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Mittwoch 26.02.2052; 09:46 Uhr

Der Tumult von eben war Nichts zu dem was sich jetzt vor meinen Augen abspielt. Überall Schüler. Mal hier und da ein Lehrer. Schreie. Die Sirene. Ich habe das Gefühl, dass mein Kopf gleich explodiert. Überfordert beschleunigt sich mein Atem, meine Augen weiten sich und unbewusst drücke ich mich enger an den mich stützenden Körper. Zu den Menschen auf dem Gang, gesellen sich nun auch die aus den Klassenräumen. Doch wir stehen einfach immer noch mittendrin. Würde Liem mich nicht halten, wäre ich bestimmt schon in der Masse untergegangen. Dafür bin ich ihm dankbar. Aber nur für eine kurzen Moment, denn dann lasse ich überrascht von ihm ab, als ich merke wie sich seine Aura von einen auf den nächsten Augenblick in ein kaltes abweisendes Etwas verwandelt. Meine Aufmerksamkeit kurz auf ihn gerichtet, kann ich erkennen wie sich sein kompletter Körper anspannt. Etwas stimmt nicht. Als ich versuche Augenkontakt aufzubauen, erkenne ich erst den Ernst der Lage. Sein Gesichtsausdruck, war aussagegebend genug. Die glasklaren Augen, welche mich bis gerade eben noch so spielerisch schief ansahen, blicken sich nun angestrengt in der Umgebung um. Als würden sie etwas oder jemanden suchen. Da hält er inne. Hat er diesen jemand etwa gefunden? Ein Freund um den er sich vielleicht sorgt? Hastig greift er nach meiner Hand, sucht kurzen Blickkontakt zu mir, und schreit gegen den Lärm an: „Lauf!" Wie auf Kommando schließt er sich der Menschenmenge an und zieht mich mit sich.

Ich versuche meine Gedanken zu ordnen. Doch vergeblich. Das einzige was mir in den Sinn kommt ist, als er mir eben in die Augen sah. Konnte ich da etwa einen Hauch von Angst in ihnen erkennen? Ich werde ruckartig zurück in die Realität gerissen, als ich beinahe über einen am Boden liegenden Schüler gestolpert wäre.

Warum liegt er dort? Ist er ohnmächtig? Ist er, ist er tot?

Doch ich werde einfach weitergezogen. Dabei müssen wir ihm doch helfen. „Liem! Liem! Hörst du mich? Liem!" Abrupt dreht er sich um und schaut mich fragend an. Da ich merke dass uns die Zeit davon läuft, fasse ich mich kurz. „Liem! Da vorne liegt ein Schüler hilflos am Boden! Er braucht unsere Hilfe!" Er zieht eine Augenbraue hoch um mir zu verdeutlichen dass er mich nicht gehört hat. „Ich sagte da vorne liegt ein Junge am Boden! Er braucht unsere Hilfe!" Entgeistert schaut er mich an. Ich hatte mich doch nicht getäuscht. Selbst jetzt sehe ich dass, sein Körper ein Anzeichen von Angst verströmt. „Sag mal bist du verrückt?!" schreit er mich an. Durch den ganzen Lärm dringen seine Worte nur gedämpft an meine Ohren. Aber dennoch verständlich genug. „Hast du überhaupt verstanden in was für einer Situation wir uns befinden?! Wir alle! In solchen Momenten ist man auf sich selbst gestellt! Du kannst hier gerade niemandem helfen!", versucht er mir zu erklären. Außer Atem blicke ich ihm in die Augen und versuche zu erraten was er empfindet. Angst? Wut? Panik? Was auch immer es ist. Es scheint auf mich übergesprungen zu sein. Denn tief in mir habe ich auf einmal den Drang zu laufen. Ganz weit weg. Zögerlich nicke ich und renne aber dennoch entschlossen los. Er scheint verstanden zu haben, denn plötzlich taucht er neben mir auf, und wir laufen gemeinsam mit unseren Mitschülern um die Wette. Worum wir laufen? Das weiß ich selber nicht ganz genau. Aber was ich weiß, ist das wir alle ein gemeinsames Ziel haben. Wir wollen dieses Gebäude heil verlassen.

Mir kam eine Idee. Wenn wir weiterhin mit der Masse laufen, besteht die Möglichkeit dass wir uns verlieren. Oder der Terrorist auf einmal zwischen den Reihen von uns auftaucht. Daher wende ich mich zu Liem und deute nach rechts. Unauffällig verschwinden wir in einer Seitentür welche in ein Treppenhaus für Putzkräfte führt. Als wir mindestens zwei Stockwerke weiter nach unten gesprintet sind, lehnen wir Luft schnappend an der Wand. „Ich, kann, nicht, mehr." Schaffe ich es zwischen einem Haufen an Atempausen zu sagen. Wir sind mindestens durch das halbe Schulgebäude gelaufen. „Warum muss unsere Schule auch so groß sein?" Gebe ich ihm genervt zu verstehen. Als Liem wieder einigermaßen zu Atem gekommen ist antwortet er: „Wenigstens kennst du dich schon aus."

„Ich will nach Hause" quengele ich herum. „Ich will in mein Be-„ Weiter kam ich nicht. Denn Liem steht auf einmal vor mir, und presst mich gegen die Wand. Er ist zu nah. Viel zu nah. Ich wollte ihn gerade von mir drücken und ihn fragen was das soll, da legt er seinen Finger auf meine Lippen. Ist er jetzt von allen guten Geistern verlassen worden?! Was soll das!

Erst jetzt kommt mir die Idee, dass er mir damit andeuten möchte still zu sein. Hätte er mir das nicht auch anders mitteilen können? Das Klopfen meines Herzens macht sich bemerkbar. Peinlich berührt, dass er es mitbekommen könnte, schaue ich beiseite. Da höre ich wie, ein oder auch zwei Stöcke über uns, die Tür aufgeht und erneut der Lärm von den Gängen an meine Ohren dringt. Und schon fällt sie wieder in ihr Schloss. Wir sind nun nicht mehr alleine.

Woher wusste er dass jemand gleich das Treppenhaus betreten würde? Hat er so was wie einen sechsten Sinn oder etwas Derartiges? Und wenn schon, es ist doch bestimmt nur ein weiterer Schüler der die gleiche einfallsreiche Idee wie wir hatte. Oder?

Ruhe herrscht. Ich versuche keinen Mucks von mir zugeben. Doch als die Stille von Schritten unterbrochen wird, bin ich mir dann doch nicht mehr so sicher. Denn es sind keine hastigen Schritte, was darauf hingedeutet hätte das es jemand eilig hat. Nein. Es sind eher die von einer Person, welche alle Zeit der Welt hat. Das ist kein gutes Zeichen. Liem denkt sich anscheinend genau dasselbe wie ich, den auch er sucht meinen Blick. Meine Hände fangen an zu schwitzen. Panisch wische ich sie mir an meiner Hose ab. Ich habe Angst. Große Angst. Was sollen wir tun? Die Schritte kommen immer näher. Er scheint zu merken dass ich innerlich aufgebracht bin, denn er schenkt mir ein beruhigendes Lächeln. Ich bewundere ihn dafür dass er so etwas kann. Denn selbst ein blindes Huhn wie ich sehe, dass er am ganzen Leib leicht zittert.

Die Zeit scheint plötzlich langsamer zu vergehen, jede Sekunde zieht sich endlos und macht jeden Atemzug zur Qual. Jene Person, welche vor einem Moment das Treppenhaus betrat, ist nun nur noch eine Ebene von der unseren entfernt. Mein Gehirn läuft auf Hochtouren. Fieberhaft suche ich nach einer Möglichkeit wie wir entkommen könnten. Einen Stock über uns wird abermals die Türe, welche auf den Gang führt, geöffnet. Den Geräuschen nach zu urteilen, zwei Person. Meine Vermutung bestätigt sich als die beiden völlig außer Atem anfangen, die Treppe hinunter zu schlurfen. Bis ich bemerke, dass sie sich selbst zu ihrem Schafott schleppen, ist es schon zu spät. Anscheinend hat der Terrorrist hinter dem nächsten Treppenabsatz auf sie aufgelauert. Denn die überraschten hohen Schreie der Mädchen sind nur von kurzer Dauer. Genau den Moment nutzt Liem, um mich an der Hand zu packen. Gemeinsam sprinten wir die Treppe runter. In Gedanken bete ich dass die beiden noch dem Tod entronnen sind, doch große Hoffnungen habe ich nicht. Allerdings ist der Attentäter uns direkt auf den Fersen. Als wir dann endlich die Tür ins Freie aufstoßen, beeilen wir uns in dem Tumult unterzutauchen. Immer noch Liems Hand haltend, wage ich es einen Blick über meine Schulter zu werfen.

Unser Verfolger steht im Türrahmen, den Schulhof überblickend. Er ist unerwartet jung. Zum Glück scheint er uns jedoch noch nicht entdeckt zu haben, denn wutentbrannt schmeißt er seine Jacke auf den Boden und flucht vor sich her. Plötzlich erscheinen 2 weitere Personen neben ihm. Komplizen? Mein Atem geht nach wie vor schnell als wir entgeistert und weiterhin schockiert, das Gelände verlassen.

Trust no AssassinWhere stories live. Discover now