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Langsam trat Jimin einen Schritt zurück, auf seinen Lippen ein ungläubiges Lächeln. Nein, das kann nicht sein.

Rio musterte ihn still, sie folgte seinem starren Blick und sah auf das Gesicht ihres Ururgroßvaters. Sie wunderte sich, was daran denn so besonders war. Ihn kennen tat Jimin schonmal nicht, schließlich lagen zu viele Jahre zwischen ihnen und von historischer Bedeutung war er auch nicht. Eben ein ganz normaler, alter Mann mit Familie. Jimin schnaubte.

»Kann ich ein Foto davon machen?« Rio nickte nur etwas und ließ ihn die Abbildung abfotografieren. Sie fragte erst gar nicht nach, was er damit wollte. Er war sicher noch immer etwas benebelt und verwirrt, besonders, da er so viele Tabletten geschluckt hatte. Sie konnte sich vorstellen, dass sein Kopf mit Watte gefüllt war. Wenigstens hat er keine Schlaftabletten zu sich genommen.

»Weißt du vielleicht, wie dieser Typ heißt?« Jimin zeigte auf den Mann, den er so im Visier hatte. Rio zuckte jedoch nur mit den Schultern und setzte sich auf den Boden, um die Schränke unter dem Fernseher zu durchsuchen. Sie fand ein altes, dickes Buch mit Fotos drinnen, öffnete es und wank Jimin zu sich. Er setzte sich neben sie und hielt sich seinen Kopf.

Die Bilder waren alle ziemlich alt. Gelblich, schwarz-weiß und an den Rändern etwas zerknittert. Rio blätterte etwas herum, hielt dann auf einmal inne und zeigte auf eines der Fotos. Auf dem war der Mann abgebildet, erneut mit Frau und Kinder und darunter waren die Namen aufgeschrieben, die Rio laut vorlas.



Jimin stieg aus dem Wagen, trug Rio's Korb mit der gewaschenen, getrockneten und gefalteten Wäsche aus dem Kofferraum und winkte ihr noch hinzu. Er war ziemlich lange bei ihr geblieben. Sechs Stunden, um genau zu sein. Bis die Wäsche gewaschen und durch den Trockner getrocknet wurde, waren schon vier Stunden vergangen und dazwischen wollte Rio ihn dann noch bemuttern (was zugegebenermaßen sehr erschreckend für Jimin gewesen war), hatte ihn mit Tee volllaufen lassen und die Klamotten gefalten.

Er verstand ihr Verhalten nicht. War sie nicht diese draufgängerische Barkeeperin, die Männer jeglichen Alters angeln konnte und wahrscheinlich nur an ihre knappe Lederkleidung dachte? Also, wieso war sie dann so komisch und kümmerte sich sogar um ihn? Klar, es war offensichtlich. Jimin war ihr Stammkunde, der mit dem Geld fast um sich warf, wenn es um den Alkohol ging. Der schöne, teure Alkohol..

»Pass auf dich auf!«, rief Rio ihm noch zu, ehe sie mit ihrem Wagen davonbretterte und dafür sorgte, dass die beiden Gärtner ihre Gerätschaften ausschalteten und Jimin mit neugierigen Blicken durchbohrten. Oh nein. »Ist das deine Freundin?«, fragte Jungkook amüsiert und sah dem Auto hinterher, zog seine dicken Handschuhe aus und wischte sich über seine Stirn. Es war schon Nachmittags und trotzdem schien die Sonne heiß auf sie hinab. Jimin fragte sich, wie die Beiden in dieser Hitze arbeiten konnten. Das war doch sicher eine Qual.

»Oh ja, meine Verlobte sogar.«, scherzte Jimin mit übertrieben geschwungener Stimmenlage und brachte den Jüngsten zum Lachen. »Ach was, echt jetzt?« Ja... ne. »Nein, natürlich nicht!« Genervt trug Jimin den Korb den Gehweg entlang und er merkte dabei, wie die Ritze der Steine frei von dem Unkraut waren und dunkel schimmerten, da sie nass waren. Sie hatten sicher irgendeine Säure oder Essig zwischen den Steinen herum gesprüht, damit der Mist nicht wieder so schnell nach wuchs. Aber das war Jimin auch ganz recht, denn sich darum kümmern würde er sich ganz bestimmt nicht.

Jimin schob die angelehnte Haustür mit seinem Fuß auf, lief dem roten Teppich entlang und warf einen kurzen Blick auf den Wischmop und dem Eimer, links an der Wand. Wie lange lag das jetzt schon da? Bestimmt eine halbe Ewigkeit. »Oh, da bist du ja endlich!«, hörte er Yoongi auf einmal grinsen und mit einem größer werdenden Kloß in seinem Hals, hob er den Kopf und sah zum Geist hinauf. Er stand oben auf der Treppe und grinste erfreut. Was? Wieso war Yoongi so glücklich darüber, ihn wiederzusehen? Er war doch nicht für ein paar Jahre weg gewesen.

»Ich habe aufgepasst, so wie du es mir gesagt hast. Seokjin ist nur manchmal gestolpert und Jungkook hat sich am Finger geschnitten, aber ansonsten haben sie ihre Arbeit gut gemacht.« Nein, wie süß. Yoongi nimmt seine Worte wohl wirklich ernst.

