9 - Der größte Fehler meines Lebens

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In die Leere starrend, verfiel er in Gedanken. Seit Tagen befand er sich in einem verträumten Zustand. Er ließ es keinem anmerken, oder versuchte es zumindest.
Die Aussicht zog ihn an. Für einige Sekunden stand er reglos vor dem Fenster. Er verfolgte die fahrenden Autos auf der Straße. Dann wurde sein Name erwähnt.
„Cihan'ım? (Mein Cihan?)", klang die sanfte Stimme seiner Mutter. Lächelnd blickte er die kleine Frau an. Nur seine Mutter nannte ihn so. Nur ihr hatte ihr das Recht gegeben.
Sie wollte sichergehen, dass es ihrem ältesten Sohn gut ging.

Seine Mutter lud ihn gelegentlich zum Essen ein.
„Das Essen ist bereit.", winkte sie ihn mit einer Bewegung zu sich. Hakan ging im selben Moment durch die Tür und gesellte sich den beiden.
„Wo ist Meyra?", fiel ihm sofort die Abwesenheit seiner Schwester auf.
„Sie ist bei eurer Oma. Sie wollten Gerichte für die Gäste vorbereiten, die dieses Wochenende für die Hochzeit anreisen werden."
„Ach so"
„Eine Hilfskraft können sie noch gebrauchen.", spaßte Sahar.
„Da bin ich raus.", hielt Hakan die Hände in die Höhe.

Verstummt saß Cihan vor sich hin und rührte kaum die Suppe an. Sahar warf Hakan verwirrte Blicke zu, im Sinne von, was mit Cihan los war. Sein jüngerer Sohn zuckte mit den Schultern. Cihan sprach nie mit seiner Mutter über seine Probleme. Sie verfügte jedoch über die Gabe, seine Kummer zu durchschauen.
„Und Cihan? Wie geht es dir zurzeit? Läuft die Arbeit gut?", wandte sie sich ihm.
„Alles ist gut. Wie immer."

Das wollte sie kaum glauben. Als der Clan ihn bedrohte, zitierte er ebenfalls diese Worte.
„Weißt du schon, was du am Wochenende anziehen wirst? Meyra und ich waren gestern in der Stadt und haben mein Kleid abgeholt. Zum Glück habe ich auf dich gehört und habe es beim Maßschneider angefertigt."
Den Schneider lernte Cihan durch Sima kennen.
„Ich hatte dir gesagt, dass du mir vertrauen kannst.", blickte er seine Mutter an.
„Ja, ich solle dir auch einen Gruß von der Schneiderin ausrichten."

Hakan schlang das Essen runter und verabschiedete sich auch schon. Seine Freunde standen in einem alten Mercedes vor der Tür.
Cihan hatte keinen Appetit mehr und lehnte sich gelassen zurück. Die Serviette in seiner Hand zerknüllte sich in seiner Faust.
Sahar redete aufgeregt über die Hochzeitsorganisationen. Cihan bezog sich nicht wirklich ins Gespräch.

„Gibt es immer noch keine Neuigkeiten über Nassim?", fragte sie besorgt. Sie wusste, dass der Gedanke ihren Sohn beschäftigte.
„Nein"
„Mache dir keinen Kopf darüber. Halte dich fern von ihn und seinen dunklen Geschäften. Nichts ist wichtiger als deine Sicherheit!", umgriff sie Cihans Hand.

„Er hat mich beklaut! All die Erinnerungen sind weg. Die Kette, die du mir als Kind geschenkt hast, die wertvolle Kette meiner Oma - alles."
Ihre Blicke verfinsterten sich.
„Das Schicksal wollte es so Cihan. Schaue nach vorn. Schon damals wusste ich, dass mit Nassim etwas nicht stimmte."
Von Freunden erwartete man den Verrat am wenigsten.

„Alles, was du sagst, wird wahr Ummi (Mutter).", umklammerte Cihan ihre Hand.
„Würdest du öfter auf mich hören mein Sohn... Genauso weiß ich, mit welcher Frau du ausgehst. Sie ist nicht gut für dich Cihan.", deutete sie auf Sima.
Cihan tat so, als ob er nichts gehört hatte und stand auf. Mit seinem Teller machte er Abgang in die Küche. So kratzig er reagierte, schloss seine Mutter das Thema ab.
Cihan machte sich langsam auf den Heimweg. Seine Mutter hatte sich auf jeden Fall auf den Besuch gefreut.

„Ben iyiyim anne. Beni merak etme. (Mir geht es gut Mama. Mache dir keine Sorgen um mich.)", bat er und umfasste ihr Gesicht.
„Peki oğlum. Kendine dikkat et. (Na gut, mein Sohn. Pass auf dich auf.)"
Als Libanesin sprach Sahar fließend türkisch.
„Sen de. (Du auch.)", verabschiedete er sich und ging fort.

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