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Zärtlich liebkoste die See die elfenbeinfarbene Haut seines liebsten Kindes, als es rasch durch die Gischt hinab tauchte und mit nur wenigen Schlägen seines kräftigen Unterleibes zu seinem treuen Begleiter stieß, der seinen Herrn bereits mit Neuigkeiten erwartete. Demütig verneigte er sich und der Königsspross, der die Geste vor brennender Neugier nicht erwiderte, empfing den Artgenossen mit der lang ersehnten Frage: „Wie steht es um das Schiff der Menschen? Gab es Komplikationen?"

Ohne den Diener der Krone zu grüßen, wie es die royalen Gepflogenheiten der hochrangigen Gesellschaft eigentlich erwarteten, blickte er ihn aus großen Augen abwartend an. Der Wächter aber wies seinen Herrn nicht darauf hin, denn er wusste, dass ihm momentan andere Dinge im Kopf schwebten, über die er sich Sorgen machen musste. Da kam es auf eine gesellschaftliche Floskel nicht drauf an. Zudem würde niemand am Hof davon erfahren.

„Es hält den Kurs. Einige Menschen rudern derzeit mit ihren winzigen Rettungsbooten ziellos umher, wohl um ihren verlorenen Artgenossen aufzuspüren", erzählte Baek und sein Gegenüber hielt besorgt die Luft an, während es dem Bericht lauschte. „Ihre Klagelaute waren schon aus der Ferne zu vernehmen", endete er und nickte. Das Fabelwesen warf bedrückt einen Blick über die Schulter zum Strand, wo sich der Mensch inzwischen niederlegte und zur Ruhe kehren schien. Verdenken konnte er es ihm nicht, nach all dem Schrecken den er miterleben musste. Die panische Angst in seinem Herzen, als ihn die See für die Grausamkeiten seiner Spezies bestrafen wollte. Für Verbrechen, die er nie begangen hatte. Etwas Ruhe wird ihm gut tun nach den Strapazen, denn noch war seine Reise nicht vorbei.

Seine Angehörigen leben in dem Glauben, er sei den Fluten zum Opfer gefallen", flüsterte das gutmütige Wesen mit unangenehm ziehenden Herzen. Mitgefühl breitete sich aus, ergriff das Denken und pflanzte ihm großen Kummer ein. Die Familie dieses Menschen musste unvorstellbares Leid ertragen. Allein die Vorstellung tat ihm furchtbar weh – konnte er diesen Verlust nur allzu gut nachempfinden. Als er vor vielen Jahren seinen lieben Vater verlor, brach für den Jungen mit den ozeanblauen Augen eine Welt zusammen, begrub ihn unter den scharfen Scherben und veränderte ihn. Der König verfolgte immerzu die Absicht, seine Entscheidungen zum Wohle des Volkes zu treffen und wurde durch seine Nächstenliebe im ganzen Lande geliebt und verehrt. Er versuchte seinem Sohn die Wichtigkeit der Gemeinschaft zu lehren, ihm ein Vorbild zu sein auf das er eines Tages erkannte, dass zu einem wahren König mehr gehörte als eine glitzernde Krone und ein prächtiges Schloss. Ein König stand ohne treue Folgschaft allein da, unterschied sich nicht allzu sehr von einem selbstverliebten Narren. Der Regent liebte seine bildschöne Frau und die Frucht dieser Liebschaft. Diese Meerfrau, obgleich sie von niederer Abstammung herrührte, jedoch fügte sich fabelhaft in die royalen Sitten, wuchs in die gehobene Gesellschaft und wurde letztendlich mit der gleichen Ergebenheit gefeiert, wie der König selbst. Dem Reich erging es prächtig unter der Führung dieses edlen Paares. Ihr Sohn reifte und gedeihte prächtig, erfuhr so viel zutrauliche Liebe wie sie nur Eltern zu geben vermochten – und eines unerwarteten Tages brach diese Familienidylle auseinander. Kurze Zeit nach dem Ableben des landesweit verehrten Königs raffte der Herzschmerz dann auch die verzagte Königin dahin.

Und der Junge mit den ozeanblauen Augen erfuhr nicht mehr länger die Liebe, die ihm seit Geburt an geschenkt wurde. Er vereinsamte inmitten der strengen Tagesabläufe des Hofes. Über die Jahre hinweg lernte er mit dem Kummer zu leben, akzeptierte es letzten Endes und widmete sich seinen Pflichten. Doch an die Edelmütigkeit seines Vaters reichten seine Bemühungen nicht hin.

Simples schlechtes Gewissen wäre eine bodenlose Untertreibung zu der Reue, die es in diesem Moment empfand. Es hatte den Menschen gerettet, doch gleichzeitig hatte es ihn aus den liebenden Händen seiner Familie hinfort gerissen. Und dies konnte sich das Geschöpf nicht verzeihen.

Ocean Eyes  [MERMAID!AU]Where stories live. Discover now