Jimin schmunzelte, trug den Korb nach oben und lief dann den Flur zu seinem Zimmer entlang. Yoongi folgte ihm. »Du warst wieder sehr lange weg gewesen.«, hörte er Yoongi traurig seufzen. Lange? Lange waren diese einhundert Jahre, in denen der Geist hier schon gefangen war. Diese sechs Stunden waren dagegen doch gar nichts. »Das waren doch nur ein paar Stunden gewesen.«, lachte Jimin und sortierte seine Kleidung auf den sauberen Boden, da er nicht diesen uralten Schrank dafür benutzen wollte. Dieser stank nämlich ganz komisch und er wollte nur ungern diesen Geruch an sich selber tragen.

Er erinnerte sich wieder an das Bild, das an Rio's Wand hing und er hatte es deswegen schwer, ganz normal gegenüber Yoongi zu wirken. Was soll er tun? Etwas gemein wie sonst auch sein, damit er keinen Verdacht schöpfte? Denn schließlich hatte Jimin irgendwas, irgendwie herausgefunden, dem er noch nachgehen musste. Und wenn Yoongi davon erfuhr... er wollte sich nicht ausmalen, wie seine Reaktion sein würde. Er musste erst wirklich sicher sein und am besten handfeste Beweise haben, um es dem Geist schlussendlich erklären zu können.

»Yoongi, du meintest ja mal, dass dich dein Vater nie in das Kaminzimmer gelassen hat.«, begann Jimin leise, nachdem seine Klamotten ordendlich auf dem Boden gestapelt waren setzte sich auf das Bett. Er mochte nicht diese feste Matratze, auf der er schon so lange schlafen musste. Aber wieso besorgte er sich nicht einfach sein altes Bett aus seinem Elternhaus hierher? Naja, vielleicht würde es Yoongi ja nicht gefallen. Überall war nur Yoongi.

»Oh, ja.«, meinte Yoongi nur und setzte sich ebenfalls auf das Bett, umhüllte Jimin mit seiner wohltuenden Kälte. Im Kontrast zu dieser stickigen Hitze, war seine Nähe dann doch nicht so schrecklich und unerträglich. »Weißt du vielleicht auch, warum?«

Yoongi zuckte mit seinen Schultern. »Es gefällt ihm nicht, wenn wir in seinen Sachen herumgraben und alles durcheinander bringen.« »Wir tun das für unsere Familie! Für deine Frau, deine Kinder!«

»Ich glaube, dass dort etwas ist, Yoongi.«, flüsterte Jimin und er musterte eindringlich Yoongi's matten, milchigen Augen. Ihn zerdrückte irgendwie dieses Gefühl, dass das Leben aus ihm gewichen war. Die glänzenen Augen, das schallende Lachen. Yoongi ist tot.

»Was soll denn da sein?« Jimin presste seine Lippen aufeinander, brach den eindringlichen Blickkontakt ab. Er dachte nach. Ja, was soll denn da sein, Jimin? Etwa Geheimnisse, von denen Yoongi nichts weiß? Von denen niemand etwas weiß? »Ich will das nicht mehr!«

»Ich-.. ich weiß es nicht. Aber ich versichere dir, dass sich dort etwas befindet. Irgendetwas von Wert. Das fehlende Puzzleteil, dass alles miteinander verknüpft.«

Yoongi's Augen waren groß und das einzige was er tat, war zu nicken. Jimin war zum Schreien zumute. Aber was sollte dieser arme, unschuldige Geist denn auch sonst machen können? Vorzuschlagen, den Raum unter die Lupe zu nehmen? Ja, Jimin hatte dies eigentlich wirklich erhofft zu hören. Aber es konnte ihm eigentlich egal sein, was Yoongi da wollte, denn es war nur er, der alldem auf die Spur gehen konnte.

»Ich habe von dem Kaminraum geträumt, Yoongi. Hinter dem Bücherregal, da war.. da war eine Treppe. Eine Treppe nach oben. Hörst du? Da oben ist irgendwas, was nicht gefunden werden soll.« Jimin's Stimme klang nach einem aufgeregten Zischen und während er erzählte, begann sein Herz zu rasen. Wegen den Vorstellungen, was er alles finden könnte.

»Lass uns dort hin gehen, Yoongi. Lass uns nach oben gehen und Geheimnisse aufdecken.« Yoongi zog seine Schultern etwas zusammen und biss auf seiner Unterlippe herum. Er senkte seinen Blick, krallte sich in den Stoff seines Nachtkleides und schüttelte schwach seinen Kopf.

Aber Jimin hörte nicht. Er stand auf, richtete sich sein Oberteil und verließ in einem schnellen Tempo das Schlafzimmer. Er sprang die Treppen runter, lief durch die offene Tür nach draußen und sprach direkt Jin an, welcher gerade an einem der alten Bäume lehnte und sein Wasser trank.

»Seokjin! Ihr könnt jetzt schon Feierabend machen. Das ist doch okay, oder?« Und somit verscheuchte er binnen zehn Minuten die verwunderten Gärtner, half ihnen sogar den ganzen Kram in deren Bus zu tragen und wank ihnen mit einem breiten Lächeln zu.

Dabei spürte er den Blick von Yoongi auf sich, wie er mit besorgter Miene im Türrahmen stand und das Zittern seiner Hände spürte.

The legend of the Min family ✓Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang