41. Kapitel

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Ich muss feststellen, ich mag kein Sushi. Und den Wein auch nicht. Oliver ist begeistert von dem Essen, ich allerdings bin ganz dankbar darüber, dass er das meiste isst, was auf unserem Tisch steht. Stattdessen habe ich mir ein zweites Glas Wein bestellt. Oliver ist nett, sehr sogar. Er erzählt davon, wie Ian seine Freundesgruppe, also auch ihn, das erste Mal zu einem Spiel mitgenommen hat und so gut wie niemand von ihnen Ahnung davon hatte, was die meiste Zeit los war. „Für dich klingt das wahrscheinlich bescheuert, aber in der ersten Pause haben wir uns erst einmal ein Video zu den wichtigsten Regeln angeschaut." – „So würde es mir bei anderen Sportarten wahrscheinlich auch gehen", grinse ich. Harry ging es damals nicht anders. Aber er hat es nicht gegoogelt, ich habe es ihm erklärt. Vor einem inneren Auge taucht die Zeichnung des Spielfeldes auf, mit der ich ihm im Flieger erklärt habe, wie Eishockey funktioniert.

„Louis?" – „Mhm?" – „Du warst irgendwie abwesend." – „Sorry", antworte ich schnell und trinke meinen Wein aus. „Wollen wir los? Wenn du magst, können wir noch ein Stück gehen." – „Sicher", stimme ich zu und Oliver winkt einen Kellner heran. Bevor ich reagieren kann, hat er bereits das ganze Essen gezahlt. „Das wäre nicht nötig gewesen." – „Wenn meine Granny erfährt, dass ich einen hübschen jungen Mann ausgeführt und ihn habe selber zahlen lassen, macht sie mir die Hölle heiß", antwortet er grinsend und steht auf. „Du hast also Angst vor deiner Granny?" – „Manchmal, ja", gibt er lachend zu und hält mir die Tür des Restaurants auf.

Ohne ein Ziel laufen die die Straßen entlang. Es ist kühl geworden und die Straßen leer. „Ian hat mich zum nächsten Spiel eingeladen. Also eigentlich unsere ganze Freundesgruppe." – „Wirst du da sein?" – „Ich denke schon", lächelt er. „Du wirst doch spielen, oder?" Okay, er flirtet. Sehr. Ich befeuchte meine Lippen und nicke. „Ja... äh... ich spiele in der ersten Reihe." – „Ich schätze, das ist recht gut, oder?" – „Mhm, schon." – „Dann werde ich gespannt sein. Welche Trikotnummer hast du?" Verwundert sehe ich ihn an. „Damit ich dich auf dem Eis erkenne. Ihr seht in den Ausrüstungen für Laien alle gleich aus." – „28. Ich bin die Nummer 28.", antworte ich ihm. Sofort höre ich seine Stimme in meinem Kopf. Es ist nicht mehr nur eine Nummer. Zumindest war für eine ganze Zeit so. Es ist wieder nur eine Nummer. Nicht mehr, nicht weniger. Ich hatte damals für einen kurzen Moment überlegt, die Rückennummer zu wechseln, aber das erschien mir doch sehr dramatisch. Außerdem wäre nur die Nummer 17 in Frage gekommen, es war meine Nummer in der EIHL und die ist bereits an Liam vergeben.

Hier und da kommen uns andere Menschen entgegen, ich denke mir nichts dabei, bis plötzlich jemand in meinem Blickfeld auftaucht, den ich hier nicht erwartet hätte. Oh, bitte nicht. Instinktiv laufe ich langsamer und hoffe, dass er uns einfach nicht bemerkt. Diese Hoffnung wird fast im gleichen Moment zerstört. Er blickt von seinem Handy auf und mir direkt in die Augen. Ein Schauer erfasst meinen Körper und mein Herz schlägt schneller. Meine Knie werden weich und ich vergesse einen kurzen Moment, wie man atmet.

