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Jimin dachte sich nichts dabei, als er eines überraschend sonnigen Morgens in das Wohnzimmer trat und die Vorhänge zur Seite schob. Er blinzelte noch im selben Atemzug geblendet vom Licht, hatte er die intensive Wirkung nicht erwartet und erhielt ein merkwürdiges symbolisches Denken, wie es ihm als fertig studierter Tänzer ergehen würde. Doch dieses Kapitel stand noch weit, weit in den Sternen geschrieben. Für's erste galt die Lichtquelle der Sonne und keiner Reihe teurer Bühnenscheinwerfer. Es war lange her, seitdem das Wetter tatsächlich den versprochenen Sommer im Kalender repräsentierte, wolkenlos und wirklich schön, und er wollte jeden der Sonnenstrahlen genießen. Jeden einzelnen, vermeintlich kleinen Sonnenstrahl. Die Wärme. Es tat gut. Für einen Moment, einen sehr kurzen aber sehr behaglichen Moment, vergaß er seinen eigenen Disput und ließ sich wie ein schläfriges Kätzchen wärmen. Für einen sehr kurzen, sehr behaglichen Moment existierten die Probleme in seinem Leben nicht.

„Na dann, wollen wir mal anfangen", meinte er mit einem munteren Händeklatschen, losgelöst von seiner Schwermütigkeit durch den positiven Affekt des warmen Lichts, und ging summend in die Küche, wo er wie jeden Morgen das alte Radio aufdrehte und den Hits vergangener Epochen lauschte, während er Teewasser aufsetzte und das Frühstück vorbereitete. Jimin's Tatendrang durfte nicht mit häuslicher Ablenkung missverstanden werden, nein, er war schlichtweg kein geübter Langschläfer der länger als bis 7 Uhr ruhig in den Federn dösen konnte. In seinen Venen floss die Leidenschaft für Tanz, da konnte man sich nicht von heute auf morgen auf die faule Haut legen. Ein Sprichwort besagte, es bedarf 21 Tage, um eine feste Angewohnheit zu brechen. 21 Tage. 21 Tage? Unglaubwürdig. Jimin zählte schon gar nicht mehr mit, wie lang seine Routine schon andauerte und dennoch noch immer keine Änderung seiner Gewohnheiten sich bemerkbar machten. Es würde ihn nur entmutigen wenn er die Summe an Tagen addieren würde, die ihm Yoongi's Augenrollen bereits fehlten. Oder seine brummelige Art zu sagen, dass er von einer Idee überhaupt nicht begeistert war, sie aber dem Lebensflummie zuliebe mitmachen würde. Oder, wie sehr ihm Yoongi schlicht und generell fehlte. Dass es seltsam war, ohne seinen jahrelangen Partner plötzlich die kleinen Dinge zu tun, ohne ihn. Kaffee kochen. Einen lustigen Film im Fernsehprogramm gucken und sich über die unpassendsten Momente der Werbung aufregen. Autofahren. Besorgungen in der Stadt erledigen.

Jimin holte tief Luft und legte das Messer zur Seite, mit dem er das Butterbrot für Guiseppe in kleine Häppchen geschnitten hatte. „Reiß dich zusammen", mahnte er sich die Fassung zu wahren und blinzelte hektisch mit gehobenem Antlitz, um die Tränen zu verdrängen. „Grüble nicht so lange...deine Freunde brauchen dich", dachte er für sich, rief sich in Erinnerung, dass seine Mühen nicht umsonst blieben und er weitermachen musste. Durchhalten musste. Motiviert durch die sich bessernden Lebenszustände in diesem kinderberaubten Haus griff er zu dem Teekessel, und richtete anschließend zwei Tassen Kräutern an.

Seit dem nächtlichen Spaziergang vor drei Wochen, den er trotz seiner anfänglichen Skepsis als befreiend empfunden hatte und nebst seinem Freund hergegangen war, wirkte Tae wieder ein bisschen besonnener und rücksichtsvoller zu denken. Er aß. Er schien zudem besser zu schlafen – zumindest wurde Jimin nicht mehr so häufig durch gedämpfte Schluchzer geweckt, die von der anderen Seite der Zimmerwand hallten. Und das war es wert, dass Jimin so früh aufstand und sich in die Küche stellte, um Jungkook's Gefährten und dessen ungeborenes Kindlein zu umsorgen. Es sollte ihnen an nichts fehlen, wo Tae schon genug durchmachen musste. Aber Jimin ließ sich nicht beirren, er kümmerte sich rührend und tat alles in seiner Macht stehende, um Tae beizustehen und nicht noch tiefer fallen lassen.

Vor einer Woche, als er in der Stadt die wöchentlichen Einkäufe tätigte und an einer Apotheke vorbeischlenderte, hatte ihn ausgelöst einer Werbeplakatierung ein sehr ungutes, sehr gehetztes Empfinden heimgesucht. Und damit verbunden automatisch der Drang, in das Geschäft zu gehen um sich die Vielzahl an Flyern und Informationsbroschüren genauer anzusehen, die der Grund für seine zittrigen Hände darstellte.

Ocean Eyes  [MERMAID!AU]Where stories live. Discover now