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Dienstag 25.02.2052; 07:30 Uhr

Es schüttet immer noch. Man könnte meinen, dass die Menschheit sich demnächst nicht mehr gegenseitig töten muss. Wozu denn auch, wenn bis dahin alle ertrunken sind? Eine Windböe kreuzt meinen Weg. Sie zerrt sehr stark an meinem Regenschirm. Ich hoffe, ich schaffe es noch trocken zur Schule. Wenn ich so durch die Gassen streife scheint alles normal. Man könnte fast meinen, dass wir in einer Welt leben, in der es nicht normal ist, dass täglich hunderte von Toten verzeichnet werden, wäre da nicht diese düstere Stimmung welche meine Vorstellung zerstört.

So wie jeden Tag, wenn ich weiter ins Stadtinnere laufe, riecht es nach frisch gefilterter Luft. Die Erwachsenen meinen, dass es, im Gegensatz zu früher, schon fast unecht rein riecht.

Doch ich mag den Geruch irgendwie. Die Nase in die Luft gesteckt, atme ich einmal tief ein und wieder aus. Doch da tritt mir ein Gestank in die Nase, der einfach nur wiederwertig stinkt. Als ich in die Nächste Straße einbiege, weiß ich auch woher er stammt. Meine Augen weiten sich und erschrocken schlage ich mir meine Hände vor meinen Mund. Das, was ich zu Gesicht bekomme, lässt mir gleich mein Frühstück wieder hochkommen. Vor meinen Füßen liegt eine Leiche, bei der schon der Verwesungsprozess eingesetzt hat. Bereits getrocknete Blutlachen säumen den Teer. Es ist nicht einmal mehr zu erkennen wer diese Person einmal war. Möglicherweise hat man sie hinterrücks erstochen. Ob sie wohl ein schönes Leben geführt hat? Wahrscheinlich wurde der Körper, oder zumindest was davon übrig ist, von der Reinigung übersehen. Übelkeit überkommt mich. Eigentlich sollte mich dies nicht mehr so dermaßen mitnehmen. Wo ich doch so etwas täglich im Fernsehen sehe.

Als ich meinen Weg fortsetze habe ich immer noch das Bild von eben vor meinen Augen. Angst durchflutet mich. Meine Hände fangen an zu zittern. Was ist, wenn mir morgen dasselbe passiert? Was ist, wenn ich auf eine noch brutalere Art und Weise getötet werden würde? Ich spiele mit dem Gedanken umzukehren um mich in meinem Bett zu verkriechen. Zwar wäre mir selbst da meine Sicherheit nicht garantiert, aber die Chancen, dass ich den übermorgigen Tag noch überlebe, wären eindeutig höher

Als ich schlussendlich halb durchnässt in der Schule ankomme habe ich noch ganze zwei Minuten Zeit. Nass und außer Atem öffne ich die Türe einen Spalt, husche ins Klassenzimmer, und nehme den direkten Weg zu meinem Sitzplatz hinten am Fenster. Hoffentlich hat es keiner gemerkt, dass ich zu spät gekommen bin. Das könnte sonst schlecht für mich enden. Ich lasse meinen Blick aus dem Fenster schweifen. Es regnet noch stärker als vorhin. Der Wind peitscht nur so gegen die Scheiben. Hoffentlich ist es vorbei wenn ich meinen Heimweg antrete. Mein Schirm ist immer noch halb verkrüppelt von dem Wind der vorhin ging. Ein Schauer fährt mir den Rücken hinunter. Man ist mir kalt. Wahrscheinlich habe ich mir eine Erkältung eingefangen. Was würde ich jetzt bloß für einen heißen Tee tun. Ich schaue verzweifelt auf die Uhr. Verdammt! Es sind erst fünf Minuten vergangen. Wie soll ich den Tag nur überstehen?

Da fällt mir auf, dass meine Mitschüler unserer Lehrerin wie gebannt zuhören. Interessiert lausche ich ihr für einen Moment. Ich bekomme mit, dass sie gerade ankündigt, dass wir ab morgen einen neuen Typen in die Klasse bekommen. Dabei ist unsere Klasse doch schon voll! Anscheinend ein wohlhabender Kerl mit Einfluss. Plötzlich reden alle nur noch von ihm. Checken die denn überhaupt nichts? Wenn jemand schon mitten im Schuljahr auf eine Schule wechselt dann ja wohl nicht ohne Grund. Dazu kommt, dass schon einige der hier versammelten achtzehn oder über achtzehn sind. Ich sollte vorsichtshalber auch auf der Hut sein.

Den restlichen Schultag versuche ich mich auf den Unterricht zu konzentrieren und mich nicht von irgendwelchen Kleinigkeiten ablenken zu lassen. Doch der Gedanke, dass der wichtigste Tag in meinem Leben kurz bevor steht lässt mir keine Ruhe.

19:07 Uhr

Zuhause angekommen, entledige ich mich zunächst einmal meinen zuvor durchnässten Klamotten, und schlüpfe in wohlig warme Kleidung. Durch das Dachfenster fallen mit einem Mal vereinzelte Sonnenstrahlen herein, sofort fühle ich mich etwas besser. Es scheint so als wäre der Sturm weiter gezogen. Als ich schlussendlich die Treppe in die Küche hinunterlaufe, trage ich nun meinen, gestrickten Lieblingspulli sowie eine Jogginghose. Nicht zu vergessen meine pinken Kuschelsocken. Dort angekommen setzte ich mir heißes Wasser im Wasserkocher auf um mir den Tee zu zubereiten auf den ich mich schon den ganzen Tag lang freue. Ein Blick auf die Uhr verrät mir dass ich noch fünf Minuten habe bis meine Lieblings-TV-Serie, beginnt. Rasch suche ich noch nach einem Teebeutel mit der Geschmackssorte „Kamille", und lasse meinen Tee ziehen. Geschafft vom Tag, mache es mir auf der Couch gemütlich und schalte die Flimmerkiste an. Gerade zur rechten Zeit.

