Kapitel 124

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"Mads", ruft Leon mir hinterher, während ich die Treppe nach oben laufe. Hastig verschwinde ich im ersten Stock, schlage die Tür meines alten Kinderzimmers zu und sinke direkt dahinter auf den Boden.

Ich kann mich nicht mehr länger zurück halten und breche einfach zusammen. Meine Hände zittern und krallen sich in die schwarze Hose. Tränen laufen meine Wangen hinab und ich habe das Gefühl mein Herz zerspringt. Es sind unfassbare Schmerzen, die ich nicht in Worte fassen kann. 

Der Raum um mich herum beginnt sich zu drehen, mir wird wahnsinnig schlecht. Ich würde gerade am liebsten alles, was sich in mir befindet, los werden. Besonders mein Herz und meine Lunge. Luft bekomme ich sowieso nicht. Es ist als wäre meine Lunge schon gar nicht mehr vorhanden. Ich schnappe nach Luft, versuche zu atmen, doch es kommt kaum Sauerstoff bei mir an.

Ich nehme ein Klopfen war, es wird lauter.

"Mads? Maddie, mach die Tür auf!", höre ich Leons Stimme. Er ist so weit weg und doch dringt er irgendwie zu mir durch. Doch ich kann nicht, so gerne ich die Tür auch öffnen wollen würde. Mein Körper lässt es nicht zu.

Mein Kopf wird so leicht und der Raum dreht sich immer mehr um mich herum. Obwohl diese furchtbaren Schmerzen in meinem Körper sind, spüre ich wie ich langsam aber sicher mein Bewusstsein verliere.

"Mario! Hilf mir mal!", ruft Leon durch das Haus und im nächsten Moment bin ich weg.

Als ich aufwache liege ich in meinem alten Bett. Mein Kopf tut ziemlich weh und ich fühle mich alles andere als gut. Leon sitzt auf der Bettkante, Mario und Fabi stehen am Fenster. Alle tragen immer noch die schwarzen Anzüge und sehen genauso blass aus wie schon den ganzen Tag.

"Du bist wach", stellt Leon erleichtert fest und streicht ein paar Strähnen aus meinem Gesicht. 

Mario und Fabi drehen sich sofort zu mir um und kommen zwei Schritte näher. Besorgt schauen mich die drei an. 

"Wie geht es dir?", erkundigt sich Mario besorgt und setzt sich auf die Matratze. 

"Nicht so gut", gebe ich ehrlich zu und setze mich etwas auf. Ich fühle mich ziemlich benebelt und gar nicht wie ich selbst. Es ist ein furchtbares Gefühl.

"Bleib liegen", meint Leon ernst und drückt mich zurück in die Kissen. Verwirrt schaue ich zu ihm auf "Liebling, dein Zustand ist wieder schlechter. Ich will bloß, dass du auf dich aufpasst und nicht zurück in dieses Loch rutschst"

"Brauchst du etwas? Hier, nimm einen Schluck", meint Fabi und reicht mir ein Glas mit Wasser. Ich trinke einen kleinen Schluck und schüttel den Kopf. 

"Hatte Maddie das schon öfter?", fragt Mario besorgt. Wir haben nie irgendjemandem von meinen Anfällen, Panikattacken oder wie auch immer man es bezeichnen möchte, erzählt. Ich wollte nicht, dass es jemand weiß und man muss außerdem niemanden unnötig beunruhigen.

Ich schaue Leon an. Er soll diese Frage beantworten, ich will es nicht.

"Ja, ein paar Mal. Das letzte Mal ist schon länger her. Ich dachte wir könnten das hinter uns lassen", seufzt Leon. Ich weiß, dass er sich bloß Sorgen macht. Aber kann er denn gar nicht verstehen, dass heute einer der schlimmsten Tage meines Lebens ist? Dass ich vorhin dabei zugesehen habe wie mein eigener Bruder unter die Erde gebracht wurde und ein Teil von mir mit verschwunden ist.

Es war so endgültig. Das war das Ende. Es war der endgültige Abschied von Felix.

"Maddie, ich weiß, dass es für dich am schwersten ist. Aber du musst loslassen, du musst das Schicksal akzeptieren. Es bringt nichts wenn du dich selbst fertig machst, Felix wird nicht mehr zurück kommen", meint Fabi mit ruhiger Stimme und sowohl Mario als auch Leon verpassen ihm einen Schlag, während ich meinen ältesten Bruder mit Tränen in den Augen anschaue.

Wie kann er diese Worte so trocken sagen? Felix war auch sein Bruder. Interessiert es ihn denn überhaupt nicht? Kann er einfach so weiter machen, als wäre nichts passiert?

Wieder laufen Tränen meine Wangen hinab und ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen, während ich meine Beine nah an mich heran ziehe. Ich will alleine sein, alleine in meinem Bett zu Hause. Mein Körper zittert schon wieder, ich habe keinerlei Kontrolle darüber und Schluchzer entfliehen aus meiner Kehle. Jemand schließt mich in seine Arme, Leons Geruch steigt in meine Nase.

Er hält mich bloß und gibt mir Halt. Seine warme Hand fährt immer mal wieder über meinen Rücken und ich spüre wie meine Brüder das Zimmer verlassen. Die Tür schließt sich.

"Er hat das nicht so gemeint. Fabi will dir bloß helfen", murmelt Leon an meinem Ohr. 

"Er hilft aber nicht", schluchze ich und drücke mich noch näher an den Körper meines Mannes.

"Mads, er ist selbst überfordert mit der ganzen Situation. Das sind wir alle. Felix war ein großer Teil von unserem Leben, er war euer Bruder", versucht Leon Fabi zu verteidigen.

"Sprich nicht in der Vergangenheit über ihn. Er ist unser Bruder", bringe ich mit zitternder Stimme hervor. Er soll nicht so tun als wäre Felix kein Teil mehr von uns, bloß weil er nicht mehr da ist.

"Natürlich, verzeih mir", meint Leon sanft und setzt einen Kuss auf mein Haar. 

Wir bleiben einige im Zimmer und reden kaum miteinander. Aber das brauchen wir auch nicht. Ich bin einfach froh, dass Leon da ist und an meiner Seite bleibt. Als ich endlich die schwarze Kleidung ablege und in etwas helleres schlüpfe fühle ich mich auch gleich ein kleines Stückchen besser.

"Ich verstehe nicht wieso er", murmel ich als ich vor dem Spiegel stehe und meine Haare zusammen binde.

"Es war ein furchtbares Unglück, ein Unfall", erinnert mich Leon. Bis jetzt kann ich mir immer noch nicht vorstellen wie viel Angst Felix gespürt haben muss, was das für ein Gefühl gewesen sein muss. Es war mit Sicherheit schrecklich, mehr als das "Niemand konnte etwas dafür, dass er aus diesem See nicht mehr raus kam"

"Felix ist so ein verdammt guter Mensch, er hat nie etwas falsch gemacht. Wieso er? Wieso nicht ich?", entfährt es mir und ich schaue Leon fragend an. Seine Augenbrauen heben sich in Verwunderung, er schaut mich überfordert an.

"Maddie, ich...", beginnt er langsam, doch ich unterbreche ihn.

"Nein, wieso nicht ich? Ich habe so viel falsch gemacht in meinem Leben. Ich habe vielen Leuten Leid verursacht, ich habe Menschen umgebracht! Felix hat nie irgendetwas von all dem getan. Also wieso wurde so eine reine Seele genommen und so eine verdorbene wie meine auf dieser Erde gelassen?", frage ich Leon und schaue ihn abwartend an.

Mein Mann schluckt schwer und kommt langsam auf mich zu.

"Maddie, deine Seele ist nicht verdorben. Du hättest nichts tun können, manchmal passieren eben Sachen die wir uns nicht erklären können. Ich weiß wie sehr du Felix liebst. Aber denk nie wieder auch nur eine Sekunde darüber nach, dass anstelle von Felix du jetzt dort oben sein solltest", meint Leon ernst und ich höre die Trauer aus seiner Stimme heraus.

Was habe ich bloß gesagt? Habe ich gerade wirklich versucht meinem Mann zu sagen, dass ich hätte sterben sollen wenn Felix überlebt hätte? Ich bin ein furchtbarer Mensch. Ich lasse meine Trauer an ihm aus, das hat er nicht verdient. 

"Es tut mir so leid. Ich kann mit diesem Gefühl nicht umgehen", gebe ich zu und schaue Leon mit Tränen in den Augen entschuldigend an. 

"Ist schon gut. Wir kriegen das hin. Das wird alles wieder, versprochen"

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Roommates // Leon Goretzka FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt