Kapitel 16

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Fröhlich trug ich meine letzte Kiste in den Umzugswagen, der sogar nur halb voll geworden ist. Dann rannte ich schon förmlich zu Vincent, der mir beim tragen geholfen hatte.
Anders als mein Bruder. Vincent legte sanft seine Arme um mich.
,,Miss Leighton, es war mir eine Ehre sie wieder zu sehen."
,,Man Vincent, du bist doch nur ein paar Jahre älter als ich. Hör auf mit diesen Höflichkeiten.", meinte ich gespielt sauer und boxte ihm spielerisch gegen den Arm.

Vincent ist einfach viel zu nett für diese Welt. Es wundert mich wirklich, dass er noch keine Freundin hat. Oder warum er überhaupt noch hier arbeitet...

Der Fahrer des Umzugswagens schloss die Ladeklappe und stieg ein, um wegzufahren. Lando, der neben mir stand, legte seinen Arm an meine Schulter, sodass ich ihm als Stütze diente. Was haben heute denn alle damit... das ist jetzt das zweite mal in fünf Minuten.

,,Und da fahren sie in die Ferne, meine armen Simulatoren..."
,,Du wirst es schon überleben, Lando. Gehen wir rein?", fragte ich. Er nickte, nahm seinen Arm von mir und wir gingen in das Haus.

Während Lando sich deprimiert, mit dem Gesicht vorwärts, auf das Sofa fallen ließ, ging ich in die Küche und suchte etwas zu essen. Ich verstehe nicht, warum wir überhaupt einen Kühlschrank haben, wenn hier sowieso kein Essen liegt... und es ist einfach nur frustrierend ihn aufzumachen und nichts weiteres als Wasserflaschen zu sehen.
Mit der Hoffnung, dass eine Pizza im Tiefkühlfach liegt, schloss ich die Kühlschranktür und öffnete das Gefrierfach.
Nope, nichts.
Dann muss ich halt bis zum Abendessen warten...

Ich hatte versucht meine Eltern zu meiden, was leider auch hieß, dass ich nicht zum Essen erscheinen kann. Heißt, ich habe mich seit gestern Nacht nur von drei Keksen ernährt und jetzt bemerke ich, was für ein Fehler das war.

Aus purer Langeweile schaltete ich mein Handy an und wurde sofort mit gefühlten zehntausend Nachrichten von Instagram bombardiert. Alles Folgeanfragen.
Während ich durch die Liste scrollte wurde mir bewusst, dass es Landos Follower sein müssen. Der Großteil waren irgendwelche Fanpages von Lando oder sogar Charles und Carlos oder anderen Rennfahrern. Ich akzeptierte die Anfragen und wechselte auf ein öffentliches Profil. Dann bemerkte ich, dass ich auch DM's bekommen habe. Von Charles.

,Ist alles gut bei dir?'
,Ja, alles bestens. Danke der Nachfrage.'

Fast schon sofort kam eine Antwort.

,Lando hat mir erzählt, dass ihr zusammen zieht. Freust du dich schon?'
,Und wie! Ich kann es kaum in Worte fassen. Ich bin einfach so glücklich endlich aus dieser Anlage raussein zu können.'

Mir kamen fast die Tränen bei diesen Worten. Ich bin wirklich mehr als glücklich endlich nicht mehr an meine Eltern gebunden zu sein.

,Freut mich sehr für dich.'
,Daanke', schrieb ich zurück und machte mein Handy aus.
Fest entschlossen etwas auf dem Klavier zu spielen, stand ich auf und ging ins Wohnzimmer, wo ich mich auf den Hocker setzte.
Bevor ich los spielte, betrachtete ich die Tasten. Sie waren schon alt und vergilbt.

Ich legte meine Finger auf die Tasten und spielte eine einfache Melodie zum Aufwärmen. Die Töne klangen matt, das C2, klang fast gar nicht mehr aber trotzdem mochte ich dieses Klavier, ich weiß auch nicht warum... vielleicht, weil es so alt ist und nach Büchern riecht. Ich hörte auf zuspielen, als ich Schritte hinter mir wahrnahm.

,,Auf diesem Teil spielst du?"
Zum Glück nur Lando...
,,Ja, warum nicht. Hab grad sowieso nichts zu tun."
,,Ist es nicht etwas... naja, kaputt? Zerstört?"
Ich lachte. ,,Ja, aber es ist okay. Ich mag das Klavier."
,,Bringst du mir was bei?", fragte er und kam zu mir. Ich nickte und rückte ein Stück zur Seite, damit er sich setzen kann. ,,Was willst du spielen?"
,,Kein Ahnung, du bist hier die Pianistin.", schmunzelte er.

Ich nahm seine linke Hand und legte sie auf meine. Er verstand und legte seine rechte ebenfalls auf meine rechte Hand. 
Kurz überlegte ich, was ich spielen sollte, dann entschied ich mich für ein einfaches Lied aus dem Radio. Die Melodie war einfach und schnell zu lernen.
Landos Finger machten die exakt selben Bewegungen nach. Es blieb ihm ja nicht anderes über.

,,Was ist denn hier los?", rief eine hohe Stimme hinter uns. Oh Gott, meine liebe Mutter ist runtergekommen.
Eine Nacht noch, Leighton. Dann hast du's...

,,Leighton versucht mir Klavierspielen beizubringen.", informierte Lando sie.
,,Das hört sich scheußlich an. Könnt ihr das nicht dann machen, wenn ich nicht da bin?"
Verachtend stieß ich geräuschvoll die Luft aus und stand auf. Mein Ziel war mein Bett, wo ich Netflix gucken kann.
Schnell lief ich an meiner Mutter vorbei in das obere Geschoss und schloss die Tür ab, sobald ich mein Zimmer betrat.

Komischerweise war ich aber so müde, dass ich mich lieber ins Bett legte und eine Stunde lang schlief, bevor ich noch eine Folge Haus des Geldes schaute. Die Uhr verriet mir, dass ich das Abendessen verpasst habe. Zum Glück hatte ich unserer Köchin gesagt, dass sie mir etwas zur Seite stellen soll. Seufzend stieg ich aus dem Bett und ging nach unten, wo ich auf meinen Vater traf.

Die Stimmung war komisch. Sehr komisch. Niemand sagte etwas sondern warf dem anderen vernichtende Blicke zu. Naja, ich tat das jedenfalls. Mein Vater ignorierte mich einfach. War vielleicht auch besser so, sonst hätte ich für nichts garantieren können.

Schnell aß ich mein Essen auf und verschwand wieder nach oben, wo ich versuchte mir einzureden, dass es nicht mehr lange bis morgen ist.

Seufzend setzte ich mich auf mein weiches Bett und schaute die leere Notizenseite auf meinem Handy an. Ich versuchte einen Songtexte zu schreiben aber meine Kreativität war wie weggeblasen. Ohne ein Instrument, auf dem man Melodien ausprobieren konnte funktionierte es einfach nicht. Nicht mal an meinem letzten Text konnte ich arbeiten.

Losing game (beendet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt