48 - Gewitter

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Manchmal gehen wir unseren Weg weiter, auch wenn wir dem Zerbrechen nah sind. Denn wir müssen. Wenn wir stehen bleiben, werden sich die Wunden aufreißen. Also gehen wir mit den Narben, die uns übrig bleiben...

~ demez34
































Ich merkte wie viel Zeit ich verlor, als Cihan lebendig vor mir sah und die Sehnsucht nach unserer Vergangenheit spürte.
Sieben Jahre irrten wir in dieser Stadt herum, in der Hoffnung uns selbst zu finden. Was wir fanden, war bittere Enttäuschung. Denn nichts konnte den Platz unserer Geborgenheit ersetzen.

Cihan war nie von meiner Seite abgewichen. Wir trugen die Sehnsucht im Herzen, wie eine Goldmedaille. Denn sie war das einzige, das uns voneinander übrig blieb. Wir verloren uns, aber niemals unsere Erinnerungen.

Auf die Terrasse begab ich mich nach dem Abendessen. Der Himmel war klar, die Sterne hell. Die Straßen rauschten im Hintergrund.
In Gedanken schwelgend, ließ ich den Tag durch den Kopf gehen. Die Alltagsgedanken kehrten in der Einsamkeit zurück.

Ich mochte tough und kämpferisch wirken. Trotz allem behielt ich eine zerbrechliche Seite in mir bei. Sie war eine Erinnerung daran, dass ich nur ein Mensch war. Selbst der stärkste Mensch hat Gefühle. Wir können nicht vorankommen, wenn wir so tun, als ob wir keine Gefühle hätten.
Die Ignoranz wird uns zu einer Sackgasse führen. Und wir werden uns im Kreis drehen, bis wir der Tatsache ins Gesicht blicken...

„İyi misin? (Geht es dir gut?)", hörte ich hinter mir. Die Einsamkeit hatte mir gefehlt, seitdem ich bei meinen Eltern unterkam.
„Biraz düşünceliyim. (Etwas nachdenklich bin ich.)"
„Neyi düşünüyorsun? (Woran denkst du?)", spürte ich Cihans Hand an meiner Schulter. Sanft glitt sie meinen Oberarm herunter.

„Dir ist es ja kalt.", bemerkte er. Nach Sonnenuntergang war es ein wenig kühl geworden.
„Nein. Ist gut so.", machte ich klar. Trotz dessen ging er rein und kam mit einer Decke zurück, in die er mir einpackte.
„Besser so.", beruhigte er sich. Seine Aufmerksamkeit war bezaubernd. Wie eine Prinzessin fühlte ich mich in Cihans Nähe.

„Mach das ruhig weiter.", blickte ich ihn an. Sein Gesicht wog ich mit den Händen.
„Was?", zogen sich seine Braue zusammen.
„Na, dass du dich um mich kümmerst.", offenbarte ich, womit sein Gesicht zu strahlen begann.

Dass Cihan eine Überraschung für mich hätte meinte er und verschwand ins Wohnzimmer. Auf der Sitzecke wartete ich gespannt auf ihn.
Mit seiner Gitarre kam er auf einmal zurück.
Den Glaskamin auf den Tisch machte Cihan zusätzlich an und meinte, dass nun alles bereit sei. Die Ambiente war entspannend.

„Als du das erste Mal in meine Wohnung kamst, habe ich nicht die Wahrheit gesagt, indem ich nicht mehr Gitarre spielen kann.", gab er zu.
„Aber warum? Willst du mir etwas vorspielen?", ging eine Aufregung in mir auf. Wie ein kleines Kind freute ich mich.

„Für dich immer, Asel. Ich muss nur kurz reinkommen."
Das war herrlich! Besser könnte ich mir den Abend nicht vorstellen. Die Teenager Asel in mir erwachte. Jedes Mal als Cihan etwas neues spielen konnte, war ich seine erste Anlaufstelle gewesen.

Als erstes trug Cihan Kalbindeyim vor. Damals habe ich das Lied rauf und runter gehört. Mit der Strophe

Asla vazgeçme
Darılsan da gitme
Kalp bu adamı dağıtır
Darılsan da vazgeçme

(Gib niemals auf
Auch wenn du ermüdet bist, gehe nicht
So ist das Herz, es bringt einen durcheinander
Gib nicht auf, auch wenn du ermüdet bist)

Gefangen in dirWhere stories live. Discover now