30 - Der Gefangene

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Die schlimmste Art von Gefangenschaft ist, im Herzen einer Frau gefangen zu sein, dessen Nähe verboten für dich ist.

~demez34


























Ihr Geruch war ein betäubendes Mittel, das seine Sinne benetzte und die Realität in einen unnahbaren Traum verwandelte.
Seinen Traum zu leben, müsste ein Privileg sein.
Den einsamen Mann benebelte kein Rauschgift, sondern die blanke Sehnsucht nach Frieden. Während jeder die Hoffnung auf Frieden zu verloren schien, klammerte er sich umso mehr an die Hoffnung.

Ein Mann, der die bittere Hoffnungslosigkeit kosten durfte und danach aufgestanden ist, wird Ziele haben, an die niemand glauben wird. Denn wie sollten wir Menschen leben, ohne an das Gute zu glauben?
Die Freiheit kennen die Gefangenen am besten.
Doch die schlimmste Art von Gefangenschaft ist, im Herzen einer Frau gefangen zu sein, dessen Nähe verboten für dich ist.

Irgendwann hörte Cihans Glauben an Verbote auf. Nämlich dann, als die Stimme seines Herzens die Stimme des Verstandes erhöhte.

Asels Körper bebte bei jedem Schluchzer. Die Rede trieb sie in Melancholie. Wie ein Treibsand, sank sie immer mehr und mehr in der Tiefsinnigkeit der Worte. Als sie dachte zu ersticken, wurde sie aufgefangen, umarmt.
Und in dieser Position verblieben sie, bis die letzte Spur von Sehnsucht verwischte.

„Cihangir!", wisperte Asel irgendwann.
„Ich bin Cihan für dich!", forderter dieser, wie in ihrer Kindheit.
Langsam glitten ihre Hände von seinem Nacken herab.
„Wie konntest du so lange still bleiben, obwohl es in dir brannte?", fragte sie verwundert. Er schlug die Augen auf und verharrte, als er ihre Blicke fand.

„Ich halte es irgendwie aus... Wann bist du gekommen?", wollte Cihan stattdessen wissen und wischte die Tränen weg.
„Kommst du ihn oft besuchen?"
Er schüttelte den Kopf.
„Das kann ich auch nicht.", gab Asel zu. Sie konnte ihm nicht mehr in die Augen schauen, nach der leidenschaftlichen Umarmung, die einen Oscar verdient hätte.

„Oh nein... die Blumen!", beugte sich Asel runter. Zwischen den Scherben versuchte sie die Blume zu retten. Ihr Kopf war gar nicht bei der Sache. Das Herz pochte noch wie verrückt. Zudem saß die Trauer auf ihrem Herzen.
„Vergissmeinnicht.", erkannte Cihan den Namen der Blume.

Auf Ertans Grab fand die Blume ihren Platz. Die blauen Blüten waren zerkratzt, doch auf gut Glück würde die Blume aufblühen. Anschließend goss sie Cihangir. Der Wiederbelebungsprozess der Blume geschah wortlos.
Je länger Asel den Grab fixierte, umso schwerer wurde es ihr ums Herz.

Sie holte ein kleines Buch aus ihrer Tasche raus und las einige Gebete für ihren verstorbenen Bruder vor. Sie spürte die belastenden Emotionen im Inneren aufwirbeln.
Denn jedes Mal erinnerte sie der Anblick an den Tag der Beerdigung. Selbst das Wetter trauerte heute. Hinter den Wolken versteckte sich die Sonne.

Asel packte das Buch ein und kniete sich runter. Cihan ahnte schon ihre kommenden Tränen.
„Biliyor musun? O gün en çok seni yanımda isterdim! Ama sen yoktun Cihan. O gün yalnız kaldığımı anladım. (Weißt du? An dem Tag wollte ich am meisten deinen Beistand! Aber du warst nicht da Cihan. An dem Tag habe ich verstanden, dass ich von nun an allein bin.)", offenbarte Asel Jahre später eine Wahrheit, die Cihans Herz zersägte.

Tränenerfüllt zwang sie sich auf die Beine. Die Rede war noch nicht beendet.
„Ertanı omzunda taşıyamadın bile! Sessizce kayboldun hayatımdan! Bugünde karşıma çıkmışın, yanındayım diyorsun! (Du hast Ensars Sarg nicht einmal mitgetragen! Still bist du aus meinem Leben verschwunden! Heute stehst du vor mir und sagst, dass du neben mir ständest!)", urteilte Asel den jungen Mann. Der Schmerz saß noch tief in ihrer Seele. Nichts hatte sie vergessen. Keine Träne, die sie vergossen hatte.

Gefangen in dirWhere stories live. Discover now