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„Als du sagtest wir machen einen gemütlichen Wanderausflug ohne Überraschungen, hattest du den Wetterbericht definitiv nicht vorher angeschaut", schnaufte der dunkelhaarige Mann etwas genervt von der endlosen Wanderei durch triste Landschaften, fernab jeglicher normaler Zivilisation. So hatte er sich diesen angekündigten „Urlaub" zusammen mit seiner besten Freundin wirklich nicht vorgestellt. In seinen Gedanken schwelgte er am Pool in der südlichen Urlaubsregion des Mittelmeeres, schlürfte leckere Cocktails und vergaß sein Leben als Reporter für ein paar Tage. Aber nein. Es musste ja strikt nach dem Sturkopf seiner brünetten Freundin laufen, die offensichtlich kein Fünkchen Verständnis für Erholungsurlaub hegte – in ihrer Sprache: Faulenzen. Ein Fremdwort für die Abenteurerin.

„Möglicherweise ist mir dieses Detail entgangen", hob die Frau gespielt entschuldigend die Schultern, doch ihr Begleiter wusste, dass sie ihm die Wettervorhersage nur aus dem Grund verschwiegen hatte, weil er neben starkem Wind auch durchgehend Regen ansagte. Und weil sie ihm mit ihrer...Überraschung ohnehin schon genug zumutete. Aber hey, eine kleine Notlüge brachte den verhätschelten Mann nicht um, und anders wäre er niemals mitgekommen. „Aber jetzt sind wir ja hier, haben ein Dach über dem Kopf und bald was Warmes im Magen", meinte sie mit einem fröhlichen Grinsen auf den Lippen und trat euphorisch von einem Bein auf's andere. In der kleinen Berghütte, die sie unterdessen erreicht hatten, war es genauso dunkel wie am nächtliche Himmel draußen und es roch nach Rauch. Penetrant. Eine altertümliche Wanduhr tickte leise vor sich hin und es herrschte eine verschlafene Stimmung in der scheinbar verlassenen Unterkunft. Gedämpfte Gespräche weniger Ortsansässiger ließen die Kulisse wie in einem Film wirken und fahles Licht aus alten Lampen erhellte den Raum, gerade genug um nicht über die eigenen Füße zu stolpern.

„Lindsay, was machst du da?", seufzte der Reporter mit seiner Geduld beinahe am Ende und schaffte es allerdings trotz seiner geübten Disziplin, nicht gänzlich die Beherrschung zu verlieren. Waren denn Sonnenschein und Cocktails zu viel verlangt? In New York herrschte ohnehin ausreichend schlechtes Wetter seit einigen Monaten, selbst der Sommer war total verregnet. Er wollte doch nur faul am Pool liegen und nichts tun.

Die Frau war vor einer Reihe eingerahmter alter Zeitungsartikeln stehen geblieben, die an der Wand hingen. Diese Schriftstücke aus einer anderen Generation waren bereits ein wenig vergilbt und man konnte deutlich sehen, dass der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen hatte. Sie mussten schon sehr lange dort zur Schau gestellt sein.

„Ich les gerade...das ist faszinierend! Ob es wohl wahr ist?", warf sie eine rhetorische Frage in den Raum ohne den Hintergedanken zu hegen, eine ernst gemeinte Antwort zu erhalten. Oder generell eine Antwort.

„Ob was wahr ist?", wollte der Mann dennoch eher wenig interessiert wissen und hielt ihr einen dampfenden Becher Tee entgegen, den er von dem schnauzbärtigen Mann hinter dem Tresen geholt hatte. Zwar war er verstimmt, doch trotzdem waren die beiden jungen Menschen Freunde seit dem College. Da gehörte schon mehr als ein kleiner Streit dazu, um für ernsthaften Ärger zu sorgen. Und so dezent beschissen dieser Trip auch war: irgendwann würde er es gegen Lindsay als Freikarte einsetzen können. Und sie würde nicht ablehnen dürfen. Darauf freute er sich insgeheim.

„Na, dieser Bericht!", erwiderte sie gedämpft und deutete auf den eingerahmten Artikel, während sie ihre kalten Finger um das warme Porzellan schloss. „Das dieser Junge wirklich ertrunken ist! Ich meine von so was ist öfters die Rede aber es ist nicht immer wahr - er hier war gerademal 19, und hätte als Journalist noch eine blühende Karriere vor sich gehabt. Steht hier zumindest"

„Korrekt, aber nein, er ist damals nicht ertrunken. Dies ist ein Artikel, dessen Wahrheit verdreht wurde. Außerdem schrieb dieser junge Mann Krimis"

Lindsay Hay drehte sich um und blinzelte einem alten, großväterlich aussehenden Mann zu, der in einer verdunkelten Nische unter einem Balken saß und die Fremden scheinbar wachsam musterte. Seine Jacke war dunkel und glänzte, vermutlich vom Regen, außerdem stand eine Tasse vor ihm die dampfte und bereits halb leer war. Seine bräunlichen Augen sahen zu den beiden Touristen und Lindsay trat langsam näher. „Wirklich? Das ist nicht passiert?", fragte sie neugierig und fühlte bereits, wie sich ihre angeborene Neugier meldete. „Aber etwas ist vorgefallen, andernfalls würde es keinen Artikel geben, selbst wenn er nicht der Wahrheit entspricht. Und wenn das da eine erdachte Wahrheit ist, interessiert mich die richtige Version brennend"

Ocean Eyes  [MERMAID!AU]حيث تعيش القصص. اكتشف الآن