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Mittwoch 26.02.2052; 18:45 Uhr

Der eiskalte Abendwind peitscht mir um die Ohren.

Brrr, ist das kalt!

Mein Gleichgewicht auf dem Fahrrad haltend, ziehe ich mir meinen Schal noch ein wenig tiefer in das Gesicht. Hätte ich gewusst, dass die Techniker es noch heute Abend schafften die Temperatur Regelung wieder in den Griff zu bekommen, dann hätte ich mir eine Jacke mehr angezogen.

Bibbernd, die Nase tief in den Wind gesteckt, biege ich in die nächste Straße ein, an der der Supermarkt liegt. Vereinzelte Straßenlaternen schmücken die in Dunkelheit gehüllte Allee. Elegant gekleidete Männer und Frauen kommen mir entgegen. Wahrscheinlich war vor kurzem ihre Schicht zu Ende. Einige telefonieren angeregt, andere blicken sich angespannt in der Umgebung um. Auf der anderen Straßenseite läuft ein Herrchen mit seinem Hund Gassi. Aus einem mir nicht bekannten Grund muss ich an meine suspekte Nachbarin denken. Mehrere Elektromotorräder brettern die Straße entlang. Ich glaube eines der Neueste Modele unter ihnen erkennen zu können.

Meinen Blick wieder geradeaus gerichtet, erkennt man schon von weitem den Lebensmittelladen. Er wird geradezu nur so von Scheinwerfern bestrahlt. Einige Buse parken davor. Als ich in die Einfahrt einbiege, erkenne durch das Fenster, dass trotz der Uhrzeit, eine riesige Schlange hinter der Kasse ansteht.

Das kann doch nicht wahr sein!

Unmotiviert krame ich das Fahrradschloss aus meinem Rucksack, und sperre das alte Rennrad ab. Auf dem Weg zum Eingang, fummele ich noch kurzer Hand den Einkaufszettel, mit Mums Gruß, aus meiner Hosentasche, und schnappe mir einen der roten Einkaufskörbe.

Kopfschüttelnd gehe ich den Zettel durch. Ich glaub es ja nicht. Dass ich heute auch noch unseren Wocheneinkauf betätigen muss. Brotbelag, Toast, Obst, Snacks, Milch, Butter, Hackfleisch, Kartoffeln, Nudeln, Gemüse, Frischkäse und das war noch nicht einmal die Hälfte der Liste! Ein Seufzen entfährt mir. Ich hoffe, ich bekomme das Meiste noch.

Mein Einkauf startet in der Obst- und Gemüseabteilung. Ich belade meinen Korb mit Kartoffeln, Paprika, Salat, Äpfeln, Bananen, all das was man bestimmt im Laufe der Woche mal gebrauchen könnte. Danach geht es in Richtung Kühlregal. Der Frischkäse, die Milch und die Butter landen ebenfalls in meinem Einkaufskorb. Wie als wäre es Schicksal, erblicke ich den Letzten Vanille Pudding meiner Lieblingssorte im Regal stehen. Gierig stürze ich mich auf ihn, und auch er befindet sich nun in meinen Händen. Da höre ich, das mir nur gut bekannte Piepen meines Telefons. Einen Blick auf das Display gerichtet, erkenne ich die Nummer meiner Mutter.

Hat sie doch früher Schluss als erwartet? Überrascht gehe ich ran. „Ja, Hallo?", frage ich. „Ach Phoebe, perfekt! Hör mal, ich habe heute doch früher Schluss. Es ging Alles sehr viel schneller als gedacht. Das neue Angebot hab ich so gut wie in der Tasche. Ich glaube, sie haben genau so einen Typ wie mich gesucht! Ich bin schon auf dem Weg Nachhause, vielleicht können wir uns ja doch noch einen gemütlichen Abend machen. Sag mal, warst du schon einkaufen, oder soll ich schnell das wichtigste noch an dem Bahnkiosk holen?" „Ne, ich bin gerade beim Einkaufen, also passt das schon. Aber das Nächste Mal schickst du mir einen Chat, Klar?", versuche ich ihr vorzuwerfen. Aber es scheint so, als würde sie mir überhaupt nicht zuhören. Sie brabbelt einfach weiter. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. So viel hat sie schon lange nicht mehr erzählt. Das Gespräch muss wirklich gut gelaufen sein. „Ach ja, bevor ich es vergesse", fängt sie erneut an. „Wärst du so freundlich und würdest mir meine Lieblingskekse mitbringen? Die mit der Schokoladenfüllung, du weißt schon welche ich meine. Sei so gut, ja?" „Hmm", antworte ich ihr, und begebe mich zwei Gänge weiter. „Übrigens hat die Schulleitung von dir ein Anmeldeformular für die Abschlussklassen umhergeschickt. Es ging um einen Kurs für den Abschlussball. Eine Möglichkeit für all diejenigen die bisher noch nicht tanzen können, haben jetzt die Chance es noch zu lernen. Und da musste ich an dich denken. Das ist doch eine super Möglichkeit. Findest du nicht?" „Aber du hast mich noch nicht bei diesem Tanzkurs angemeldet oder?", frage ich sie entsetzt, und suche das Regal nach ihrer Lieblingssüßigkeit ab. „Nein, nein habe ich noch nicht, deswegen frage ich dich ja. Also was sagst du?" In genau demselben Augenblick entdecke ich die Kekse und will nach ihnen greifen, doch bin ich nicht die Einzige die Interesse an ihnen hat. „Oh, verzeihen sie", entschuldige ich mich bei der Person. Aber als ich mich ihr zuwende, und in das Gesicht des Mannes blicke, gefriert mir das Blut in den Adern. Blaue Augen, blonder Kurzharrschnitt, Piercing über dem linken Auge, und eine kalte Aura.

Im ersten Moment spiegelt sich Überraschung in seinen Gesichtszügen wieder. Doch ich bin mir sicher. Dieser junge Mann, welcher mir gerade eben gegenübersteht, ist genau derselbe, welcher Liem und mich, in der Schule während des Anschlags verfolgt hat. Meine Beine fangen an sich in den Vanille Wackelpudding zu verwandeln, nach welchem ich gerade eben noch griff. Ich kann es nicht fassen. Geschockt starre ich ihn an, während meine Mutter irgendetwas vor sich her quasselt. Keine Ahnung worum es geht, doch immer noch fassungslos murmele ich: „ Jaja", vor mir her. Aus Angst was er mir antun könnte, weiche ich ein paar Schritte zurück. Danach drehe ich mich abrupt auf dem Absatz um, und eile mit dem was ich aktuell im Einkaufskorb habe, in Richtung Kasse. Immer wieder einen Blick nach hinten werfend, bemerke ich zu meinem Erschrecken das er mir dicht auf den Fersen ist. „Hallo Mama?" frage ich sie verzweifelt. „Hallo?!" Doch die einzige Antwort die ich bekomme, ist ein piepender Signalton. Sie hatte bereits aufgelegt. Angst macht sich in mir breit.

Was mache ich den jetzt? Wieder drehe ich mich um. Er ist ungefähr nur noch fünf Meter von mir entfernt!

Rasch stelle ich mich in der kleinsten Schlange an und lege hektisch meine Einkäufe auf das Laufband. Panisch gucke ich mich um. Lediglich um festzustellen, dass er direkt hinter mir steht. Seine Augen so aussagelos, kalt, und doch so bekannt. Den Blick starr und abwertend auf mich herab gerichtet. Schnell wende ich mich wieder ab. Mein Herz beginnt zu rasen. Meine Hände fangen an zu schwitzen. Angsterfüllt wische ich sie mir an meinen Hosenbeinen ab.

Okay, ganz ruhig Phoebe. Du hast keinen Grund Panik zu schieben. Wir bezahlen jetzt als wäre es das Normalste auf der Welt, und fliehen danach auf nimmer Wiedersehen mit dem Fahrrad.

Ich mahle mir bereits die schlimmsten Gedanken aus was passieren könnte wenn mein Plan nicht aufgehen sollte, da ertönt direkt hinter mir eine Stimme. Zu meinem Überraschen eine Weibliche. Sie scheint sich an meinen Verfolger zu wenden. „Ich habe ihn gefunden. Er begibt sich gerade zu den öffentlichen Toiletten. Wir müssen jetzt oder nie ihn handeln.", erklärt sie ihm in einem eindringlichen Tonfall. Gespannt halte ich meinen Atem an. Mich noch einmal umzudrehen wage ich nicht. Verzweifelt versuche ich souverän zu bleiben, in der Hoffnung, dass ich mein unausgesprochenes aber gedachtes Schicksal abwenden kann.

Er scheint einen Moment zu zögern. Bis er ihr: „Du hättest dir keinen besseren Moment aussuchen können.", in einem genervten und eindeutig ironischen Unterton zu raunt. Jedoch scheinen sich die beiden den Geräuschen nach zu urteilen von mir abzuwenden. Meine Vermutung bestätigt sich nachdem ich einen kurzen Augenblick später über meine Schulter hinweg blicke. Keine Spur weit und breit. Dennoch nervös begrüße ich daraufhin die Kassiererin.

Trust no AssassinWhere stories live. Discover now