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»Und wieso solltest du ihn dann sehen können, und nicht die anderen?«

Rio summte, sie strich sich ihre langen Haare hinter das Ohr. Sie fuhr weiter, schien dabei zu überlegen. Jimin nutzte diese kurze Stille, um wieder zu Ruhe zu kommen. Es machte ihn fertig, dass sie unbedingt über Yoongi sprechen mussten. Hier Yoongi, da Yoongi. Überall war dieser kleine, nervige Geist. Yoongi, Yoongi, Yoongi,..
Es ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

»Vielleicht kann er es kontrollieren, wem er sich zeigt und wem nicht.« Jimin nickte erschöpft. Vielleicht hatte sie recht damit, denn um ehrlich könnte alles stimmen.  Schließlich wusste er nicht viel über ihn. Er wusste nicht einmal, wie sein Familienname lautete. Und dabei hatte er selber Yoongi so vieles erzählt, dass er eigentlich nicht hätte wissen müssen. So viele unnütze Dinge, die für Jimin trotzdem unglaublich von Wert waren.

Zehn Minuten später kamen sie an der Apotheke an, holten sich ein Päckchen Kopfschmerztabletten und saßen kurze Zeit später wieder im Auto. Rio schnallte sich an und sah nachdenklich zu Jimin, welcher sich an ihrer unberührten Wasserflasche bediente und direkt drei Tabletten auf einmal schluckte. Sie verzog bei diesem Anblick das Gesicht.

»Wenn du willst, kannst du deine Wäsche bei mir waschen. Ich habe sogar einen Trockner.«

Dieses Angebot klang wirklich viel zu verlockend in Jimin's Augen, aber er fragte erst gar nicht nach, was für eine Gegenleistung sie von ihm wollte. Er war ein teurer Stammkunde in ihrer Bar, was wollte sie schon mehr? Einen guten Freund zum Reden? Eine Beziehung? Gott, da würde Jimin doch lieber ohne Hilfe ein mal die Woche zur Wäscherei laufen, als etwas mit Rio anzufangen.

»Fein. Dann fahr mal los.«, murrte Jimin und trank den Rückweg über ganze zwei Flaschen leer. Seine Laune und die Kopfschmerzen hatten sich irgendwie nicht gebessert. Oder es hatte sich gebessert, aber nur so wenig, dass man es schon übersah. Aber mit seiner schlechten Laune kam dann auch die Übelkeit hinzu. Ganz besonders, als sie vor der Bar anhielten und dann in diese hinein liefen.

Irgendwie hatte er plötzlich gar keine Lust mehr auf Alkohol und er musste sich sogar an Rio festhalten, um nicht irgendwie umzufallen und auf dem Boden dann einzuschlafen. Durch eine Tür gelangen sie in einen weißen Flur, stiegen die Treppen nach oben und Jimin wartete, bis die Frau die Tür zur Wohnung öffnete.

Sein dicker Rucksack, vollgepackt mit benutzter Kleidung, hing ihm schwer am Rücken, weswegen er ihn sofort abnahm und zu Boden stellte. Rio drückte ihn in ihre Wohnung, schnappte sich die Tasche und war dann irgendwie weg.

»So, du gehst jetzt ins Wohnzimmer und ich werde Babysitter spielen.« Auf einmal stand Rio wieder neben Jimin und zog ihn an seinem Arm in besagten Raum, drückte ihn auf das Sofa und verschwand dann auch wieder. Erst, nachdem er einige Minuten in Stille dort saß, kamen die Worte der Frau bei ihm an und er runzelte perplex seine Stirn. »Babysitter?!«

Von irgendeinem anderen Raum kam ein dumpfes: »Jaja«, was Jimin nur noch mehr das Gesicht verziehen ließ.

Er wurde dann erst wieder etwas wacher und war nun in der Lage, sich im Wohnzimmer umzusehen. Der Flachbildfernseher vor ihm war riesig und breit und die Schränke darunter glänzend schwarz lackiert. An den Wänden hingen sperrlich verteilt eingeramte Bilder, wahrscheinlich von der Familie oder so.

Das schwarze Ledersofa, auf dem Jimin saß, befand sich genau mittig im Raum und war mit der Rückenlehne zur Tür gelehnt, weswegen er sich erstmal umdrehen musste, um den Rest sehen zu können. An der Wand hinter ihm standen vier weiße Schaufensterpuppen, die die nuttigsten Klamotten trugen, die Jimin je gesehen hatte. Kurze Röcke, überall Leder und trotzdem war zu wenig Stoff an allem dran. Und oh Gott, war das etwa eine Peitsche?!

»So, da bin ich wieder.« Jimin war blass im Gesicht. Verstört sah er zu Rio hoch, welche eine Tasse schwarzen Kaffee auf den Tisch stellte und sich unschuldig lächelnd neben ihn auf das Sofa warf. »Hm? Was schaust du so?«

Er deutete mit seinem Blick zu den Schaufensterpuppen und er sah dabei zu, wie sie kurz dorthin blickte und etwas grinste. »Geil, oder?« Jimin schüttelte seinen Kopf.

»Auf jeden Fall nicht an dir.« Rio lachte laut auf und schlug Jimin spaßend -und ziemlich fest- gegen seine Schulter. Die Kopfschmerzen kurbelten sich dabei wieder hoch. »Du hast eben kein Geschmack.«

»Du bist echt gruselig.«, murmelte Jimin und rückte von ihr weg, griff nach der dampfenden Tasse und roch etwas am Kaffee. Eigentlich trank er ihn nicht pur, aber er wollte nicht noch irgendwelche Sonderwünsche auftischen. Also blieb er standhaft und würgte ihn mit der Zeit runter.

Dabei nahm er sich die Zeit und ließ seine Augen gründlicher über die Bilder vor ihm schweifen. Auf einigen von ihnen erkannte er Rio, mit anderen Haarfarben und normalen Outfits, die er sich ehrlich gesagt nicht an ihr vorstellen konnte. Auf einem Bild hatte sie sogar ein Hochzeitskleid an. »Scheiße, du bist verheiratet?«, verschluckte sich Jimin an seinem Kaffee und stellte die Tasse schnell auf dem Tisch ab.

Rio sah ihn schulterzuckend an und musterte ihre Fingernägel. »War.«
Jimin stand auf, ging zum Bild und musterte es genauer. »Ich habe ihn nie geliebt. Meine Eltern wollten, dass ich jemanden heirate, also habe ich mir den Nächstbesten geschnappt und es durchgezogen. Ein halbes Jahr später war ich geschieden.«

Jimin ging weiter, blieb bei einem Bild stehen, welches ihm davor noch nicht wirklich aufgefallen war. Dort befanden sich vier Personen, ein Ehepaar und anscheinend deren Kinder. Das Bild war alt und schwarz-weiß, als hätte man es vor einhundert Jahren aufgenommen.

»Und wer sind die?«
Rio stellte sich neben Jimin und musterte das Foto.
»Die da oben sind meine Ururgroßeltern. Das Mädchen ist meine Urgroßmutter und der Junge neben ihr ist ihr Bruder.«

Jimin's Augen blieben an dem Ururgroßvater hängen. Sein Gesicht war kalt und dennoch.. dennoch kam er ihm bekannt vor. Er hatte dieses Gesicht schon irgendwo mal gesehen.

Und plötzlich schoss ihm ein Name in den Sinn.

The legend of the Min family ✓Where stories live. Discover now