„Hallo Louis", sagt er in einem Tonfall, den ich nicht deuten kann. Er sieht zu Oliver, sein Blick verrät nicht, was er gerade denkt. „Hi", antworte ich knapp. „Du bist sicher Oliver, oder?", fragt er mein Date geradeheraus. „Bin ich, hallo." – „Harry arbeitet bei Lightning", erkläre ich schnell, um die merkwürdige Stimmung, die plötzlich aufgetaucht ist, zu neutralisieren. „Er kennt Ian auch und hat mitbekommen, wie er mir deine Nummer gegeben hat." „Dann seid ihr Kollegen? Bist du ein auch Spieler?" – „Nein. Und eigentlich bin ich Louis' –" – „PR-Manager", werfe ich schnell ein. „Er ist unser PR-Manager, kein Spieler." Harry spannt sich an, räuspert sich und strafft die Schultern. „Euer Date läuft anscheinend gut?" Ich sehe zu Oliver. „Äh... ja." – „Sehe ich auch so", stimmt er zu. Er flirtet schon wieder. „Schön. Ich sollte wieder reingehen." – „In das Hotel?", frage ich irritiert. „Ja, ich wohne hier, übergangsweise." – „In einem Hotel?" – „Wie du vielleicht mitbekommen hast, habe ich kein Zuhause mehr in Tampa", entgegnet er trocken. „Und noch habe ich nichts gefunden, also ja, ich wohne hier in diesem Hotel", antwortet er angespannt und bissig. Ich bemerke, dass er mit dem Daumen seinen Ehering dreht. Ich schlucke und instinktiv möchte ich meinen eigenen berühren, aber an dieser Stelle spüre ich lediglich den Siegelring.

„Wollen wir weiter?", fragt Oliver vorsichtig. Harry hält meinen Blick gefangen. Meine Kehle wird trocken und mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Mir wird eiskalt und meine Gedanken arbeiten nicht mehr richtig. „Ich... äh... ja, sicher... uhm...", stottere ich vor mich hin. „Wir sehen uns morgen beim Training. Komm nicht zu spät und sei fit.", sagt Harry und sieht Oliver abschätzend an. Es ist offensichtlich, was er eigentlich sagen wollte. Ich soll mich nicht flachlegen lassen du deswegen zu spät zum Training kommen. „Sicher." Eine längere Antwort bringe ich nicht heraus. „Wir sollten weiter", höre ich Oliver sagen. Dann spüre ich, wie er seine Finger zwischen meine Schiebt. „Es war schön, dich kennenzulernen, Harry. Vielleicht sieht man sich beim nächsten Spiel." - „Das bezweifle ich." Mehr sagt er nicht, er dreht sich um und geht ins Hotel. Oliver läuft weiter und ich lasse mich von ihm vom Eingang wegführen. Ich zittere und alles in mir schreit, meine Hand wegzuziehen. Wir gehen weiter, bis er unter einer Laterne stehenbleibt. Wieso genau unter einer Laterne?

Unsere Hände lösen sich voneinander und ich habe Mühe ruhig weiterzuatmen. „Alles okay? Du bist sehr blass." Ich glaube, er klingt besorgt. Keine Ahnung. Ich schnappe nach Luft, ich habe das Gefühl, zu ersticken. Die Ränder meiner Sicht verschwimmen und mein Herz klopft mir bis zum Hals. „Louis? Ist alles in Ordnung?", fragt er wieder. Mit zitternden Händen hole ich mein Handy heraus. „Kann ich irgendetwas tun? Brauchst du etwas zu trinken?" Das Licht der Laterne scheint auf uns herab und für einen Bruchteil einer Sekunde, denke ich, ich wäre wieder in Paris. Ich merke kaum, dass ich Neo anrufe. „Ich... es tut mir leid, es..." Ich schaffe es nicht, Wörter zu Sätzen aneinanderzureihen. Ich spüre Olivers Blick auf mir. Mein Brustkorb tut weh, als würden dutzende Kilo Gewicht darauf liegt. Mir wird schwindelig und ich halte mich an der Laterne fest. Fuck.

