und drehte ebenfalls zwei mal den Schlüssel um. Dass ich es eben gerade getan habe, konnte ich nicht kontrollieren. Es geschah unbewusst.
,,Ach übrigens, Charles hat nach dir gefragt. Er will sich später mit dir treffen. Ist das okay für dich?"
Er will sich mit mir treffen? Nachdem ich ihm nicht geantwortet habe?
Schnell nickte ich ihm zu und ging auf das Bett zu, auf dem Lando sich noch nicht ausgebreitet hatte. Es war schön weich. Durch die Klimaanlage war es auch schön kühl und am liebsten würde ich jetzt schlafen aber Charles hat Vorrang.
,,Wo ist Charles denn?"
,,In seinem Zimmer. Komm, ich begleite dich.", antwortete er mir und ließ seine Tasche fallen. Sofort war er bei mir und half mir, über den am Boden liegenden Koffer zu steigen. Ich verdrehte leicht die Augen. Er ist zu fürsorglich...
Als er die Tür öffnen wollte, kniff ich die Augen zusammen.
,,Leighton, warum ist die Tür abgeschlossen?", wollte er ruhig wissen.
,,Ich weiß nicht..."
Seufzend schloss er wieder auf und wir gingen zum Fahrstuhl, der und in den zweiten Stock fahren wird.
,,Wenn du etwas nicht möchtest sagst du einfach nein. Charles ist verständlich, mach dir keine Sorgen. Oder soll ich bei dir bleiben?"
Mein Mund blieb zu. Stattdessen schüttelte ich den Kopf und richtete den Blick auf meine schwarzen Sportschuhe. Mit einem leisen Klingeln öffneten sich die Türen und wir traten raus. Das Zimmer lag weiter hinten im Gang. Lando klopfte für mich an und wir warteten auf eine Antwort. Keine fünf Sekunden später öffnete Charles die Tür. Sein Gesicht hellte sofort auf, als er mich sah. In seinen Augen wurde fast sofort ein kleines Leuchten sichtbar.

Losing game (beendet)Where stories live. Discover now