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Yoongi sah schweigend zu Boden, während er sich seinen Hals rieb und an seine Vergangenheit zurückdachte. An die Zeit, als er noch fühlen, riechen, schmecken konnte. Jimin waren erst nach Yoongi's Erzählungen die vielen verheilten Narben auf seiner leicht transparenten Haut aufgefallen, welche sich an seiner Kehle ansammelten und den gesamten Hals bedeckten. Davor hatte er sie nicht bemerkt gehabt, auch als er so dicht vor ihn stand oder direkt neben ihm saß. Sie leuchteten hell weiß, genauso wie die Umrisse des Geistes.

Dieses Schicksal erschreckte Jimin. »Ich wurde einfach ermordet. In dieser Weihnachtsnacht.«, flüsterte Yoongi mit rauer Stimme und strich mit seinen Fingern über die dicken Narben. »Wir wurden alle ermordet.« Yoongi legte seine Hände an die Matratze, stützte sich an dieser ab und lehnte sich dann zurück, woraufhin er mit dem Rücken auf das Bett fiel. »In diesem Bett hat Jong-Hun geschlafen. In dem Moment, als ich..« Er legte seinen Unterarm über seine Augenpartie und fühlte sich plötzlich so leer. Er hatte schon so viele Jahrzehnte keine Gefühle mehr empfinden können und trotzdem breitete sich das große Loch in seinem Herzen immer weiter aus. »Er ist die Nacht über bei euch geblieben?«, fragte Jimin irritiert und musterte den Geist. Er betrachtete das Nachtkleid was dieser trug, welches ihm bis zu dem Knien ging. Er musterte die Blutflecken, welche den gesamten Stoff bedeckten. »Nachdem wir.. nachdem wir nach einiger Zeit wieder das Zimmer verlassen haben, hat seine Mutter ihm die Erlaubnis gegeben zu bleiben. Ich wusste, dass sie für diese Nacht ihren Sohn loswerden wollte, um Zweisamkeit mit ihrem Mann genießen zu können.«

Der Geist drehte sich auf die Seite und sah Jimin an. »Ich hätte nicht zustimmen sollen. Ich hätte.. ich hätte wenigstens ihn vor dem Tod bewahren können.«, murmelte er bedrückt und Jimin sah, wie einige Tränen seine Wangen hinunter kullerten. Sie tropften auf die Bettdecke, doch als der Student den Stoff berührte, war alles trocken. »Du hättest nichts tun können und das weißt du auch.« Yoongi rieb sich mit seinem Ärmel über die Augen und nickte leicht. Und trotzdem hatte er Schuldgefühle, die ihn nicht mehr in Ruhe ließen. »Ich weiß doch, aber irgendwie habe ich trotzdem das Gefühl das ich daran Schuld bin.« Jimin strich über die trockene Bettdecke, auf die Yoongi's Tränen tropften. Es fühlte sich surreal an. Yoongi war tot. Und trotzdem konnte er mit ihm sprechen.

»Wieso suchst du- ihr dieses Haus heim? Bindet euch etwas daran?« Der Geist atmete zittrig ein. Es fiel ihm schwer nach all der Zeit darüber zu sprechen, denn auch wenn es so lange her war erinnerte er sich so gut daran als wäre es gestern erst passiert. Er konnte noch immer die Hände von Jong-Hun an seinen Wangen spüren und seine Lippen, wie sie sich an seine geschmiegt hatten. »Wir wissen nicht wer uns ermordet hat. Wer.. wer uns das angetan hat. Und wir kommen davon nicht los, wir können keinem Frieden finden. Wir sind so verzweifelt Jimin, jede Nacht kann ich dieses Messer spüren welches sich in meine Kehle gerammt hatte und das Blut, was ich gespuckt habe. Und meine Kleider.. siehst du meine Kleider? Daran klebt mein Blut und es wird mich auf ewig daran erinnern. Ich kann es nicht abwaschen oder ausziehen, ich habe so oft versucht den Stoff auseinander zu reißen aber es will einfach nicht.«

Jimin stand vom Bett auf, fasste sich an den Kopf und sah zu Yoongi, während er durch den Raum tigerte. »Du hast erzählt das sich die rechte Hälfte des Erkers in deinem Zimmer befindet, also gehört die linke Hälfte zum Klavierraum?« Yoongi wischte sich seine Tränen weg und nickte. »Richtig. Wenn man die Wand im Klavierraum einschlagen sollte gelangt man direkt zu meinem Schlafzimmer.« Jimin begann sich seine Unterlippe zu zerbeißen. Er könnte Yoongi fragen was sich in der rechten Hälfte des Hauses befand, in das er sich nicht traute. Er hatte Angst, die weiteren Geister in diesem Haus anzutreffen. Er wollte deren Zorn nicht provozieren. »Mein Zimmer, das von meiner Schwester, meiner Eltern, ein Badezimmer und die Räume der Bediensteten.«

»Ihr hattet Leute die sich um all das hier gekümmert haben?«, staunte Jimin und Yoongi war froh, dass er von diesem bedrückenden Thema weglenkte. Dadurch musste er nicht mehr allzu sehr daran denken. »Ja, einen Gärtner, einen Koch und eine Haushälterin. Der Gärtner und die Hausfrau waren sogar verheiratet. Zusammen haben sie uns tatkräftig unterstützt und waren uns sehr treu. Sie lebten mit uns unter einem Dach, zwar in verhältnismäßig kleineren Zimmern aber sie hatten alles was sie brauchten. Sie waren.. ein fester Bestandteil unserer Familie. Sie hatten schon bei uns gearbeitet als ich ganz klein war, weswegen sie für mich immer zu uns gehörten.« Jimin geriet ins Schmunzeln, er stellte sich vor wie Yoongi in seiner Kindheit draußen mit dem Gärter gespielt und dem Koch in der Küche beim Zubereiten der Gerichte zugeschaut hatte. Es war eine herzerwärmende Vorstellung, dass er sich fragte wer dieser Familie so etwas schreckliches antun könnte.

Yoongi erhob sich nun ebenfalls vom Bett, ging Richtung Zimmertür. »Ich habe gemerkt das du Angst vor der Dunkelheit hast.«, lenkte er komplett vom Thema weg und führte Jimin aus dem Raum, zeigte direkt auf die Wand neben der Tür am Ende des Flures. Er stellte sich vor ihr, strich über die Wölbungen der tapezierten Wand. »Dahinter ist ein Fenster. Du musst die Tapete abreißen.« Jimin lächelte erfreut und gleichzeitig überrascht, lief schnell zum Schlafzimmer zurück und suchte sein Taschenmesser in einen der vielen Rucksäcken. Mit diesem bewaffnet stellte sich Jimin wieder vor die Wand, ahmte Yoongi's Bewegungen nach und strich über den Fensterrahmen, welchen man durch die Tapete nur leicht erkennen konnte. Jimin begann am Rand des Rahmens durch die Tapete zu schneiden, riss sie mit viel Mühe ab und es entblößte sich eine dicke Schicht Pappe, welche dem Sonnenlicht verweigerte durch die Tapete zu scheinen. Jimin stach mit dem Messer hinein, beschädigte die Pappe so sehr das er irgendwann alles ohne Mühe abreißen konnte und der Flur dadurch in angenehmes Tageslicht gehüllt wurde.

Erleichtert darüber, das Yoongi recht hatte, grinste er ihn an und klatschte mit seinen Händen. Er trat etwas die Pappteile zur Seite, versuchte das alte Fenster zu öffnen. »Danke, Yoongi.«

The legend of the Min family ✓Waar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu