5 - Worte des Herzen

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Höre auf dein Herz. Denn es wird das wiedergeben, was dir dein Verstand offenbaren möchte.
~ demez34


















Mittwoch
Einsam durch die dunklen Straßen wandelnd, betäubte er sich mit der kalten Nachtluft. Sie raubte ihn den Atem aber belebte gleichzeitig seine Sinne. Die Uhren zeigten eine späte Uhrzeit an, um der Menschen in ihre Traumwelt verfielen.
Doch für ihn bedeutete diese Uhrzeit die Erinnerung an seine Vergangenheit.
Die Vergangenheit, die alles veränderte. Die seine Identität auslöschte und ihm eine neue zuordnete.

Sanfte Windzüge begleiteten ihn. Sowie ein großes Gefühl von Leere. Es war selbst keine Leere mehr, eine Lücke - eine Schlucht lauerte in dieser einsamen Seele. So groß, dass man sich darin verirren konnte.
Leere Straßen überquerte er, nur am Ende davon sicherzugehen, dass er noch Gefühle besaß. Eigentlich wusste er, dass sein Herz noch mit allen Sinnen schlug. Die Kälte fühlte er kaum. Das einzige, was er fühlte, war sein Schmerz.

Dieser Ort - war so kalt, sodass keine Wärme der Welt, ihn erwärmen konnte. Sie war kalt wie die eiserne Nach, in der ihm die Stadt den Rücken kehrte. Sie war so kalt, dass er seine Gefühle an dem Tag erfrieren ließ.
Dieser Ort war sein Schmerz und seine Freude zugleich. Freude, denn es erinnerte ihn daran, wie schön das Leben einmal war.
Seine Erinnerungen vergrub er in die Tiefen der Straßen.
Die Laternen spendeten der Dämmerung Licht, aber nichts mehr konnte seine einsame Seele erhellen.

Wieso kehrte man nach Jahren an den Ort zurück, an dem man einen wichtigen Menschen verlor? Wieso blickte er auf das Ufer und erfrischte seine vergangenen Gefühle?
Vielleicht weil er diese Menschen um sich vermisst hatte. Und ihre Nähe nur in seiner Traumwelt noch spüren konnte.
Vielleicht, um diese Gefühle noch einmal zu spüren, und dann nie wieder mehr von ihnen befallen zu werden.
Es war seine jahrelang blutende Wunde. Manche Wunden sind so tief, dass sie sich vielleicht schließen, doch innerlich immer noch bluten...

-

Mittwoch, 14:50 Uhr - Frankfurter Innensadt
Heute müsste wohl der stressigste Tag meiner Woche sein. Umso mehr freute ich mich auf den Feierabend in einer Stunde.
„Willst du Kaffee?", trat Naima an der Türschwelle auf.
„Gerne. Bisschen Koffein könnte ich gebrauchen.", blickte ich vom Bildschirm hinauf.
„Konntest du Hinweise zum Überfall am Hafen finden?", fragte Naima kurze Zeit später. Kopfschüttelnd antworte ich ihr.
„Es gibt zu wenige Beweise, um einen Schuldigen vorzulegen..."
„Schade. Überfordere dich aber bitte auch nicht. Du bist keine Polizistin.", erinnerte sie mich.
„Asel ist Polizistin?", trat Engin im nächsten Moment herein, der das Gespräch gehört haben müsste.
„Ja, ihr Teilzeitjob. Wusstest du es nicht?", gab Naima ironisch von sich und brachte uns zum Lachen.
„Wollen wir am Mittag zusammen essen?", schlug Engin daraufhin vor.
„Bei mir sieht es schlecht aus. Ein anderes Mal vielleicht.", erfand ich eine Ausrede. Engin hatte ich gern, aber ich war nicht in der Stimmung mit ihm und Naima auf ein Essen zu gehen.

Etwas später begann mein Handy zu klingeln. Ich wollte es stummschalten, um ungestört weiterzuarbeiten, aber dann erschien Ensars Name auf dem Bildschirm.
„Asel... können wir reden?", hörte ich nach Tagen seine Stimme. Ich hatte ihn so sehr vermisst!
„Ensar! Neredesin? Meraktan öldüm ben! (Wo bist du? Vor Besorgis bin ich gestorben!)", kamen mir unmittelbar Tränen hoch.
„Çok - çok özür dilerim! (Es tut mir so - so sehr leid!)", begann seine Stimme zu zittern. Tief atmete ich die Luft ein und unterdrückte Schluchzer. Ich konnte es nicht in Worte fassen, wie erleichtert ich war.

„Geht es dir gut? Ich muss dich sehen!"
„Mir geht's gut, mach dir keine Sorgen. Morgen komme ich, okay?"
„Wenn du nicht kommst Ensar, dann werde ich dir nie wieder mehr verzeihen!", sicherte ich enttäuscht.
„Gelecem. (Ich werde kommen.)", versprach er. Im Hintergrund hörte ich ihn jemand rufen. Er musste auflegen und wir verabschiedeten uns. In welche Schwierigkeit hast du dich bloß gesteckt?

Gefangen in dirWhere stories live. Discover now