67 - Unter'm Regen

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Jeder geht unter den Regen durch. Doch die wenigsten verstehen die Geschichte der Kälte...

~demez34




























Schon von der Ferne wirkte Ilyas angespannt.
Ganz allein blickte er auf dem leeren Feld in die Ferne.
An seinen Wagen angelehnt verweilte er auf der Stelle.
Heute knallte die Sonne am Himmel. Weich zog der Wind an ihm vorbei. Die weite Landschaft hatte etwas Beruhigendes an sich.

Da leistete ihm auch jemand Gesellschaft.
Cihangir kam in Windeseile.
Tausende Szenarien malte er sich auf dem Weg aus. Gute sowohl schlechte. Dieser Mann war rätselhaft für Cihan. Er mochte ihn nicht zu leiden. Doch gleichzeitig spürte Cihan auch eine Bindung, die trotz allem nicht erloschen war.

„İyi günler, İlyas amca. (Guten Tag, Onkel Ilyas.)", machte sich der junge Kaplan bemerkbar.
„Gel bakıyım, Cihangir. Gün iyi mi olacak, kötü mü olacak, bilemem. (Komm her, Cihangir. Ob der Tag gut sein wird, oder schlecht, ist noch ungewiss.)", zog Ilyas die Hände aus den Taschen. Die Sonnenbrille nahm er ab, klappte sie zusammen und steckte sie an der Knopfleiste seines Hemdes an.

An einer ländlichen Örtlichkeit trafen die Männer aufeinander, die bislang als Feinde galten.
Ilyas Blicke durchdrangen den jungen Mann auf eine ungewöhnliche Art und Weise. Cihan war niemand, den man mit Leichtigkeit verunsichern konnte.
„Dinliyorum, İlyas amca. (Ich höre dir zu, Onkel Ilyas.)", bat Cihan ihn darum, das dringende Gesprächsthema zu öffnen. Er war verdammt nervös.

„Bilir misin? Kız babası olmak hiç kolay değil. Kızlar çok değerlidir. (Weißt du? Es ist gar nicht einfach Vater von Töchtern zu sein. Mädchen sind sehr wertvoll.)", begann Ilyas zu erzählen.
„Belki bir gün bu hissi yaşama imkanım olur. (Vielleicht werde ich eines Tages die Möglichkeit ergreifen diese Erfahrung zu machen.)", wandte sich Cihan ihm.
Prüfend warf Ilyas eine Braue in die Höhe, als missfiel ihm dieser Satz.

„Ben kızlarımı el üstünde büyüttüm, Cihangir. Ve bir gün kapıma bir adam gelip kızımı isterse, o adamı tanımadan vermem. (Ich habe meine Töchter auf meinen Händen getragen, Cihangir. Und wenn eines Tages ein Mann kommt und um ihre Hand halten möchte, werde ich sie nicht her geben, bevor ich ihn kenne.)"
Völlig verwundert bemerkte Cihan die Veränderung in Ilyas' Haltung. Anstatt ihn anzugiften, unterhielt er sich auf einmal über seine Töchter mit ihm.

„Was kann ich tun, damit du mich besser kennenlernst?", fasste Cihan seinen Mut zusammen.
Ilyas war die Frage zuwider. Widerwillig nahm er seine Sonnenbrille in die Hand und legte sie auf der Motorhaube seines SUVs ab.
„Ich weiß schon genug über dich. Und das gefällt mir nicht."
Aufgeschmissen hielt Cihan die Luft an. Dieser Mann zwang ihn echt in die Enge.

„Was, um genauer zu sein?", fragte er nach. Hat Ilyas etwa Wind von seiner vergangen Beziehung bekommen? Angstschweiß bildete sich auf seiner Stirn. Cihans Herz würde gleich herausspringen, wenn sein Gegenüber nicht zu sprechen begann.
Tief schluckte er. Ilyas' Stille glich einer Folter.

„Die Älteren unserer Familien haben eine Entscheidung getroffen, Cihangir."
„Welche?", konnte er kaum abwarten.
Ilyas' Miene verkörperte Ernsthaftigkeit und Kälte. Er hielt inne. Schloss die Augen und biss auf seinen Unterkiefer.
Mutter Nevin und Vater Seyit befürworten eine Eheschließung zwischen den Atays und Kaplans.", stieß er verdrossen aus.

Das Geständnis glich einer meterhohen Welle, die Cihan verschlang und verschluckte. In Trance tauchte er ein. Die Worte wirkten in jede Zelle, die er nur besaß.
Dass Cihan diese Worte eines Tages hören würde, galt einem Paradoxon. Doch Ilyas war todernst mit seinen Worten. Lebendig stand er vor Cihan, der nicht nur Besinnung kommen konnte.

Gefangen in dirWhere stories live. Discover now