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Die Zeit heilt alle Wunden.

So heißt es.

Mit einem schwermütigen Seufzen, einem Seufzen in dem die kurze Differenzierung zwischen Schluchzen und betäubter Gleichgültigkeit mitschwang, rollte sich Tae tiefer in die Decken des Bettes, in dem er lag. Sein Herzschlag ebbte nicht ab, er pumpte konstant weiter und doch durchlitt der geplagte Teil des einstig schönsten Seelenheils pure Emotionslosigkeit. Instinktiv, weil der Druck auf seinen Lungen und der wachsende Widerstand in seinen ozeanblauen Augen sich drastisch erhöhte, vergrub er sein Gesicht schutzsuchend in den Kissen. Die schichtartige Verpackung, die zu seinem kläglichen Leidwesen fürchterlich gut nach der besonderen Duftnote seines vermissten Gefährten in seinen vernebelten Verstand drang, die ihn an seinen Verlust permanent erinnerte, erweckte sowohl das Gefühl von ein kleines bisschen Geborgenheit, als auch brennender Sehnsucht. Er war nicht mehr komplett. Etwas fehlte, etwas sehr wichtiges und unwiderruflich unersetzbares hatte ein klaffendes Loch hinterlassen. Tae schniefte niedergeschlagen. War das die berüchtigte Krankheit, die die Zweibeiner als Depression betitelten? Die Lustlosigkeit, die nicht schwindende Müdigkeit egal wie viel Tae auch schlief und döste. Der täglich abnehmende Selbsterhaltungstrieb.

Wie damals.

Wie damals fühlte er sich, so allein und...zurückgelassen. Allein gelassen. Und es rührte ihn zu bitteren, trockenen Wimmern.

J-Jungkook...", hauchte er unglücklich und krallte sich haltsuchend an die leere Seite der Matratze, die Seite, auf der sein Geliebter hätte liegen und Tae in seine starken Arme nehmen sollte. Diese Seite wurde inzwischen von Leere und Gewissenbissen bewohnt. Von Tata, dem Plüschie seines Söhnchens welches ihm vorführte, wie viel er wirklich verloren hatte. Alles. Alles duftete, alles schrie, alles verspottete Tae, alles hier erinnerte ihn an den besten Teil von sich selbst. Der beste Teil, der ihn liebte für den, der er war – ohne Krone, ohne Glitzersteine, ohne Anspruch auf den Reichsthron. Der beste Teil, der Tae so sehr liebte, dass dieser Liebschaft sogar gesunde und muntere Kinderlein hervorbrachte.

Ein Schluchzer rüttelte an der fragilen Statur des Ozeaners, dessen Haare unordentlich und zerzaust vom Kopf abstanden.

„...b-bitte, s-sei wohlauf...k-komm wieder..."

Diese Laken, in denen sie sich liebten und sich ihre Seelen vereinten wie es nur vorbestimmte Seelengefährten imstande waren zu tun, wie es nur die prächtigste Romanze herbeiführen könnte, dufteten nach Jungkook. Alles. Jungkook, der Tae so entsetzlich fehlte, dass der Ozeaner nicht klar benennen konnte, welche Emotionen intensiver in ihm wütete.
Sehnsucht?
Trauer?
Leere?
Betäubung?
Er wusste es nicht.
Es tat nur weh, so furchtbar tat es weh, auch nur einen einzigen Atemzug zu tätigen. Denn jedes Mal, in welchem er Luft einatmete, schnitt sich sein Inneres an den Scherben seines zerbrochenen Herzens, das einfach nicht repariert und geflickt werden konnte.

Die Zeit heilt alle Wunden.

Jungkook hatte Tae oft dieses Sprichwort nahegelegt, wann immer sich der Ozeaner für seine zurückhaltende Art schämte oder sich merklich unwohl fühlte, in der Gegenwart des Menschen die Kleider fallen zu lassen. Ganz am Anfang, ganz am frischen Anfang dieser Beziehung als die düsteren Lasten der meerischen Erfahrungen den Verstand des zum Mensch gewordenen Regenten zu zerbrechen drohten. Als die Liebe zweifelsfrei da war, jedoch von Angst und heimsuchenden Spukvisionen überschattet war. Tae liebte Jungkook, hatte und würde er immer, doch die Absenz seiner schützenden Kleidung, der kuschligen Pullover und der bequemen Schlafhosen, hatte ihm aufgrund vergangener Zumutungen das Adrenalin zur Flucht in den Körper geflutet und es war wirklich nicht selten vorgekommen, dass sich der Ozeaner von dem besorgten Blick seines Gefährten abwandte. Weil er sich schämte. Weil er sich in der Anwesenheit seines geliebten Jungkook so schwach und entblößt fühlte. Weil er so schwerlich zu händeln war. Weil er sich nicht rasch genug von den Erinnerungen lösen vermochte, die ihm die Angst in die Glieder setzte und die es ihm unmöglich gestaltete, die sanften Berührungen zu mögen...oder gar zuzulassen. Für den gebrochenen Geist implizierte eine Hand, die sich auf sein Knie legte um es aufmunternd zu streicheln, die unausgesprochene Einforderung des Privilegs, sich an der gemeinsamen Intimität zu bedienen. Sie hatten zueinander gefunden im Geist, und diese keimenden Funken erblühten zu den schönsten Farbkompensationen, als sich ihre Körper näher kamen. Diese Gefühle waren nie der körperlichen Bewusstseinsebene entsprungen.

Ocean Eyes  [MERMAID!AU]Where stories live. Discover now