Als gerade das spaßige Sing-mit-Intro beginnt, wird den Zuschauern durch einen Lauftext mitgeteilt dass die Sendung durch eine Sondermeldung kurz unterbrochen wird.

„Wir unterbrechen für eine kurze Eilmeldung", teilt mir der Moderator mit. „ Am 25.2.2034 kam der 3. Geborene der Familie Kobayashi auf die Welt. Getauft wurde ihr Neugeborener auf den Namen Ray. Heute den 25.2.2052 feiern sie den 18. Geburtstag ihres Sohnes Ray Kobayashi. Viel mehr zelebrieren sie aber sein baldiges Assassinen Dasein, in der Hoffnung dass, er die Familientradition weiter führt. Bei dieser ist es die Pflicht das Opfer welches einem zugeteilt wird noch im Alter von achtzehn Jahren zu töten. Und nun noch einmal für die, welche nicht wissen wer die Kobayashi Familie ist. Die Kobayashi Familie ist wohl eine der einflussreichsten und wohlhabendsten der Welt. Erreicht haben sie dies aber erst seit der neuen Weltordnung 2030. Sie wurden zu einer Macht welche für Geld tötet."

„Und nun zurück. Wir wünschen ihnen allen noch einen angenehmen Abend."

Ich versuche mich weiterhin auf die Serie zu konzentrieren, um über die Witze Lachen zu können, aber irgendwie war mir der Spaß daran vergangen. Ich muss die ganze Zeit über an den Kerl denken, von dem im Fernsehen berichtet wurde. Es wurde ja noch nicht einmal ein Bild von ihm gezeigt.

Mein Gedankengang wurde von einem sich drehendem Schlüssel im Schlüsselloch unterbrochen. Meine Mutter war wieder daheim.

Während ich aufmerksam der laufenden Sendung lausche, versuche ich gleichzeitig der Routine meiner Mutter zu folgen. Den Geräuschen nach zu urteilen zieht sie sich gerade unter großen Bemühungen ihre Schuhe aus. Der Aufprall ihrer schweren Arbeitstasche auf der Küchentheke folgt.

Oh Gott, bitte lass sie gut drauf sein. Ich habe keine besonders große Lust auf eine langwierige Diskussion heute Abend.

Nachdem sie sich auch noch ihres Mantels entledigt, ertönt ein tiefes Seufzen. Ich warte nur darauf dass sie, wie jeden Tag, sich nach meinem Wohlbefinden erkundigt und fragt wie mein Tag so war.

Doch stattdessen wartet sie einen kleinen Moment und gesellt sich kurz darauf zu mir auf die Couch. Ganze 10 Minuten sitzen wir schweigend nebeneinander während der Fernseher läuft und ich meinen Tee schlürfe. Bis sie sich zu mir wendet. Ihre Gesichtszüge wirken ernst und besorgt auf mich.

„Hör mir jetzt gut zu mein Liebling, morgen ist dein 18. Geburtstag. Wie du ja schon weißt werde ich früh morgens los müssen", zaghaft nicke ich um ihr klar zu machen, dass mir das schon bewusst ist. „Das heißt, dass wir uns wahrscheinlich erst gegen Abend wieder sehen werden. Egal was auch immer du tust, sobald du aufgestanden bist gehst du sofort ins Wohnzimmer, öffnest die Schublade welche du eigentlich bisher noch nicht anrühren durftest, und entriegelst die darin liegende Schatulle. Und pass ab morgen besonders gut auf dich auf, verstanden?" Abermals nicke ich. Irgendetwas muss passiert sein. Ich merke, dass sie es ernst meint. Meine Mutter würde mir so etwas nicht ohne Grund erzählen. „Und nun ab ins Bett mit dir. Schlaf gut und träum was Schönes. Ich habe dich lieb, was auch immer passieren mag, vergiss das nicht." Ein Moment der Stille breitet sich aus, bis ich ihr zögerlich antworte: „Schlaf du auch gut Mum. Bis morgen." Ohne ein weiteres Wort verschwinde ich nach oben in mein Zimmer. Was verschweigt sie mir bloß?

Als ich meinen Raum betrete, erkennt man gerade noch wie die Sonne hinter den Wipfeln verschwindet. Sie wirft noch ihre letzten Strahlen und taucht nun endgültig am Horizont ab. Platz macht sie einem simulierten Glimmern aus Abendrot welches sich in den ebenfalls simulierten Wolken, sowie dem Abbild des Mondes, als auch den ersten Sternen wiederspiegelt. Erschöpft falle ich in mein Bett.

Im Zimmer beobachte ich wie die Schatten länger werden. Es wird langsam aber stetig mit Dunkelheit gefüllt. Was war das gerade eben? Ich habe Mum noch nie so gesehen. Außer vielleicht an dem Tag an dem Dad gestorben ist.. Wie ein Schlag in den Magen kommen die Erinnerungen zurück. Stimmt. Er ist ja tot. Abermals erfüllt mich tiefe Trauer. Ich vergrabe mein Gesicht in meinem Kopfkissen. Zum Glück dämpft es einiges. Sonst könnte man wahrscheinlich hören, wie ich vor mich her schluchze. Der Gedanke an meinen Vater tut einfach immer noch weh.

Trust no AssassinWhere stories live. Discover now