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Ihm zitternden die Hände, als er in seiner Gegenwart ankam und er erstmal zu Boden sacken musste. Er hatte auf einen Menschen geschossen. Direkt in Taehyungs Bein und er empfand nicht einen Funken Reue. Er fühlte sich tatsächlich unfassbar gut und befriedigt, als hätte er etwas getan, was eine Last von seinen Schultern nahm.

Bittersüße Rache.

»Sie sind weg.«
Jimin hielt sich den Kopf, lächelte schwach vor sich hin. Das Zimmer wurde warm, das Eis an den Fenstern begann zu schmelzen. »Sie werden uns nicht mehr im Weg stehen.«

Yoongi war erschrocken wegen Jimins gefühlsloser Stimme. Sie klang monoton, beinahe mechanisch. Dabei fühlte er sich doch so befreit, so lebendig. »Bist du dir sicher?«

Jimin nickte. »Hätte ich sie nicht entfernt, würden sie nur weiter Schaden anrichten. Wahrscheinlich hätten sie mich umgebracht, vielleicht auch gequält und dann dasselbe mit mir getan, was ich mit ihnen gemacht habe: in eine andere Zeit gesteckt.«

Der Geist atmete schwer auf. Seine Kräfte schienen zu schwinden und Jimin konnte sehen, dass er sehr erschöpft war. Er wusste zuvor selber nicht, dass er seine ausstrahlende Kälte auf einen Punkt konzentrieren und diesen dann komplett zu Eis erstarren konnte –dass er generell über Fähigkeiten verfügte, die sich in die Realität einmischen würden. Sonst war er nur ein Traum, ein Hologramm ohne Bedeutung und Nutzen.

»Yoongi, wir müssen miteinander reden.«
Jimin rappelte sich auf, sammelte seine Kraft. »Lass uns runter gehen.«

Der Geist folgte ihm ohne Wiederrede in den Flur, doch er hielt inne, als Jimin vor ihm bereits die Stufen runter stieg. »Warte!«, rief er warnend, da er die Anwesenheit zweier Fremder spüren konnte. Doch der andere ignorierte dies und kam schließlich auf dem Boden des Saals an.

Misstraurisch blickte Yoongi von oben zu ihm hinunter, doch er erkannte in dem Blick seines Freundes, dass alles okay war. Nur langsam folgte er Jimin hinunter, schwank mit seinem Blick wild durch den großen Raum.

Zwei Gestalten standen ihnen gegenüber, vielleicht fünf Meter von den Freunden entfernt. Yoongi trat zurück, die Stirn gerunzelt und der scharfe Blick auf sie gerichtet. Er hatte seine Hände zu Fäusten geballt und war jederzeit bereit dazu, diese Personen bewegungsunfähig zu machen.

»Geh.«
Yoongi sah überrascht zu Jimin, doch dieser zeigte nur auf die Unbekannten, schien auf sie zu deuten.
»Los, geh zu ihnen.«

Zögernd schritt der Geist die wenigen Schritte auf sie zu, ehe er durch das schwache Licht im Raum in die Gesichter der Männer blicken konnte. Sie sahen Yoongi direkt in die Augen, lächelten bedacht und langsam.

»Erkennst du sie?«
Etwas ging in Yoongi vor. Ihm rutschte das Herz beinahe in die Hose und er hatte das Gefühl, plötzlich von so lebendigen Emotionen überflutet zu werden, so intensiv wie noch nie zuvor.

Diese Gesichter, dieses Lächeln, dachte er sich und stand, mit der Sprache verschlagen, dort. »Yoongi, mein alter Freund.«, hörte er die Stimme des linken Mannes sprechen. Die Augen warm, das Lächeln ehrlich. »Weißt du nicht, wer ich bin?«

Er schien es ihm nicht übel zu nehmen, das konnte Yoongi hören. Also schüttelte er langsam seinen Kopf, versuchte sich fieberhaft daran zu erinnern, warum er diese Züge doch so gut kannte.

»Ich bin es, Jong-Hun.«

Die Welt schien zu erstarren.
Völlig schockiert starrte der Geist seinen Gegenüber an, ehe sein Blick zu dem anderen Mann wanderte und seine Augen nur noch größer wurden. »Vater!«, stieß er erschrocken aus und stolperte etwas zurück. Er sah, wie sich Gyeongs Augen mit Tränen füllten.

»Ihr- ihr seid hier!«

Jong-Hun schmunzelte, der Alte hielt sich an seinem Arm fest, um die nötige Stütze zu haben. »Ja, das sind wir wohl.«

»Aber-! Aber! Wie ist das möglich? Ihr seid doch schon lange verstorben!«

Gyeong schmunzelte müde und er begann die Geschichte deren Vergangenheit zu erzählen. Wie er die Spieluhr mit Jong-Hun benutzt hatte, um Jimin und ihn zu warnen und ihnen zu helfen. Sie wollten dafür sorgen, dass die Geister des Hauses nicht mehr in Schmerz und Leid exsistierten. Dass sie den Frieden finden konnten, welcher ihnen zustand.

Er sprach von dem toten Kind, Yoongis Bruder, welchen er und seine Schwester nie kennenlernen konnten. Wie er die Familie mit so jungen Jahren verließ, nur durch die Hand eines Psychopathen, der seine Gelüste befriedigen wollte. Mit einem Opfer, unbezahlbar wie kein anderes.




»W-was? Ich.. verstehe nicht.. Yusong war es gewesen?«, flüsterte Yoongi fassungslos, während er die alt gewordenen Männer vor sie ansah. Sein Herz blühte auf. Jong-Hun war hier! Er war tatsächlich da und er hatte ihn nicht vergessen. All die Jahre hatte er an ihn gedacht. Yoongi wäre beinahe in Tränen ausgebrochen.

»Er hat euch alle umgebracht, um seine Beweise zu vernichten. Er dachte, dass es nach Jong-Hun jeder wusste und er wollte auf keinen Fall eine Strafe bekommen.«, nickte Gyeong.

»Und deswegen bringt man so viele Opfer..?« Yoongi ließ enttäuscht und verletzt seine Schultern hängen. Er hatte sich nicht umsonst immer unwohl bei seinem Onkel, Yusong, gefühlt. Irgendetwas hatte ihm immer leise zugeflüstert, dass er kein guter Mensch war. Dass es unausgesprochene Geheimnisse gab. Zwei Brüder, die sich gegenseitig deckten, da sie sonst in Schwierigkeiten kommen würden.

Sie gerieten ins Schweigen. Zu viert hatten sie sich in Jimins Schlafzimmer begeben, in dem Zimmer, in welches Jong-Hun seine letzte Nacht vor einhundert Jahren im Herrenhaus verbracht hatte. Die Nacht der Weihnacht. »Ich weiß, was du dich fragst, Jimin«, räusperte sich der alte Mann und sah sich in dem Zimmer um.

Jimin blickte auf, runzelte seine Stirn. »In dieser Realität, da hat mein Bruder auf Jong-Hun in der Nacht einstechen können. Deswegen war hier auch Blut, welches ich jedoch bald schon wieder entfernt habe. Es waren aber nur einige Tropfen gewesen, beinahe so viel wie beim Nasenbluten. Das Meiste ist auf den Boden gekommen. Du hattest mir aber davon erzählt, dass im deiner Zeitreise das gesamte Bett voll damit war. Als wäre es darin getränkt.«

Er nickte sofort.
Gyeong grübelte. »Dann bist du in eine Realität gereist, die er nicht überlebt hat. Wo er von Yusong zu Tode erstochen wurde, das erklärt auch das Blut.«

»Und die Polizei?« Jimin blinzelte verständnislos.
»Es war keine Spur von der Polizei da gewesen! Ich weiß, dass man damals noch nicht so ermitteln konnte wie zur heutigen Zeit, aber man hätte bemerkt, dass sie dort gewesen wären.«

Der Herr nickte verstehend.
»Nicht in allen Realitäten wird die Polizei auf diesen Familienmord aufmerksam. Es kann sein, dass man dort einfach so getan hat, als würde die Familie weiterhin exsistieren.«

»Es war keine Leiche da.«

»Hättest du es besser gefunden, eine dort zu sehen?«

Jimin schluckte.
»Nein.«

Gyeong nickte.
»Ich weiß nicht, was dort alles passiert ist und ich kann es dir auch nicht sagen. Vielleicht wirst du es selber eines Tages herausfinden können, wer weiß.«

Jong-Hun räusperte sich. »Dafür bleibt uns jetzt keine Zeit. Jimin muss so schnell wie möglich in die originale Vergangenheit gehen und es halbwegs geradebiegen.« Sie hatten Yoongi nicht erzählt, dass Jimin versuchen wollen würde, Yoongi mit sich zu nehmen. Ganz egal, wie wenig Zeit ihm blieb: er würde alles dafür tun, um es wenigstens zu probieren.

»Jimin, du musst auf alles vorbereitet sein. Außerdem musst du den Plan auch in so kurzer Zeit wie nur möglich durchführen, wir kennen nämlich nicht die Zeitspanne, die du dort verbleiben kannst.« Jimin nickte.

»Du musst bewaffnet sein. Mit Seil, Messern und allem Möglichen.«

Yoongi sprang auf.
»Dann lasst uns den Plan schmieden und keine Zeit verlieren!«

The legend of the Min family ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt