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„Krass...das nenn ich mal mindfuck"

Er freute sich sehr, dass Tae ihm offensichtlich genug vertraute, um ihm nicht seine Erinnerungen zu stehlen, aber er wusste auch, dass das Schicksal aller Meerbewohner, seines und das des Volkes, jetzt in seinen Händen lag. Für Jungkook war selbstverständlich, dass er es niemanden erzählen würde, vor allem nachdem Tae gesagt hatte er würde ohnehin in Schwierigkeiten stecken.

Die Abendsonne warf ein angenehm warmes Licht auf den Strand, die Wellen rauschten leise vor sich hin. Sprachlos blickte er auf den Ozean, irgendwo dort unten tummelte sich sein blauhaariger Gefährte um einen Rastplatz für die anbrechende Nacht zu finden, hinterher und konnte es noch immer nicht richtig begreifen, dass er einen echten Meerjungen getroffen hatte. Er, Jeon Jungkook, überzeugter Realist und Krimiautor. Ausgerechnet er begegnete einer anderen Lebensform. Und nicht nur das: das anmutige Geschöpf mit den ozeanblauen Augen verkörperte weit mehr als unbeschreibliche Schönheit. Etwas an ihm zog Jungkook in seinen Bann. Unaufhörlich. Unerbittlich. Jungkook konnte ja gar nicht anders, als sich nicht Hals über Kopf zu verlieben. Kein Mensch hat es ihm je so extrem angetan, wie Tae. Und die Art ihres Abschiedes, schwer und niederschmetternd, zeigte, dass diese Gefühle auf deutlicher Gegenseitigkeit beruhten. Tae mochte ihn. Und Jungkook mochte Tae. Zwar wussten sie lediglich den Namen voneinander und sonst nichts, kein Austausch über ihre Leben fand je statt, aber es reichte völlig. Sie harmonierten miteinander. Bei diesen Gedanken musste Jungkook unwillkürlich grinsen während er verträumt den kleinen Weg entlang schlenderte, der über die begrasten Klippen zu dem heruntergekommenen Häuschen führte. Der Wind zerzauste ihm die Locken und statt sich die Schuhe für Wärme überzuziehen, trug er sie locker in seiner linken Hand. Er befand sich so lange im Meer, in für ihm fremdem Terrain, dass er den Boden zwischen seinen nackten Zehen fühlen wollte. Musste.
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„Hallo? Lebt hier wer?"

Klopfend und mittlerweile ein wenig fröstelnd zog er die mitgenommene Lederjacke enger um sich, biss sich auf die Lippe und unterdrückte ein frustriertes Fluchen. Erneut bearbeitete er die hölzerne Tür und hoffte auf eine Reaktion. Irgendjemand musste doch hier sein, dieser Ort konnte nicht gänzlich verlassen sein. Im Inneren erspähte er eine kleine grüne Topfpflanze – definitiv lebte jemand hier. Die Frage war nur, ob man ihm aufmachte und Eintritt gewährte. Ihm, einem Fremden der aus dem Nichts auftauchte und nicht besser aussah, als ein obdachloser Penner. Mit der zerrissenen Hose, den dreckigen Füßen und dem wirren Haar.

„Bitte...k-können Sie mir helfen?", flüsterte Jungkook und spürte, wie ihn von Sekunde zu Sekunde mehr der Mut verließ.

Niemand öffnete die Tür.

Schluckend sah er sich um. Da war nichts. Weit und breit nichts als Gras, graue Wolken und das Meer. Totale Einöde. Trostlose, einsame Einöde. Frustriert rieb er sich über das Gesicht und kauerte sich an die Hauswand, schlang die Arme fest um die angezogenen Knie und legte den Kopf in den Nacken. So saß er da. Wie lange wusste er nicht, aber irgendwann verschwamm ihm die Sicht und er rückte in eine angenehmere Position. Ihn fror in der aufkommenden Nacht fürchterlich in den verschlissenen Klamotten, seine Zähne klapperten und in diesem Moment wünschte er sich die wohlige Wärme herbei, die er in der letzten Nacht an Tae's Seite empfunden hatte. Diese kribbelnde, herrliche Wärme. Sie fehlte ihm unsagbar.

Jungkook seufzte und wägte ab, wie er wohl am schnellsten Kontakt zu seiner Familie und den Freunden aufnehmen könnte. Sein Handy hatte er entweder auf dem Schiff verloren, oder der Sturm hatte es als Pfand behalten. Kleingeld oder andere Wertsachen trug er nicht bei sich, wie er schnell feststellte. So oder so fehlten ihm die Mittel. Seine einzige Hoffnung ruhte auf dem Leuchtturm – die sich offensichtlich als Fehlentscheidung herausstellte. Vielleicht war dieser Ort tatsächlich seit Jahren nicht mehr betreten worden, wundern würde es ihn nicht. Das wuchernde Pflanzengestrüpp sollte dringend wieder gestutzt werden.

Ocean Eyes  [MERMAID!AU]Where stories live. Discover now