Gefangen in dir

13 - Der Nachtengel

Ich ratterte jedes Gebet runter, das ich nur kannte. Mein Herz hämmerte panisch gegen meine Brust.
Meine letzte Hoffnung war Cihan.
Er soll Miguel Pablo und deine Kampftechniken kennen. Bevor Ensar auf den Kampf ging, wies Cihan ihn ein. Er sprach über irgendwelche Verteidigungstechniken, die ich zum ersten Mal hörte.

„Verstanden?"
Konzentriert nickte Ensar zu. „Du wirst es schaffen. Fokussier dich auf deine innere Stimme.", motivierte er ihn.
Mit Schuldgefühlen sah mich Ensar an. Er wartete auf eine Antwort von mir. Wie enttäuscht und verletzt ich war, konnte er sich erdenken. Ich war doch froh, von Cihan begleitet worden zu sein. Wer hätte sonst Ensar die Tipps gegeben? Ich konnte nur hoffen, dass sie halfen.

Die mit Wucht aufgehende Tür, zog die Aufmerksamkeit auf sich. Vier Männer betraten den Raum.
„Ensar! Ist dir etwas passiert?", hastete Hashim bestürzt zu meinem Bruder.
„Nein, warum?"
Erst im Nachhinein bemerkte der Mafiosi unsere Anwesenheit. Große Verwunderung zeichnete seine Miene aus.

„Cihan? Cihan Kaplan?", erkannte er ihn wieder. Beide starrten sich wiederwillig an. Ehemalige Bekannte trafen aufeinander.
„Hadir Hashim", erwähnte Cihan seinen Namen.
„Was eine schöne Begegnung! Mein Ex-Boxer, wenn ich vorstellen darf. Welcher Wind hat dich hier her geweht?", setzte Hadir die Schritte in Cihans Richtung. Sein Körper verkrampfte. Die Luft knisterte allmählich und spannte sich an.
„Ein Wind aus Alaska.", spottete Cihan, dass Hadir anfing zu lachen.
„Immer noch in alter Frische. Lass mich raten: du hast den Typen vor der Tür außer Gefecht gesetzt?"
Genervt atmete Cihan aus.

„Und Asel ist auch dabei! Was eine Überraschung. Hätte ich gewusst, dass ihr zuschauen wollt, hätte ich euch eine persönliche Einladung geschickt.", sah mich Hadir an. Er war unmöglich. Er wusste genau, weswegen ich gekommen war.
„Cihan war mein bester Boxer. In ihn investierte ich viel. Aber wisst ihr, was dieser Typ später angerichtet hat?", blickte Hadir in die Runde.
Wie ein Feind wurde er von Cihan beäugt. Stand eine offene Rechnung zwischen den beiden? Worauf wollte Hadir hinaus?

„Es ist weder die Zeit, noch der Ort für alte Rechnungen! Ich hätte nämlich auch etwas zu erzählen! Hättest du lieber in Ensar investiert und zwei Mal nachgedacht, bevor du den Kampf gehen Miguel Pablos Team annahmst.", funkelte Cihan ihn an.
„Ihr unterschätzt Ensar. Er ist ein wahrer Löwe. Nicht wahr?", klopfte Hadir auf seine Schulter. Ich wollte seine Hände brechen, die Ensar berührten.

„Bist du bereit?", fragte er seinem Löwen.
„Ja"
„Wunderbar. Dann geht es los.", gab Hadir Bescheid.
Ensar streifte sich das T-Shirt über und zog die Boxhandschuhe an. Wie ein Fremder kam er mir dabei vor. Dieser durchtrainierter Jugendlicher war tatsächlich mein Bruder. Der Anblick war gewöhnungsbedürftig. Ich erinnerte mich an Ensars Kindheit zurück. Damals war er ein schüchterner Junge. Nicht einmal einem Insekten konnte er wehtun. Und heute soll er Pablos Boxer auseinandernehmen?
Allahı'm sen yardım et! (Hilfe uns lieber Gott!)

Die Plätze wurden eingenommen, das Rampenlicht fiel auf den Ring und die komplette Aufmerksamkeit lag auf den Jungs. Die erste Runde begann.
Ensars Gegner machte den ersten Schritt. Er wich aus und schlug zurück.
Einen enormen Druck verspürte ich, als mir bewusst wurde, was Hashim meinem Bruder antun würde, wenn er nicht siegte. Die Mafia würde meinen Bruder auseinandernehmen.
So nett Hadir Hashim war, ließ er zwei Plätze an der vordersten Reihe für uns reservieren. Damit ich besser zusehen konnte, wie mein Bruder verschlagen wurde.

Fäuste flogen in der Luft, doch gravierende Verletzungen gab es nicht. Ensar schien seinen Gegner fast bekämpft zu haben, da rappelte er sich auf und schlug zurück.
Sein Gesicht flog zur Seite und Blut floss runter. Eine Augenbraue war aufgeplatzt.
„Ensar!", schrie ich erschrocken. Er machte sich nichts daraus und kämpfte weiter. Schmerzlich schloss ich die Augen und sammelte meine Kraft zusammen. „Mein Bruder wird heute siegen!", redete ich mir immer wieder ein.