10. Kapitel

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Ich schlafe die Nacht kaum. Meine Gedanken wandern immer wieder zu dem Moment, als Harry mit den Schlüssel zurückgegeben hat. Und zu dem Moment, als er zurück zu seinem Zimmer gelaufen ist. Ich bin nicht noch einmal aufgestanden, um zu schauen, ob er in sein Zimmer gegangen ist, aber ich wollte es. Ich wollte es so sehr. Ich seufze. Mein Wecker hat vor wenigen Minuten geklingelt. Ich schwinge mich aus dem Bett und stelle mich unter die Dusche. Harrys Schlüssel habe ich gestern nur auf die Kommode gelegt und es war das erste, was ich vor wenigen Minuten gesehen habe. Ich stehe lange unter der Dusche, als würde ich mich davor verstecken, aus dem Bad zu gehen und den Schlüssel wieder sehen zu müssen.

Wenn ich nicht Frühstücken wollen würde, bevor es zur Halle zum Vormittagstraining geht, würde ich wahrscheinlich noch deutlich länger im Badezimmer bleiben, aber schließlich öffne ich die Tür und schaue ganz bewusst nicht zur Kommode. Ich lasse den Schlüssel liegen und verschwinde aus meinem Zimmer. Drew steht schon vor dem Aufzug. „Morgen.", murmle ich und stelle mich neben ihn. „Hi. Gut geschlafen?" – „Mhm.", antworte ich nur und die Tür öffnet sich. Wir treten ein und gerade, als die Tür sich schließt, schiebt sich eine Hand dazwischen und drückt sie wieder auf. Harry tritt ein und unsere Blicke treffen sich. Ich räuspere mich und trete einen Schritt zur Seite, um ihm Platz zu machen. Nein, Platz war da schon. Ich möchte nur nicht so nahe bei ihm stehen. Es bringt nichts. Sein Parfum kitzelt mich in der Nase.

„Sag mal, bist du verkatert?", fragt Drew plötzlich. Er sieht Harry skeptisch an. Dieser zuckt mit den Schultern. „Ich habe nur ein wenig Kopfschmerzen, mir geht es gut." – „Aber ist es ein Kater oder bist du krank?", möchte er wissen. Ich beiße mir auf die Zunge, um nichts zu sagen. „Ich hatte gestern einen Drink zu viel, aber mit geht es gut", verspricht Harry. Ich schnaube leise und schüttle den Kopf. „Was ist?", fragt Drew verwundert. „Einen Drink zu viel... du warst sturzbetrunken.", spreche ich dann doch meine Gedanken aus. „So schlimm war es nicht.", widerspricht Harry sofort. „Oh doch!" Drew sieht zwischen Harry und mir hin und her. „Oder hast du etwa einen Filmriss?" Harry zögert, dann verneint er. „Ich bin mir sehr sicher, alles noch zu wissen.", antwortet er mir. Wir steigen aus dem Fahrstuhl. „Das bezweifle ich.", murmle ich nur und Drew sieht mich fragend an. Ich schüttle den Kopf. „Was bitte meinst du damit?", möchte Harry dann aber ebenfalls wissen.

Ich antworte nicht, sondern gehe zum Frühstücksbuffet. „Louis, was meinst du?", wiederholt Harry seine Frage und stellt sich neben mich. „Lass es gut sein, bitte." – „Du behauptest erst, ich hätte einen Filmriss und dann möchtest du mir den Grund nicht nennen?" Ich nehme mir Rührei und gehe weiter, aber Harry lässt nicht locker. Kann er bitte woanders hingehen? „Louis!" – „Verschwinde Harry!", antworte ich lauter als geplant. Er seufzt leise und holt sich selbst etwas zu essen. Als ich mich gerade gesetzt habe, tritt er jedoch erneut zu mir und stellt sein Frühstück auf den Tisch. Er setzt sich mit gegenüber und ich schließe kurz die Augen.

„Was habe ich getan?" Ich schüttle den Kopf und versuche mich zusammenzureißen. „Scheiße, sag es doch einfach!" Ich antworte nicht und lege mein Besteck ab. Es tut weh. „Geh." – „Wenn du mir sagst, was gestern noch passiert ist, was ich angeblich nicht mehr weiß.", entgegnet er. Ich schüttle noch einmal den Kopf. Bitte geh. Ich schaue auf meinen Teller und merke, dass ich es nicht mehr lange aushalte. „Louis –" – „Was machst du hier?", wird er unterbrochen. Ich sehe auf. Neo steht neben unserem Tisch und sieht Harry skeptisch an. Dann wandert sein Blick zu mir. „Du solltest gehen, Harry.", sagt er dann mit fester Stimme. „Ich unterhalte mich gerade mit Louis.", antwortet er trocken. Neo schüttelt den Kopf und sieht wieder zu meinem Gegenüber. „Ich bin ziemlich sicher, er möchte nicht, also bitte geh." – „Du hast das nicht zu entscheiden.", entgegnet Harry entschieden. Ich schnappe nach Luft. Ich halte das nicht mehr aus.

Als ich aufstehe, kippt der Stuhl polternd um. Ich nehme mir mein Frühstück und mein Besteck und eile zu einem anderen, leeren Tisch. Ich stelle die Sachen ab und bevor ich bemerke, dass Neo mir nachgelaufen ist, zieht er mich schon in eine Umarmung. Wie so oft schon, werden meine Wangen nass und mein Körper fängt an zu zittern. „Er ist ein Arschloch.", höre ich Neo sagen und nicke leicht. Dann straffe ich die Schultern, atme tief durch und setze mich. Neo lässt sich ebenfalls auf einen Stuhl nieder. Ich trinke einen Schluck Tee und wage nicht, durch den Raum zu schauen. Ich möchte Harry nicht sehen.

„Ich brauche das Schloss nicht mehr auszubauen.", spreche ich dann aus. Verwundert sieht Neo mich an, bis er versteht, was ich damit sagen will. „Er hat ihn dir gestern Abend zurück gegeben?" Ich nicke und erzähle, was gestern Abend passiert ist. „Das ist nicht sein Ernst, oder?" Ich zucke mit den Schultern. „Immerhin habe ich den Schlüssel wieder." Neo seufzt. „Das hätte man anders regeln können." – „Ich habe den Schlüssel wieder.", sage ich leise und auch, wenn es etwas Gutes sein sollte, tut es weh. Das Einzige, was jetzt noch fehlt, sind die Scheidungspapiere. 

Neo schweigt. Er akzeptiert, dass ich jetzt gerade nicht darüber sprechen möchte. Scheidung. Termin dafür war der Tag, an dem Harry zwei Jahre nicht da gewesen wäre. In weniger als drei Monaten hätte ich es getan, wahrscheinlich. Hoffentlich. Jetzt ist er wieder da und ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich es tun sollte. Neo würde es mir raten. Drew und Zayn auch. Und Ian sowieso. Theoretisch weiß ich, dass sie recht haben, aber bei dem Gedanken daran, meine Ehe zu annullieren, wird mir schlecht. Ich schiebe das restliche Rührei zur Seite. Ich kann es nicht aufessen.

Wir fahren zur Halle und ich sehe Harry den ganzen restlichen Vormittag nicht mehr. Er verschwindet genauso aus meinen Gedanken und ich kann mich aufs Training konzentrieren. Es tut gut und es läuft gut. Das ganze Team ist heiß auf das Spiel. Wir wollen gewinnen. Wir wollen den Cup. Vor dem Spiel gehen wir mit unseren Trainern die Strategien und Züge noch einmal zusammenfassend durch. Als wir vor der Tafel sitzen, zieht meine Brust sich zusammen. Angst. Ich verstehe es erst einen Moment später. Ich habe Angst, dass Harry plötzlich diesen Raum betritt; so wie er es vor ein paar Tagen getan hat. Ich richte meine Augen erneut zum Whiteboard. Nein, das wird nicht passieren. Er muss sicher arbeiten. Und Lucas ist auch nicht hier.

Ich behalte recht, zum Glück. Und als das Warm-Up einige Zeit später läuft, steht Harry nicht einmal in der Box. Lucas ist wie immer dort. Die Situation ist normal. Kein Harry. In diesem Moment merke ich, dass mein Wunsch, dass er zurück zu mir kommt, zu einem Albtraum führen würde. Das Warm-Up ist vorbei und ich warte darauf, dass das Spiel losgeht. Die Pre-Game-Show läuft und heizt die Stimmung an. Das Team steht bereit und ich beschließe, dass ich es nicht zu so einem Albtraum kommen lassen möchte. Ja, ich liebe ihn, aber es tut so weh, dass ich mir mehr als einmal gewünscht habe, ihn endlich nicht mehr zu lieben.

„Dir geht es gut?", fragt Kenny mich. „Mhm?" – „Du wirkst nachdenklich." Ich nicke. „Ja, aber mir geht es gut." Er sieht mich fragend an. „Er ist nicht hier und damit geht es mir besser, als wenn er hier wäre.", erkläre ich ihm. Kenny hebt skeptisch eine Augenbraue. „Ich... ich denke, wenn wir in Tampa zurück sind, werde ich mir einen Scheidungsanwalt besorgen.", spreche ich meinen Entschluss aus. „Es bringt mir nichts, verheiratet zu bleiben, wenn es mich so quält. Ich wäre nicht einmal überrascht, wenn Harry morgen plötzlich nicht mehr da wäre. Ich habe damals keine Erklärung bekommen und ich würde wahrscheinlich auch das nächste Mal nicht anders sein. Ich möchte nicht mit jemandem verheiratet sein, der mich vom einen auf den anderen Tag verlässt.", erkläre ich gefasst. Kenny sieht mich erstaunt an. „Das... wow." Ich nicke. „Ja." Dass es mir alles andere als leicht fällt, diese Entscheidung zu treffen, brauche ich ihm nicht zu erklären. Abgesehen davon, dass er mitbekommen hat, was geschehen ist, ist es mir vermutlich anzusehen.

Ich atme tief durch. „Ich lasse mich von ihm scheiden. Es tut weh, ihn zu sehen und zu wissen, dass er nur noch auf dem Papier mein Mann ist. In Wahrheit kennen wir uns nicht mehr." Mein Herz zieht sich zusammen, zerreißt sich selbst und mein Körper brennt vor Schmerz. Ich möchte schreien. „Das ist eine starke Entscheidung.", antwortet Kenny mir. „Du weißt, dass wir alle hinter dir stehen?" Ich lächle und nicke. „Das habe ich bemerkt, danke Captain." Er haut mir freundschaftlich und unterschützend auf die Schulter. Dann ertönt der Countdown. Das Spiel beginnt und ich konzentriere mich nur noch darauf. Es klappt, denn Harry ist nicht in der Box.

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Was haltet ihr von Louis'  Entscheidung? Und was meint ihr, wie Harry reagieren wird?

Love, L

Lightning's HattrickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt