Nervosität lässt grüßen

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Schon wieder streifte meine Hüfte den Küchentisch und hinterließ einen schmerzenden blauen Fleck. Warum muss ich denn auch immer so knapp daran vorbeilaufen? Abrupt blieb ich stehn. Mein Hirn ist echt zu blöd zum Denken. Sofort machte mein Körper eine 180 Grad Wendung und schnappe nach zwei großen Schritten meinen Geldbeutel, den ich auf der Eckbank liegen gelassen habe. Ein hastiger Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich eigentlich schon im Auto sitzen sollte. Prüfend brachte ich die Sachen in meiner Handtasche nochmal durcheinander:

Trinkflasche - check, Wasser in der Trinkflasche - check, Geldbeutel - nun auch - check, Unterlagen - check, Texte - check.

Weitere schnelle Schritte führten mich zur Garderobe, wo ich mehr oder weniger schwungvoll meine Jacke um mich warf, den Autoschlüssel von meinem genialen Schlüsselbrett nahm und schließlich die Treppe runter polterte. Ohne diesem Schlüsselbrett wär ich echt geliefert. Dann würde ich nochmal 20 Minuten später kommen, weil ich noch verzweifelt unter irgendeinem Tisch rumkriechen würde, um den unauffindbaren Schlüssel zu suchen.

Mit Schuhen und meiner Tasche um die Schulter lies ich die Haustüre hinter mir zufallen und wenig später saß ich auch schon im Auto. Nervös versuchte ich den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken, aber meine Hand zitterte zu sehr.

„Komm schon Lia - jetzt reiß dich zusammen."

Ich atmete noch mal tief ein und wieder aus.

„Lia, du kannst das."

Ein und wieder aus...

Ein weiterer Versuch lässt mich einlochen und schon jault der Moter hoch.

„Geht doch."

Warum muss ich auch immer so nervös sein? Wie oft hab ich diese Prozedur jetzt schon hinter mir? Vier Mal? Fünf Mal? Wohl einmal zu wenig, um nicht mehr nervös zu sein.

Wie automatisch schob sich der auswendiggelernte Text in meinem Kopf, doch boxte ich ihn gleich wieder weg. Du kannst den Text, du brauchst ihn nicht nochmal durchzugehen.

Nach weiteren Selbstgesprächen, parkte mein Auto schließlich auf einen der freien Plätze an meinem Ziel. Ungeduldig räkelte ich mich nach vorne, um durch die Windschutzscheibe das hohe Gebäude hinauf zu schauen. Auweier, jetzt wird's ernst.

Ich schnappte meine Sachen und näherte mich im schnellen Schritt dem Eingang. An der Glastür sah ich zu meinem Erfreuen schon ein Hinweisschild hängen, damit ich gleich wusste wo ich hinmusste. Wie von selbst trugen meine Beine mich die Treppe hoch und ließen mich kurz darauf links abbiegen, obwohl ich in dem Moment lieber wieder rausgerannt wäre.

„Lia, DU wolltest das. Du sagtest, das wär dein größter Traum, schon vergessen?", meldete sich mein inneres Ich zu Wort.
Meistens nervt diese blöde Stimme, aber diesmal hatte sie Recht. Es ist mein größter Traum, und mit diesem Casting bin ich ihm einen Schritt näher.

„Entschuldigung, wollen Sie auch vorsprechen?", eine komisch freundliche Stimme ertönte neben mir.

Ich muss wohl ohne es bemerkt zu haben einfach bei dem Tresen zum Einschreiben vorbeigegangen sein. Ertappt drehte ich mich um und sah einer äußerst hübschen Frau in die Augen.

„Ja, Verzeihung. Lia Penterson."

Schnell kramte ich meine Unterlagen hervor, doch die Frau vor mir meinte mir stattdessen andere Zettel in die Hand zu drücken.

„Bitte das ausfüllen."

Leicht überfordert nahm ich die Blätter entgegen und setze mich auf einen der freien Stühle.

Erst jetzt bemerkte ich, dass ich nicht die einzige hier war. Warum sollte ich auch alleine hier sein? Dumm. Lia, einfach nur, dumm.

Ich begann die anderen Wartenden zu mustern. Die eine hatte so eine karierte Künstlerhose an und ein weites T-Shirt, und der eine Typ eine lässig lange Jacke und lange Socken unter der hohen Hose. Ja, ich muss sagen, die sahen aus wie Schauspieler. Keine Ahnung ob man die alle in eine Schublade schieben kann, aber ich finde die haben alle so dieses etwas. Das merkte ich bei den anderen Vorsprechen auch schon. Schauspieler sind ein eigenes Volk.

Ich weiß nicht genau was ich dazu beitrage, aber ich glaub mit meiner verrückten offenen Art pass ich da ganz gut rein.

Ich kanns echt immer noch nicht glauben, dass ich jetzt hier bin. Niemals dachte ich, dass in meiner kleinen Stadt jemals ein Casting sein würde. Ich bin echt ein Glückspilz. Ich weiß nicht wie lange ich schon davon träume in einem Film mitzuspielen. Sein Gesicht auf der Leinwand zu sehen, in wunderschöner Kulisse, mit Sonnenuntergang, Wind in den Haaren und mit dem perfekten Mann... Ja, nur schade, dass dieser Film nicht annähernd so romantisch ist, ins Kino kommt er auch nicht, und wer weiß, ob ich die Hauptrolle bekomme...

„Timon Kumeran", ein lauter Aufruf riss mich aus meiner Träumerei.

Ein junges Mädchen kam aus dem Castingraum und huschte bei mir vorbei. Ich konnte Enttäuschung in ihrem Gesicht erkennen, was wohl soviel wie „Du bist nicht die Richtige" bedeutete.

Wie oft hab ich das schon gehört. Aber man sagt, das ist normal. Als Schauspieler musst du hart sein. Die ganzen Absagen dürfen dir nichts ausmachen. Du darfst einfach nie aufhören es zu probieren. Wenn ich nach jeder Absage am Boden zerstört wäre, würde ich glaub das ganze emotional schon lang nicht mehr schaffen. Dann würd ich jedes Mal weinend in der Ecke liegen und ein Taschentuch nach dem anderen vernichten.

Auf den Boden fallende Zettel lockten mich aus meinen Gedanken. Oh, da sind mir wohl meine Papiere runtergerutscht, die ich doch schon längst ausfüllen hätte sollen.

Wo bin ich denn mit meinen Gedanken heute? Normalerweise bin ich doch nicht so abwesend.

Nachdem ich diesen unnötigen Papierkram ausgefüllt und abgegeben hatte, ging ich in einen anderen Raum, wo man sich aufwärmen konnte.

Ja, Schauspieler machen immer die komischsten Aufwärmübungen, um locker zu werden. Einmal hatten wir alle zusammen Gorilla-Schreien gemacht. Wie genau das aussah oder sich anhörte möchte ich nun nicht genauer erklären. Aber danach war ich definitiv locker.

Ich begann meine Arme zu schwingen, doch eine sich öffnende Tür lies mich erschrecken.

„Oh Entschuldigung, hab ich dich erschreckt?"

Ein weiterer Angemeldeter, der sich als verdammt nochmal wahnsinnig gutaussehender Mann entpuppte, lächelte mich von der Seite an.

Automatisch musterte ich ihn von oben bis unten. Er trug eine helle Jeansjacke und mega schicke Schuhe, was einen guten Geschmack in meinen Augen ergab. Kurz blieb mir der Atem weg, als ich mich erinnerte noch nicht auf seine Frage reagiert zu haben.

„Ehm, ja... naja... ich war in meinen Gedanken!"

Er grinste kurz bevor er mich mit süßlicher Stimme fragte:

„Aufgeregt?"

Oh wie peinlich! Sieht man mir das so extrem an? Kann man das etwa schon von 10 Meter Entfernung riechen oder was?

Ich drehte mich leicht beschämt zur Seite.

„Leider, immer noch", gab ich genervt von mir und fing wieder an meine Arme zu schwingen.
Irgendwann muss diese Nervosität doch aufhören!

„Ich glaub erst beim zwanzigsten Mal wird man lockerer", gab er lächelnd zu und begann auch seine Arme zu lockern, die btw schon sehr durchtrainiert waren!
Ich musste echt darauf achten da nicht immer hinzustarren, wenn er sie um seinen Körper baumeln lies.

Nach gefühlten Sekunden, wird ein weiteres Mal die Türe aufgerissen, nur diesmal hektischer und um einiges schneller.

„Lia Penterson!?"

Die blonde hübsche Frau vom Empfangstresen sah mich mit großen Augen an. Als ich ihr, angesteckt von ihrer Hektik, mit schnellen Schritten folgte, realisierte ich, dass es nun wieder ernst wird!

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