11 - mein Mondschein

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„Aufstehen!", rief ich ins Zimmer rein. Die Rollladen zog ich hoch. Ensar kniff die Augen fester und wälzte sich zur Seite.
„Es ist 8:30 Uhr. Zeit aufzustehen."
„Es ist deine Uhrzeit aufzustehen! Nicht meine.", kämpfte er gegen mich an.
„Hadi Ensarcığım. Kahvaltı masada hazır. (Los, mein lieber Ensar. Das Frühstück steht auf dem Tisch bereit.)", wuschelte ich durch seine Haare und verließ den stickigen Raum.

Zehn Minuten später saß der Herr am Tisch und würgte mir genervte Blicke zu.
„Was ist schlimm daran? Heute frühstücken wir ausnahmsweise gemeinsam.", reichte ich Ensar eine Tasse Tee.
„Ja, alles schön und gut aber eine halbe Stunde hätte ich noch gebraucht.", nuschelte er gähnend vor sich.

Am späten Abend war er nachhause gekommen. Der Türschloss hatte sich aufgedreht, kurz bevor ich eingeschlafen war. Es war ein Mutter-Instinkt, das in in mir trug. Bevor mein Bruder nicht Heim kam, konnte ich nicht einschlafen.
„Wie war's mit den Jungs?", fragte ich nach. Seine Miene erstarrte.
„Gut. Wir haben gechillt und so."
„Du bist pünktlich nachhause gekommen. Früher als gedacht sogar.", hakte ich verdächtig nach.

Verunsichert kratze er sich am Hinterkopf. Seine Zeichensprache kannte ich mittlerweile inn und auswendig.
„Ja, wir haben uns früher getrennt."
„Ist etwas geschehen, oder warum hat dich die Frage verwirrt?"
Ensar lehnte sich nach hinten und legte den Kopf in den Nacken. Dann baute er den Blickkontakt wieder auf und zog die Braue zusammen.

„Ich habe Cihan getroffen.", hörte ich auf einmal.
Was soll Cihan mit meinem Bruder zutun haben?
„Ich war mit den Jungs am Park. Dann ist, wieso auch immer, Cihan gekommen und hat mich nachhause gefahren."
Ensar nahm einen Schluck vom Tee, während ich versuchte, zu mir zu kommen.
„Ne diyorsun sen? (Was meinst du?)", trat ich vor. Als ob es nicht gereicht hätte, dass es mir begegnete, kreuzte er noch über Ensars Weg auf? Frankfurt ist keine kleine Stadt. Das müsste ein zu großer Zufall sein.

„Yalan mı söyleyim sana? (Soll ich dich anlügen?)"
Ich glaubte meinem Bruder, aber der Zufall schockierte mich.
„İşin garibi de ne, biliyor musun? (Weißt du, was das Seltsame an der Sache ist?)", trat er ebenfalls vor.
Gespannt wartete ich auf seine Antwort.
„Evin yolunu biliyordu. (Er kannte den Heimweg.)"
Als ich das hörte, verschluckte ich mich. Hustend versuchte ich zu mir zu kommen.

„Wie bitte?", bekam ich brüchig raus.
Meine Adresse habe ich niemals offenbart!Verfolgte mich Cihan etwa? Eiskalt lief es mich an.
„Woher kennt er unsere Adresse?", versuchte ich zu verstehen.
„Genau das wollte ich fragen. Woher kennt er unsere Adresse?"
„Keine Ahnung."
Die Antwort befriedigte ihn nicht. Mich genauso wenig. Auf Anhieb fühlte ich mich beobachtet zwischen meinen eigenen vier Wänden.

„Hast du Kontakt zu ihm?", durchscannten mich Ensars Augen. Nein konnte ich nicht sagen. Also blieb ich still. Mein Bruder verstand, dass ich etwas verschwieg.
„Kontakt, kann ich es nicht nennen. Aber vor kurzem sind wir uns begegnet."
Der Griff um seine Gabel wurde fester.
„Ach ja? Und weiter?"
„Weiter geht es nicht. Wir sind uns nur begegnet.", wollte ich das Thema abschließen.

Er hat mich nur aus einer Schießerei gerettet. Wir haben uns nur in einem Café getroffen. Und darauf folgten nur zwei Begegnungen.
Die Aussage gefiel Ensar nicht.
„Er hat nichts bei uns verloren! Nett, dass er mich nachhause gefahren hat, aber wenn ich ihn neben dir sehe Asel, dann-"
„Was dann, Ensar? Willst du den bösen älteren Bruder spielen?", unterbrach ich ihn lachend. Mein kleiner Ensar machte sich wieder Sorgen um mich. Dass er Cihan nicht mochte, bemerkte ich an seiner Haltung.

Während wir den Tisch aufräumten, unterhielten wir uns. Ensar wollte bis zum Nachmittag lernen und danach raus gehen. Dann wurden meine Pläne abgefragt.
„Ich bin auf Meyras Hochzeit eingeladen."
„Meyra Kaplan?"
„Ja, die Meyra, die wir kennen."
„Sag mal, bist du wieder gut mit ihnen? Erst Cihan, und jetzt lädt dich seine Schwester auf ihre Hochzeit ein?"
Es war von nun an kein Geheimnis mehr, dass ich den Anschluss zu den Kaplans gefunden hatte.

Gefangen in dirWhere stories live. Discover now