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Freitag 25.04.2052; 11:17 Uhr

Es ist Freitag 2. Pause und die Situation hat sich nach wie vor noch nicht geändert. Es ist genauso wie der Polizist es schilderte. Jeden Tag stirbt jemand von unserer Schule. Gestern Abend ist mein Geschichtslehrer einem Attentat zum Opfer gefallen, nachdem er sich meiner Meinung nach sehr auffällig im Unterricht verhalten hat, wurde uns heute zu Schulbeginn mitgeteilt.

Wer wird es wohl heute sein?

Seit Montag zerbreche ich mir außerdem unaufhörlich den Kopf über das mysteriöse Bild welches ich von Cloe zugeschickt bekam. Kann ich Liem wirklich noch vertrauen?

Misstrauisch mustere ich meine Umgebung detaillierter als sonst. Als die Neonröhre der Mädchentoilette aufflackert, weiche ich erschrocken zurück.

Oh Gott, was ist nur aus mir geworden? Es ist nur eine Neonröhre.

Rasch versuche ich mich beim Händewaschen zu beeilen, da die Stimmung die durch das trübe Licht und die unheimliche Stille vermittelt wird, nicht ganz Ohne ist.

Plötzlich ertönt ein lauter Knall. Als ich von meinen Händen aufblicke bemerke ich, dass es nur die Tür war, welche mit einem lauten Knall zurück ins Schloss fiel. Beruhigt wende ich mich wieder meinen Händen zu.

„Unser Gespräch war noch nicht beendet Kleine. Ich hatte dich gewarnt. Du weißt nach wie vor gar nichts.", raunt mir plötzlich jemand hautnah in mein Ohr. Adrenalin schießt von einer auf die andere Sekunde durch meinen ganzen Körper und mein Herz beginnt schwer gegen meine Brust zu schlagen.

Als ich aufblicke weiten sich meine Augen. Viel außer einem großen Rotschopf kann ich nicht erkennen. Dennoch...

Wer ist sie? Ich habe sie noch nie zuvor gesehen.

Krampfhaft versuche ich den Kloß, welcher mir tief im Hals steckt, runter zu schlucken.

Es ist offensichtlich, dass es sich um ein Mädchen in meinem Alter handelt. Vielleicht ist sie ein wenig älter. Ihr Gesicht liegt im Schatten, trotzdem kann ich sehen, wie breit sie grinst.

„Wer bist du? Was willst du von mir?", will ich wissen. Meine Unsicherheit macht sich durch das Zittern meiner Stimme bemerkbar.

„Es ist unwichtig wer ich bin. Ich will nur das Medaillon das du um den Hals trägst.", antwortet sie gierig und lässt ihre Hand gemächlich in Richtung meines Halses wandern um den Verschluss zu öffnen.

Mein Medaillon?

Reflexartig ziehe ich meinen Kopf weg, fasse an den Anhänger meiner Halskette und umklammere ihn ganz fest. Zusätzlich drehe ich mich ruckartig um und stütze mich gefasst am Waschbecken ab. Überrascht blicke ich ihr in ihre katzenförmigen Augen welche mich nur zu durchlöchern scheinen.

„Warum mein Medaillon?", frage ich verwirrt und zugleich auffordernd.

Ihr gefährlicher Blick weicht einem fragwürdigen. „Da frägst du noch?" Das ich ihr nicht antworte ist ihr anscheinend Antwort genug. Denn sie lacht abrupt laut auf. Ihr beinahe spöttisches Lachen weicht einem Kichern und einem bemitleidenswerten Blick.

Schritt für Schritt nähert sie sich mir daraufhin. Fast schon bedrängt versuche ich nach rechts in Richtung Tür auszuweichen.

„Her mit dem Medaillon.", fordert sie mich abermals auf. Ihr plötzlicher rauer Unterton lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen.

Abrupt wird die Tür, welcher ich meinen Rücken zuwende, aufgerissen und eine Gruppe Mädchen aus der unteren Jahrgangsstufe platzt lachend herein.

Es handelte sich nur um Sekunden in denen ich die Entscheidung traf schnellst möglichst zu verschwinden, anstatt zu fragen was es mit dem Medaillon auf sich hat. Mit meinem Medaillon. Doch die Chance, dass etwas überaus Gefährliches passiert war meiner Meinung nach zu hoch. Also galt:

Jetzt oder nie!

Gekonnt nutze ich den Zeitpunkt, verlasse im Eiltempo die Toilette und versuche schwer atmend im Getümmel der Schüler auf dem Gang unterzugehen. Aus dem Augenwinkel kann ich gerade noch so ausmachen wie das rothaarige Mädchen überrumpelt wird und ihre Gesichtszüge Überforderung wiederspiegeln, bis die Tür zur Mädchentoilette zufällt.

Nachdem Nachmittagsunterricht, in welchem ich mit Mr. Smirnow tanzen musste was definitiv nicht dasselbe ist wie mit Liem, setze ich mich erschöpft in ein Café auf dem Nachhauseweg. Zur Erfrischung bestelle ich mir ein kühles Wasser und damit ich mich zu dieser Jahreszeit nicht erkälte noch einen heißen Kamillentee.

Hoffnungsvoll werfe ich einen raschen Blick auf mein Handy, nur um festzustellen, dass Liem mir immer noch nicht geantwortet hat. Enttäuscht packe ich es wieder weg und blicke gedankenverloren in aus dem Fenster. Große abgekommene Hochhäuser umringen das kleine billige Cafe in meinem Viertel. Keine Menschenseele weit und breit zu entdecken. Nur ab und zu fährt der getaktete E-Bus auf der reparaturbedürftigen Straße hin und her.

Ein paar Minuten später bekomme ich auch meine gewünschte Bestellung von einer sehr hoch motiviert aussehenden Kellnerin serviert, welche so scheint als würde sie ihren Job lieben.

Der angenehme Duft vom Kamillentee steigt mir mit einem Mal in die Nase. Um meinen Durst zu stillen nehme ich einen großen Schluck von meinem Wasser und rühre gleichzeitig gelangweilt die heiße Brühe mit dem beigelegten Löffel um. Müde stütze ich daraufhin meinen Kopf auf meiner Hand ab.

In den letzten Tagen ist einfach zu viel passiert um es in Worte fassen zu können.

Ich verstehe einfach nicht wie all Das möglich sein kann. Fast immer hat es Personen getroffen mit denen ich kurz vorher in Kontakt trat. Zuerst Cloe, dann jemanden aus der unteren Jahrgangsstufe, dann Aaron, und jetzt mein Geschichtslehrer. Wenn wird es wohl heute treffen?

Erschöpft nippe ich an meinem Tee.

Verträumt versinke ich immer mehr in meinen Gedanken.

Interessanter Weise haben sich alle Opfer der Mordserie ein Tag zuvor sie starben merkwürdig verhalten. Cloe war nicht in der Schule, der 11. Klässler hat sich ebenfalls immer wieder unentschuldigt aus verschiedenen Stunden geschlichen, Aaron soll angeblich viel aufgeschlossener als sonst gewesen sein, und Herr Weißler hat sich in den Unterricht gesetzt, die Beine auf den Tisch gelegt, und sein Handy rausgeholt. Nicht ein Wort hat er mit uns gewechselt. Merkwürdig. Auch der Vorfall heute in der Mädchentoilette war überaus seltsam.

Wieder nippe ich an meinem nur noch warmen Tee. Langsam breitet sich der Kamillengeschmack auf meiner Zunge aus. Mein Blick fällt auf den Anhänger meines Medaillons. Warm liegt dieser auf meiner Brust auf. Behutsam nehme ich das silberne Schmuckstück in die Hand und versuche es erneut zu öffnen – erfolglos. Blödes Ding!

Eindringlich macht sich mein Handy durch die automatische Erinnerung, dass um 21 Uhr der Dimmer einsetzt, durch einen kurzen Ringelton bemerkbar. Mein Blick wandert zu diesem rasch rüber.

So spät schon.

Wenn ich noch Zuhause im Hellen ankommen möchte sollte ich spätestens in einer viertel Stunde hier losgehen.

Der Bildschirm flackert schwach auf nur damit mein Handy danach durch meinen schwachen Akku in den Energiesparmodus wechselt und sich selbst abschaltet.

Nachdenklich starre ich abermals aus dem Fenster, die leeren Nebengassen im Blick. Fast schon unheimlich liegen sie im Schatten der überragenden Hochhäuser. Direkt muss ich an ähnlich aussehende Sträßchen aus meiner Lieblingsserie denken. Die in denen die Superheldin die Verbrecher festnimmt. Nur das es im Vergleich zu ihrer, in meiner Welt sehr selten Verbrecher gibt, weshalb der Serienmord an meiner Schule groß an die Glocke in den Nachrichten gehängt wird. Wäre Mum in den letzten Tagen nicht so spät nachhause gekommen, hätte sie sehr wahrscheinlich Nachrichten geguckt und hätte mich sehr sehr wahrscheinlich nicht aus dem Haus gelassen. Ein Glück das heute Freitag ist.

Ich war gerade dabei das letzte Norgerl Tee auszutrinken, da stocke ich mitten in meiner Bewegung. Langsam setze ich meine Tasse wieder ab und blicke wie paralysiert aus dem Fenster in die rechte Seitengasse auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Viel erkenne ich nicht. Nur einen roten Schopf.

Trust no AssassinOnde as histórias ganham vida. Descobre agora