Es ist schlimmer, als ich es in Erinnerung habe. Ich blinzle immer wieder und versuche, meine Sicht zu fokussieren, aber es funktioniert immer schlechter. Ich habe das Zeitgefühl verloren, meine Ohren Piepen laut und die Welt um mich herum verschwindet.

Plötzlich hält ein Wagen neben uns mit quietschenden Reifen. „Louis!" Ich reagiere kaum. „Boo!" Das höre ich und drehe mich zur Seite. Neo kommt auf mich zu und betrachtet mich besorgt. Glaube ich zumindest. „Was hast du getan?" – „Ich habe gar nichts getan." – „Deswegen hat er ja auch eine Panikattacke." – „Was?" – „Was denkst du, was gerade los ist?", fragt Neo aufgebracht. Ich schwanke und er zieht mich zu sich heran, dass ich nicht das Gleichgewicht verliere. „Ich habe gar nichts getan", beteuert Oliver. „Wir sind ein Stück gelaufen und haben den PR-Manager des Teams getroffen." – „Was? Lucas oder Harry?" Ich zucke zusammen, als ich seinen Namen höre.

„Äh... Harry. Er wohnt wir wohl in einem Hotel. Und weil Louis sich sichtlich unwohl gefühlt hat, sind wir weitergegangen." – „Fuck." Ich zittere immer noch und auch, wenn ich alles höre, was um mich herum geschieht, bekomme ich es doch nicht richtig mit. „Hör zu, ich werde Louis jetzt mit nach Hause nehmen. Du hast nichts falsch gemacht, es liegt an Harry, nicht an dir. Am besten ihr klärt das die Tage." – „Ähm... okay." – „Er wird dir schreiben."

Ich sehe zur Laterne. Ich denke an Paris. Tränen treten mir in die Augen und mir wird schlecht. Kotzübel. „Oh nein", höre ich Neo sagen und er schiebt mir von dem Auto weg zu einer Mülltonne in paar Meter weiter. Gerade rechtzeitig. Mein Magen dreht sich um und das Sushi und der Wein verlässt meinen Körper. Ich bekomme keine Luft mein, mein Körper krampft und meine Sicht verschwimmt immer mehr. „Atmen, Boo." Neo streicht über meinen Rücken und es funktioniert. Ich bekomme wieder Luft. Er führt mich zum Auto, holt aus dem Handschuhfach Taschentücher und kippt Wasser darüber. Ich bekomme kaum mit, wie er mit damit den Mund abwischt und es ebenfalls wegwirft.

„Los, ab nach Hause." Er drückt mich auf den Beifahrer sitzt, eilt ums Auto und fährt los. „Er war da." – „Ich weiß." – „Er... ich hatte ein Date, mit Oliver." – „Ich weiß, Boo." – „Und Harry... er hat es gesehen und..." Ich schluchze auf. „Bleib ruhig, Louis, du musst atmen", wiederholt er. Einmal, zweimal. Immer wieder. Meine Wangen sind nass und mein Herz zieht sich zusammen. Es reißt sich selbst in Stücke. Neo flucht. Es war lange nicht mehr so schlimm. Mein Magen rebelliert wieder. Neo sieht mich immer wieder an, glaube ich, keine Ahnung. Plötzlich fährt er rechts ran, greift über mich hinweg und öffnet die Beifahrertür. Fast augenblicklich übergebe ich mich auf die Straße. Ich ringe nach Luft, mein Körper zittert und ich habe keine Kraft mehr. Neo legt einen Arm um meine Hüfte, als mich auf dem Auto steige und führt mich durch die Tür ins Wohnzimmer. Zuhause. Nein, ich bin nur in meinem Haus. 

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Das Date ist also alles andere als gut verlaufen. Habt ihr damit gerechnet? Was meint ihr wird jetzt passieren? 

Love, L

Lightning's HattrickWhere stories live. Discover now