58. Kapitel

2.6K 396 102
                                    

Harry nickt leicht. Meine Gedanken überschlagen sich. Er wäre damals zu mir zurück gekommen. Er wäre... ich wäre jetzt nicht... „Wer war es?" – „Die Nachrichten? Keine Ahnung. Ich würde es gerne wissen, aber das ändert nichts. Ich habe damals den Fehler gemacht, nicht mehr zu fragen. Du hast mich nach diesen Nachrichten blockiert. Beziehungsweise irgendjemand hat mich blockiert, überall. Ich habe dich nicht mehr erreicht und dachte, du meinst es erst, dass du mich nie wieder sehen willst. Also bin ich nicht nach Tampa geflogen." Er blinzelt einige Male, aber seine Wangen werden nass. „Ich hätte dich suchen müssen", murmelt er und ich schniefe. Herr Gott, wie sehr ich mir wünsche, er hätte genau das getan. „Ich hätte ich angeschrien und du hättest mindestens eine Woche auf dem Sofa schlafen müssen", antworte ich und höre ihn lachen. „Auf dem Sofa in unserem – deinem Haus? Ich könnte mir nichts besseres vorstellen", sagt er ehrlich.

Harry sieht mich nur an und schickt damit hunderte kleine Blitze durch einen Körper. Sie betäuben den Schmerz, die Wut, die Enttäuschung und all die anderen Gefühle, in die in mir wüten. „Ich hätte dich wiederhaben können." Ich merke nicht einmal, dass ich das sage. Harry nickt und spannt sich an. Seine Kiefermuskulatur betont eine Jawline. „Was machen wir jetzt?", möchte ich von ihm wissen. „Du kannst mich jederzeit wiederhaben, Louis." Es trifft mich mit voller Wucht. Ich hätte es vielleicht wissen können, aber diese Worte direkt aus seinem Mund zu hören, lässt mich schwanken. Wie gut, dass ich gerade sitze. „Wenn du mich lässt, tue ich alles dafür, dein Vertrauen wieder zu gewinnen. Und deine Liebe." Fuck. „Absolut alles, Louis. Ich verspreche es dir." Wie soll ich jetzt klar denken können?

Harry liegt seine Hände mit der Handfläche nach oben auf den Tisch. Einladend, bittend. Ich sehe auf seine schlanken Finger. Ich bin so dämlich. Das ist so dumm! Ich sollte das hier nicht tun! „Ich habe Angst." – „Ich weiß und ich hasse mich dafür. Ich werde dich nie wieder verlassen. Und ich werde nie wieder so dämlich sein und bei solch ernsten Angelegenheiten nicht persönlich mit dir sprechen." Ich betrachte ihn und mein Herz flattert. Gleichzeitig treten mir Tränen in die Augen. Vor mit sitzt mein Ehemann. Das erste Mal seit Monaten, Jahren, sehe ich meinen Ehemann wieder.

Ich stehe auf. Harry zieht seine Hände zurück und für einen kurzen Augenblick sehe ich Enttäuschung und Traurigkeit in seinem Blick. Er räuspert sich und nickt verstehend. Er denkt, ich gehe. Vielleicht sollte ich das tun. Es ist, als hätte ich auf der einen Schulter einen Engel sitzen und auf der anderen einen Teufel. Nur sind es Hoffnung und Angst, die zeitgleich auf mich einreden und meinen Verstand völlig durcheinander bringen. Bevor ich mich umentscheide oder die Möglichkeit habe, länger darüber nachzudenken, strecke ich einen Arm in seine Richtung. Diesmal bin ich derjenige, der ihm die geöffnete Hand anbietet. Harry sieht auf meine Hand, dann blickt er auf. Ich schlucke und wische mit die andere Hand an der Hose ab. Meine Handfläche ist feucht, ich schwitze vor Nervosität, den ganzen Abend schon. Der Mann vor mir auf dem Stuhl sieht wieder auf meine Hand. Dann legt er seine hinein.

Seine Haut ist warm und weich, die Berührung ist sanft und vorsichtig und doch fühlt es sich an, als würden tausende Nadeln auf meinen Körper gefeuert werden. Gleichzeitig vergisst mein Herz, wofür es da ist und mein Verstand ist nun vollkommen überfordert; als müsste ich den Stanley Cup, den Super Bowl und die WM zeitgleich im Alleingang gewinnen. Er steht auf und sieht mich fragend an. Ich schiebe zitternd meine Finger zwischen seine. „Lass es mich nicht bereuen. Das ertrage ich nicht noch einmal." – „Niemals." Er drückt meine Hand leicht. Ich glaube, ich kippe gleich um. Fragend sieht er zum Ausgang der Bar. Ich nicke. Er legt etwas Geld auf den Tisch und wir gehen. Ich lasse seine Hand nicht los. Umständlich ziehe ich stattdessen mein Portemonnaie mit der freien Hand aus der Hosentasche. „Lass gut sein, es war nur ein Glas Wein." – „Aber –" – „Bitte, Louis." Ich stecke es zurück und drücke stattdessen den Knopf des Aufzugs. „Danke", lächelt er und die Türen öffnen sich.

Wir treten ein und durch den Spiegel des Aufzugs betrachte ich das Bild, dass Harry und ich abgeben. Er lächelt und streicht vorsichtig mit dem Daumen über meinen Handrücken. Mein Puls wird (noch) schneller und ich schaue weg. Harrys Blick liegt die ganze Zeit auf mir. Ich möchte etwas sagen, aber ich kenne kein einziges Wort mehr. Ich spiele mit meiner Zimmerkarte, als wir den Flur entlanglaufen. Wir bleiben vor seinem Zimmer stehen. „Ich möchte nicht, dass du dich gedrängt fühlst", durchbricht er die Stille und sieht auf unsere Hände. „Das hier ist sehr viel mehr, als ich mir von diesem Abend erhofft hatte", gibt er zu. Ich nicke. Habe ich mir etwas erhofft? Keine Ahnung. Ich hatte nur Schiss. Er öffnet seine Zimmertür und sieht auf die Karte in seiner Hand. Dann reicht er sie mir. „Es ist deine Entscheidung. Fühl dich zu nichts gezwungen." Ich nehme sie an. Sie sieht genauso aus, wie meine. „Uhm..." – „Gute Nacht, Louis." Er löst seine Hand aus meiner und betritt sein Zimmer. „Gute Nacht", bringe ich heraus. Harry schenkt mir ein sanftes Lächeln und schließt die Tür.

Ich stehe unschlüssig auf dem Flur. Fuck, was tue ich jetzt nur? Meine Beine tragen mich zu meinem eigenen Zimmer. Es ist kalt und leer. Das Bett ist so groß. Nein, ist normal groß. Ich sehe mich um und versuche, meine Gedanken zu ordnen und mein Herz zu beruhigen. Mein Körper steht unter Strom. Es ist, als müsste ich rennen, jetzt sofort. Als wäre ich in Eile. Harry. Ich schnappe nach Luft. Mein Körper handelt ganz von allein. Ich verschwinde kurz im Bad, schnappe mir mein Handy und die Zimmerkarten und stolpere zur Tür. Ohne weiter darüber nachzudenken, renne ich über den Flur zur nächsten Tür und öffne sie. Was tue ich hier eigentlich. Schlagartig bleibe ich stehen, als ich in das Zimmer sehe, das genauso aussieht wie meins, nur spiegelverkehrt. Die Badezimmertür öffnet sich. Harry tritt heraus. Erst bemerkt er mich nicht. Er trägt nur eine hautenge Shorts. Oh Gott. Er reibt sich mit einem Handtuch die Haare trocken. Er war duschen? Wie lang stand ich in meinem Hotelzimmer rum?

Er nimmt das Handtuch herunter und seine nassen Locken umrahmen sein Gesicht. Erst jetzt sieht er zu mir. Ich halte die Türklinke immer noch in meiner Hand, mein Griff wird fester und ich bin sicher, meine Knöchel stehen weiß heraus. „Louis." Ich atme zitternd und meine Füße scheinen am Boden festgeklebt zu sein. Er sieht mich still, ich erwidere den Blick.

„Möchtest du hereinkommen?" Ich nicke leicht. Er lächelt kurz und kommt mit kleinen, langsamen Schritten auf mich zu. Man könnte meinen, er nähert sich einer schreckhaften Babykatze. Fuck, komm schon, stell dich nicht so an! Ich schließe die Tür vorsichtig und zucke zusammen, als Harry nun direkt vor mit steht. „Du weißt, dass du jederzeit gehen kannst?" – „Ich habe meine Zimmerkarte mit", antworte ich und zeige sie ihm. Ich lege meine Sachen auf die Kommode. Harry schlägt die Bettdecke zurück und schüttelt die Kissen auf. Es ist seltsam und gleichzeitig beruhigend. Ich trete an das Bett heran.

„Möchtest du noch ins Bad?" – „War ich gerade schon." Ich sehe auf das Hotelbett. Es ist das Gleiche, das auch in meinem Zimmer steht, aber es sieht nicht mehr so groß aus. Ich atme tief ein und wieder aus. Dann setze klettere ich hinein. Harry bleibt auf der anderen Seite stehen, bis ich sitze und zu ihm schaue. „Okay?" – „Ich glaube schon, äh... ja." Die Matratze hebt sich auf meiner Seite leicht, als er ebenfalls ins Bett steigt. Ich erschaudere, als sein Arm meinen streift. Er legt sich hin und ich tue es ihm gleich. Er löscht das Licht und Stille kehrt ein.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du herkommst."

„Ich auch nicht."

„Ich mag es."

Ich schaue zu ihm. Ich kann kaum etwas erkennen, aber ich sehe genug, um zu wissen, dass er in diesem Moment wahnsinnig schön aussieht. So intim waren wir lange nicht mehr. Ewigkeit nicht mehr. Wir wissen beide, dass wir heute keinen Sex haben werden. Ich merke, dass ich das gar nicht möchte. Ich will nicht mit ihm schlafen, den das hier ist so viel besser als der Sex, den wir in den letzten Wochen hatten. Harrys atmen ist gleichmäßig und ruhig. Ich beiße mir auf die Zunge, um still zu sein. Ich möchte ihn nicht wecken. Schläft er? Ich horche auf. Nein, er schläft nicht, dann atmet er anders, aber er ist kurz davor einzuschlafen.

Ich werde müde. Ich drehe mich zu Seite und meine Hand streift seine. Sofort erstarre ich, Harry sagt nichts, zieht die Hand nicht weg. Stattdessen tastet er nach meinen Fingern. Ich wage es nicht, mich zu bewegen. Er schiebt vorsichtig seine Finger zwischen meine. Das ist in Ordnung. Er drückt meine Hand leicht. Ob ich den Druck erwidern soll? Bevor ich mit die Frage stellen kann, habe ich es bereits getan. 

-- -- -- -- --

Ein großer Schritt nach vorne, oder? Was haltet ihr davon? :)

Love, L

Lightning's HattrickWhere stories live. Discover now