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Donnerstag 22.05.2052; 20:05

Erleichtert atme ich tief ein, und wieder aus, als wir die Dachterrasse des Schulgebäudes betreten. Ein kühles Lüftchen weht mir um die Nase. Die dröhnende Musik dringt auch hier zu uns hoch, wenn auch nicht mehr als ein leiser Hall. Mein Blick gleitet hoch zum Mond. Er hüllt die Umgebung, als auch Liem in einen milchigen Schein ein. Wie ein magischer Schleier liegt er über uns. Ein Grinsen ziert meine Lippen, als ich zu Liem blicke. Lässig lehnt er bereits am Geländer, eine Hand in der Hosentasche, in der anderen sein Getränk haltend.

„Ist der Mond außerhalb der Kuppel genauso schön wie dieser hier?", frage ich ihn während ich entspannt zu ihm hinüber schlendere. Sein Blick von dem Mond abgewandt, gesteht er mir ebenfalls lächelnd: „Nein, tausend Mal schöner." Träumend blicke ich empor. „Ich wünschte, ich könnte ihn mir mit dir einmal zusammen ansehen.", murmele ich mehr zu mir selbst.

Ich spüre Liems Augen auf mir liegen. Intensiv mustern sie mich. Fragend ziehe ich die Augenbrauen bis zum Haaransatz hoch. Doch statt mir zu antworten, widmet er mir nun seine ganze Aufmerksamkeit. Mit 2 Schritten überwindet er die letzten Meter die uns voneinander trennen. „Das lässt sich bestimmt einrichten."

Behutsam streicht er mir eine ungebändigte Strähne hinters Ohr. Ich halte ganz still und atme kaum, als seine Finger meine Haut entlangfahren. Die hauchzarte Berührung dieser die nun zu meinem Nacken wandern, und diesen streicheln. Mein Atem geht flach und seine Augen fixieren meine Lippen.

Schließlich, ganz langsam, legt er seine Lippen auf meine. Obwohl ich weiß was geschehen würde, raubt es mir immer wieder den Atem als sich unsere Lippen berühren. Die Zeit steht still und alle Gedanken verlassen mich, während ich dahin schmelze und seine Arme sich sanft um meine Taille legen. Lustvoll fahren meine Hände durch seine schwarzen Harre.

Sein zuvor sanfter Griff ist nun grob und gierig. Mit einem heiseren Stöhnen drückt er mich noch näher an sich heran.

„Ich liebe dich", keucht Liem an meine Lippen.

Für einen kurzen Moment spannt sich mein Körper an.

Wann hatte er das letzte Mal diese Wörter zu mir gesagt?

Liem scheint bemerkt zu haben, dass ich kurz innehielt. Denn er unterbricht mit einem Mal den Kuss, nur um sich daraufhin ungerührt noch um einiges näher zu mir hinab zu beugen, bis seine Lippen beinahe mein Ohr streifen. Sein Atem streicht gefährlich sanft über meine Haut. „Das würde ich momentan zumindest gerne behaupten.", haucht er mit einem Mal in mein Ohr.

Verwirrt gehe ich auf Abstand und blicke ihm knapp in sein nahezu perfektes Gesicht. Unter seinen dichten langen Wimpern blitzen seine stechend blauen Augen hervor. Tödliche Entschlossenheit spiegelt sich in diesen wieder. Nervös zieht sich mein Herz zusammen.

Ich wollte gerade etwas darauf antworten, wie: was soll das, oder was meinst du, doch da klappe ich plötzlich in mir zusammen. Panisch schnappe ich nach Luft. Meine Beine verwandeln sich mit einem Mal unerwartet in Wackelpudding. Doch umgreifen mich zwei gut trainierte Arme rechtzeitig, um mich vor einem schmerzhaften Fall zu bewahren.

„Aufpassen, sonst wird noch das schöne rote Kleid dreckig Phoebe.", ermahnt er mich in einem neckenden Tonfall.

Hilflos und unfähig mich zu bewegen starre ich in sein Gesicht. Seine sonst so vertrauten Gesten, die Lippen, die sonst zu einem familiären Grinsen gezogen sind, all das kommt mir mit einem Mal so fremd vor.

Shit. Das Getränk.

Seine Augen sind kalt wie eh und je. Eisige Blicke durchdringen mich. „Du hast keine Ahnung wer ich bin, nicht?"

Mein Mund ist trocken und in meinem Kopf pocht es wie verrückt. Bevor ich auch nur zu einer Antwort ansetzen kann, unterbricht er meinen Gedankengang bereits wieder.

Ein schelmisches Grinsen umspielt seine Lippen, gefolgt von einem selbstgefälligen Ausdruck welcher sich auf sein Gesicht schleicht.

„Wenn ich mich noch einmal mit meinem richtigen Namen vorstellen darf, Ray Kobayashi, sehr erfreut."

Ich spüre wie die Hoffnungslosigkeit meine Brust verengt, und meine Welt mit einem Mal zusammenbricht.

„Du hast mein Vertrauen missbraucht.", stelle ich schwächelnd fest.

Lächelnd schüttelt er den Kopf leicht. „Du bist einfach zu naiv."

Behutsam legt er meinen starren Körper nun auf den Boden, und bettet meinen Kopf auf seinen Schoß. Mit einem Handgriff aktiviert er sein Armband, welches sofort zu blinken beginnt und mit einer Projektion den Nachthimmel erleuchtet. Wie auch bei meinem wird das Gesicht seines Zielobjektes abgebildet. Nur, dass in seinem Fall, mir mein eigenes Abbild gerade entgegen grinst. Gekrönt mit meinem Namen und weiteren Informationen.

Die Zeit scheint plötzlich langsamer zu vergehen, jede Sekunde zieht sich endlos und macht jeden Atemzug zur Qual. Ich will schreien, ausbrechen aus diesem hoffnungslosen Alptraum.

„War etwa alles nur inszeniert? Das.. wir uns näher kommen? Der Kuss..? Das du in meiner Klasse warst..? All das was geplant?", gebe ich fassungslos hauchend von mir. Meine Kräfte verlassen mich mit jedem Atemzug mehr und mehr.

Nicht mehr als ein Schulterzucken gibt er als Antwort von sich.

„Und warum.. hast du mich dann nicht gleich.. nach unserem ersten Treffen beseitigt?" Aus dem Augenwinkel bemerke ich wie ein leichtes Zucken durch seinen reservierten Gesichtsausdruck fährt. Nach einem viel zu langen Schweigen antwortet er: „Weil ich mich in dich verliebte."

Betroffen weiche ich seinem nun sanfteren Blick aus. Ein solcher, der beinahe schon um Vergebung bettelt. „Doch heute Abend hieß es du oder ich. Jackson hat uns an meine Eltern verraten nachdem er bei dem Anschlag gesehen hatte, dass wir uns näher kamen als für ihn für nötig gehalten.", versucht er sich zu erklären. Er seufzt einmal bis er weiter erklärt: „Und nachdem meine Eltern von mir erwarten die Familientradition fortzusetzen, muss es leider so enden."

Seine Miene verfinstert sich kurzfristig. „Das mein Bruder mir jedoch wegen dir so wenig vertraut und mich an jenem Anschlag nicht einweihte ist unverzeihlich."

Ich spüre wie meine Augen brennen, während ich darum kämpfe mich zu bewegen, der Wahrheit zu entkommen.

„Deine Jagd... nach Ray Kobayashi war somit auch gelogen?", stelle ich atemlos fest. „Wieso warst du dann damals verschwunden?" Er atmet scharf ein bevor er mir antwortet. „Mir kam ein wichtiger Auftrag in die Quere. Deshalb musste ich für eine Woche untertauchen." Er legt den Kopf schief. „Uhlmann? Ich glaub Uhlmann hieß er."

Ein betäubendes Gefühl fängt an sich in meinem Körper breit zu machen. Flashbacks von dem Abend an dem die Meldung von Marcel Uhlmanns Tod im Fernsehen erschien fluten mein Gedächtnis.

Und ich dachte auch noch, dass es Ethan war.

Frustriert beiße ich meine Zähne zusammen und sammele all meine verbliebene Kraft zusammen um meine Hand gegen Liem zu erheben. Doch bevor diese ihr Ziel treffen kann, fängt er meine Faust mit Leichtigkeit ab. Er quittiert diese mit einem leichten Seitenblick, bevor er seine Aufmerksamkeit mir wieder widmet.

„Das ist der Dank dafür, dass ich mich für die schmerzloseste Variante für dich entschied?" „Schmerzloseste..? Du meinst wohl er feigste Variante.", zische ich, auch wenn meine Entgegnung nicht mehr als in einem Hauchen endet. Amüsiert schüttelt er den Kopf. „So schlagfertig wie immer Phoebe." Sein leichtes Lächeln verwandelt sich in einen kühlen Gesichtsausdruck. „Nur wird dir das nun auch nichts mehr bringen."

Ich stocke mitten im Ansatz meines nächsten Satzes, da wird mir mit einem Mal schummrig vor Augen und ich spüre wie ich langsam das Bewusstsein verliere. Das letzte Bild, das sich in meinen Kopf brennt, sind seine kristallblauen Augen, welche ich mittlerweile verfluche.

Trust no AssassinWhere stories live. Discover now