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feelings

Die Tage zogen nur so an Jimin vorbei. Er traute sich seit diesem Vorfall nicht mehr raus. Weder in Rios Bar, noch zur Wäscherei. Er verbrachte die unendlich vielen Stunden damit, mehr über die Spieluhr zu erfahren. Offensichtlich hatte sie etwas drauf, was an sich gar nicht möglich sein konnte (sagte er, während er mit einem Geist sprach.)

Er konnte seinen Schlafmangel etwas reduzieren, wenn er tagsüber kurze Nickerchen hielt. Es schien, als hätten die Geister es darauf abgesehen, ihn nur Nachts so richtig zu terrorisieren, also konnte er Mittags mehr oder weniger seine Ruhe haben. Wäre da nicht Yoongi.

Jimin und Yoongi waren sich tatsächlich näher gekommen. Also nicht so, wie man es sich vorstellte, sondern eher, was deren Freundschaft anging. Jimin konnte nun nicht einmal mehr das Zimmer ohne Yoongi an seiner Seite verlassen. Er wusste zwar, dass der Geist in sonst welchen Situationen nichts ausrichten konnte, aber es beruhigte ihn, jemanden bei sich zu haben. Einen Freund, einen Beschützer.

Sie hatten auch sehr, sehr tiefsinnige Gespräche miteinander gehabt. Da sich Yoongi nicht wirklich an seine Lebzeiten erinnern konnte, sprach Jimin einfach und auch, wenn er es nicht zu gab, tat es wirklich gut zu reden. Er erzählte tatsächlich viel, wurde mit der Zeit offener und gesprächiger. Jimin hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, dass er so sein konnte. So verplappert und verträumt.

Und Yoongi hörte ihm immer zu. Immer, immer. Selbst, wenn Jimin müde im Bett lag und gegen die Wand klopfte, war der Geist sofort bei ihm und hörte sich alles an. Geheimnisse, Dinge, die Jimin noch nie jemanden erzählt hatte. Kleinigkeiten aus seiner Kindheit oder auch Ereignisse, die ihn sehr geprägt haben. Dinge, vor denen Jimin Angst hatte. Die er liebte, an die er sich gerne zurückerinnerte. Peinliche Momente, bei denen er heute noch einen roten Kopf bekam, wenn er darüber nachdachte.

Yoongi war wie sein Tagebuch. Er war die leeren Seiten, die Jimin mit jeder Erzählung füllte. Yoongi war sein Zuhörer. Das, was er schon immer gebraucht hatte. Und irgendwann, da konnte sich Jimin gar nicht mehr vorstellen, keinen Yoongi mehr bei sich zu haben. Seinen kleinen, lieben Geist, den er bereits viel zu sehr ins Herz geschlossen hatte.

Manchmal, da lag Jimin in der Dunkelheit wach und er fragte sich, wie es wäre, Yoongi zu umarmen. Ihn ganz fest an sich zu drücken und vielleicht würden seine langen Haare im Nacken Jimin an der Nase kitzeln. Jimin stellte sich vor, seine Wange zu berühren, durch seine Haare zu fahren und ihm vielleicht, ganz vielleicht einen Zopf zu binden, da sie ja so lang waren. Wie Yoongi wohl roch? Eher nach dunklem Holz oder eher ganz mild nach Blumen und frischer Wäsche?

Er stellte sich vor, dass Yoongi ihn anlachte. Mit seinem Lächeln, seinen funkelnden Augen, mit dem Leben in sich. Jimin dachte sehr, sehr oft an diesen einen Tag, wo er Yoongi in der Weihnachtsnacht besucht hatte. Seine schwarzen Haare schienen so kräftig und seine lache war so laut, dass Jimin eine so starke Gänsehaut bekam, was ihm noch nie passiert war.

Und wenn Jimin dann an die Weihnachtsnacht zurückdachte, dann kam ihm auch Jong-Hun in den Sinn. Yoongis Geliebter. Yoongis Freund. Yoongis Partner. Jimin fragte sich, ob sich der Geist noch an ihn erinnern konnte. Das hoffte er zumindest, denn die beiden schienen damals wirklich verliebt ineinander gewesen zu sein. Eine verbotene Liebe war das gewesen, und das tat Jimin wirklich leid.

Sie hätten sich lieben können, ohne sich verstecken zu müssen. In Jimins Zeit, da interessierte es niemanden, wen du als Partner hattest. Er hatte schon oft homosexuelle Paare draußen auf der Straße gesehen und sich dann heimlich riesig für sie gefreut. Wenn Jimin könnte, würde er Jong-Hun und Yoongi in seine Zeit bringen. In die Zeit, wo Liebe Liebe war.

Aber wenn Jimin dann daran dachte, dass die beiden zusammen wären, machte sich eine leichte Trauer in ihm breit, die er sich nicht erklären konnte. Er wollte doch so sehr, dass Yoongi glücklich sein konnte, aber irgendwie.. Er wusste es doch selber nicht.

Yoongi war so anders. Yoongi war so lieb. Yoongi war fürsorglich und er hörte ihm immer, wirklich immer zu. Yoongi hatte so ein schönes Lächeln.

Yoongi, Yoongi, Yoongi.

Da war nur noch er in Jimins Kopf. Er verstand das nicht, und tatsächlich war dies das einzige, was er Yoongi nicht sagen konnte.
'Hey Yoongi, du bist so toll.'
'Yoongi, bitte bleib bei mir, ja?'
'Ich glaube, ich mag dich, Yoongi.'

Nein, das konnte er niemals sagen. Das war doch viel zu komisch und peinlich und unangenehm. Jimin mochte einen Geist? Wie gruselig war denn das. Jimin wollte einen Geist anfassen? Der spinnt doch.

Jimin schämte sich für seine Gedanken. Er schämte sich dafür, dass er sich vorstellte, Yoongi seine Welt außerhalb zu zeigen. Er wollte mit Yoongi Dinge machen, wie man nur mit Leuten machte, die man sehr mochte.

Er wollte Yoongi küssen.
Yoongi küssen? Jimin, das ist ein Geist. Yoongi nackt sehen? Jimin, du bist pervers. Such dir doch jemand anderen, redete er sich immer ein. Es gibt so viele Fische im Meer, also wieso unbedingt er?

Und außerdem war Yoongi verliebt. Yoongi liebte seinen Freund Jong-Hun, und das hieß, dass das schon mal gar nicht funktionieren konnte. Und mit Yoongi konnte Jimin auch nichts machen.

Sie konnten nicht raus gehen, sie konnten nicht nebeneinander im Bett liegen und sie konnten sich auch nicht berühren. Es war, als hätte sich Jimin in ein Hologram verliebt. Etwas, was er sehen, aber nicht anfassen konnte. Etwas, was nicht da war.

Jimin war verliebt?

The legend of the Min family ✓Where stories live. Discover now