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„Dadda!"

Jungkook's Interesse an Tae wurde lediglich durch sehr wenige Faktoren getrübt. Beispielsweise eine Naturkatastrophe die sie hätte treffen können, oder wenn Guiseppe's altersbedingte Krankheit ohne eine Chance auf Heilung immerzu weiter von der gütigen Seele des Alten auffraß und ihn zu einem realitätsverlusten Gegenstand umfunktionieren wollte, oder...tja, oder ein Knirps mit kullerartigen ozeanblauen Äuglein und einer so goldigen Schmollmiene, dass Jungkook's untrübbarer Vaterinstinkt über ihn Besitz ergriff und er für seine Kinder von Tae abließ. Grinsend hob er sein schmollendes Nesthäkchen hoch und platzierte es lässig auf seiner Hüfte, legte den freien Arm zurück um Tae's Mitte und zog ihn näher in die familiäre Beisammenkunft. Sein Gemüt entspannte sich in dem Wissen, dass es seinen Engelchen gut ging und sein Sternchen wohlauf in seinen Armen schwelgte, gesund und befreit von den traumatischen Erfahrungen die er unter der Meeresoberfläche gesammelt hatte.

„Dadda", kicherte Noah unaufhörlich weil Jungkook lustige Fratzen zog und den Kleinen neckte, und während sich Tae in die Umarmung seines Gefährten schmiegte, dabei selbst mit einer Hand Noah's Haare richtete und wohlig ausatmete, streichelte der salzige Geruch der See um ihn. Um seine Beine, die ihm längst nicht mehr so fremd erschienen wie am Anfang seiner Verwandlung. Seiner Gestaltwandlung. Mit diesen zwei menschlichen Beinchen, die ihn endlich nach all der Dunkelheit endgültig von dem goldenen Palast des lichten Meerreiches freigaben, von den Zwängen und dem prunkvoll überbewerteten Lebensstil und der einsamen Isolation, mit diesen zwei menschlichen Beinchen wurde der Ozeaner zu einem Rassengefährte der Landwesen. Er kuschelte sich so unendlich von Frieden erfüllt an Jungkook's Brust, an die Wärme die von ihm ausging, und als er seinen Standpunkt durchdachte, was er alles durchmachen musste um heute hier stehen und seine eigenen ozeanischen Augenperlen in dem Gesicht seines leibeigenen Sohnes betrachten zu können...

Mit der Freude verhält es sich in etwa so mit der Trauer.

Fühlt man zu viel dieser intensiven Emotionen, kann der menschliche Körper mit diesen nicht mehr umgehen und diese Überforderung, dieses überfließende Fass an geballter Freude und reinster Dankbarkeit, floss über. Floss über wie ein rauschender Bach, benetzte die Wangen mit Tränen und trieb Nostalgie in die Äuglein.

Tae erging es oft so.

Und jetzt, mit seiner kleinen, perfekten und wundervollen Familie hier stehend, vor dem mystischen Meer aus dem er stammte und in dem er kein Zuhause finden vermochte, fühlte es sich tatsächlich an, als erhielte das Wort „Freiheit" endlich die ihm gebührende Bedeutung. Ich bin frei, dachte er zum wiederholten Male und schluckte, um die Tränen zu unterdrücken, als er auf die weite Ozeanfläche sah. Für immer frei. Sein Blick wanderte zu dem Klippenstein, der in die schäumende Brandung ragte und an dessen Unterseite sich die Wellen brachen, sich Muscheln sammelten die Rosie so gern zum Spielen nahm. Genau dort davor, an dieser Stelle vor 8 Jahren wurde Tae durch die Gestaltwandlung untersagt, jemals wieder in das lichte Meerreich heimzukehren. Er galt als unwiderruflich dem ozeanischen Volk verstoßen und seinen royalen Ansprüchen entzogen, dem Amt als Kronträger für immer und ewig enthoben. Und das war perfekt. Absolut perfekt.

„Warum weinst du?", fragte Jungkook's besorgte Stimme plötzlich und Tae schniefte, wischte sich lächelnd die Tränchen aus seinen ozeanblauen Augen und flüsterte schwach: „Weil ich so glücklich bin, dass mein Wortschatz keine verbale Äußerung weiß, mit der ich ausdrücken könnte, wie entsetzlich glücklich ich bin". Erleichtert durch diese lammfromme Antwort küsste der Mensch seinen Gefährten auf die Wange, atmete tief den vertrauten Duft von Meer und Lavendel ein und verweilte in harmonischer Stille mit dem ozeanischen Blut.

Noah, dem die Tränen seiner Mutterfigur wohl ein falsches Zeichen sendeten und sich auf sein empathisches Gemüt auswirkten, zog ebenfalls die Nase hoch und seine Lippe begann verdächtig zu zittern. Die Miniaturausgabe des Ozeaners wimmerte und machte Gestiken, dass er in den Arm genommen werden wollte. Musste. Tränchen spiegelten sich in seinem Antlitz, die es galt nicht fallen zu lassen. Rasch lachte Tae beherzt, drückte seinem Wonneproppen tausend Schmatzer auf die Bäckchen und nuschelte beruhigt mit dem einstimmigen Glucksen in den Ohren: „Wie auch deinen Geschwistern gehört mein Herz ganz dir, mein Süßer. Hörst du? Erfreue dich an dem wundervollen Leben, das vor dir liegt und auf dich wartet. Jede einzelne Sekunde. Da draußen ist jemand, der nur auf dich wartet", sprach seine Erfahrung aus ihm, flößte dieser Botschaft eine ernste Wahrheit ein die für das Kind noch unbegreiflich war. Jungkook dagegen, dem selbst ganz wehmütig wurde bei dieser kindlichen Zuversicht, holte tief Luft und blinzelte hektisch, bevor er seine beiden Herzblätter an sich drückte und dabei auf die kristallblaue See blickte. Langsam schwiffen seine korallbraunen Augen über die Oberfläche, die von keiner Welle erzürnt spiegelglatt vor ihnen lag und funkelte.

Ocean Eyes  [MERMAID!AU]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt