Kapitel 1: Vorbereitungen

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"Fie ift er fo?", nuschelte ich kauend und biss gleich nochmal von meinem Brot ab.

Meister Devid schaute mich kurz über den Rand des Leseglases mahnend an und las dann ruhig weiter. "Mein liebes Kind, Ihr wisst genau, dass Ihr mit vollem Mund nicht reden sollt."
"Erftenf", ich hob bedeutungsvoll meinen Zeigefinger und schluckte, "Wisst Ihr genau, dass ich essen muss, wenn ich nervös bin. Zweitens, wäre ich noch ein Kind, würde man mich wohl kaum vermählen und drittens", ich bekam meinen Ringfinger wegen des Stück Brotes, welches ich noch immer in der Hand hielt, kaum hoch, "hätte ich jetzt gerne meine Frage beantwortet."
Meister Devid seufzte und senkte sein Buch. "Was wollt Ihr denn wissen?"
"Wie er ist. Wie er aussieht. Etwas in der Art."
Er zog eine ergraute Augenbraue hoch. "Ich denke ihr seid Euch bereits begegnet. Ja, vor zwei Jahren, als der König Schneewacht besuchte, begleitete er ihn."
Ich verdrehte die Augen und legte den Kopf auf der Rückenlehne der Sitzbank ab. "Ihr vergesst, dass ich an dem Tag so krank war wie eine alte Frau zum Zeitpunkt ihres letzten Atemzuges. Außerdem ist das, wie Ihr bereits sagtet, zwei Jahre her. Glaubt Ihr da erinnere ich mich an irgendeinen einzelnen Mann?"
"Oh, Lady Aree. Er ist nicht irgendein Mann! Er ist Lord von Meereshorn und vom ganzen Süden des Landes! Er verfügt über die größte Provinz des gesamten Königreichs. Noch dazu ist er der Vetter des Königs und Mitglied der Ehrengarde, vergesst das nicht."
"Und wie alt ist er?"
"Siebenundzwanzig, soweit ich weiß."
"Das sind zehn Jahre mehr als ich."
"Aber meine Liebe, Eure Eltern sind auch sieben Jahre auseinander."
"Sieben, nicht zehn."
Meister Devid seufzte erneut und klappte nun sein Buch zu. "Kommt her, mein Kind." Er klopfte auf die Armlehne seines Sessels. Ich erhob mich brav und nahm dort Platz.
"Diese Verbindung ist von größter Wichtigkeit, meine Liebe. Sowohl für Eure Familie, als auch für das Königreich. Damit verbünden sich zwei starke, königstreue Lordschaften und die Feinde der Krone werden eingeschüchtert. Ihr könnt Euch wohl vorstellen, wie sehr es Euren Vater mit Stolz erfüllte, als Lord Thymeris um Eure Hand anhielt."
"Er hat mich einmal gesehen. Einmal. Und da war ich fast noch ein kleines Kind und sah aus wie ein abgestorbener Baum."
"Eher wie eine wachsende Knospe. Und nun hat sich diese zu einer strahlenden Blüte verwandelt, mein Kind."
"Ich war todsterbenskrank."
"Das erwähntet Ihr bereits."
"Ach, Meister Devid." Niedergeschlagen lehnte ich meinen Kopf gegen seine Glatze. "Eigentlich habe ich nur Angst."
Er tätschelte mir liebevoll meine Hand. "Das haben alle Mädchen vor ihrer Hochzeit."
"Aber nicht alle Mädchen müssen so weit weg von Zuhause! Der Süden ist vom Norden am weitesten entfernt, wisst Ihr."
"Ja, das ist mir durchaus bewusst. Aber seht es mal so, meine Liebe. Er hat diesen weiten Weg extra für Euch auf sich genommen. Er hätte Euch auch einfach zu sich beordern können."
Ich nickte ergeben. Sich wehren brachte ja doch nichts. Und außerdem wusste ich, wie stolz mein Vater war und wie sehr es ihn verletzen würde, wenn ich ihm sagen würde, dass ich Lord Thymeris nicht ehelichen wollte. Auch wenn es nun nicht mehr zu verhindern war, da mein Vater bereits zugestimmt hatte.
Da ging die Tür auf und mein jüngerer Bruder, Arden, platzte hinein.
"Aree, Aree!", schrie er und stürzte sich auf mich. Ich konnte mich gerade noch vom Sessel erheben, sonst wären Meister Devid, Arden und ich hilflos mit dem Sitzmöbel hintenüber gekippt. "Ein Vogel ist gekommen! So ein ganz großer, edler Briefvogel!"
"Ja und?", fragte ich und kniete mich vor ihm nieder. "Was heißt das?"
"Er hatte eine Nachricht bei sich! Du wirst es nicht glauben, Lord Thymeris und sein Gefolge werden bereits morgen Abend hier eintreffen und nicht erst in einer Woche, wie wir annahmen."
Mir fehlten die Worte. Arden starrte mich völlig begeistert an und erwartete anscheinend eine Antwort von mir, aber ich war so entsetzt, dass ich einfach keinen Ton heraus bekam. Wenn er bereits morgen eintraf, hieß das, dass ich übermorgen aus Schneewacht fort musste. Und wer konnte mir sagen für wie lange? Arden schien sich dessen überhaupt nicht bewusst zu sein. Er dachte nur daran, dass ein echter Ritter des Königs kommen würde, so einer, wie auch er werden wollte. Aber wie sollte er auch anders, mit seinen acht Jahren.
Ich wuschelte meinem Bruder durchs Haar, richtete mich auf und sah zu Meister Devid. Ich musste aussehen, als hätte ich ein Gespenst gesehen, denn er runzelte die Stirn und sah mich mitfühlend an.

~

"Du siehst wundervoll aus, Aree." Meine Mutter, Lady Serana, machte einen letzten Knoten in das Haarband und betrachtete mich lächelnd. "Ein wahrer Stern des Nordens. Lord Thymeris wird den Mund nicht mehr zukriegen." Sie zwinkerte und wandte sich ab, um die übrigen Haarklammern zurück in die Schatulle zu packen. 
"Ich finde, sie sieht aus wie immer", brummte Arjon, mein älterer Bruder, von der Sitzbank aus, "Nur etwas mehr mit Schmuck behangen."
"Hör nicht auf diesen Einfaltspinsel." Arlisar, mein ältester Bruder und Erbe des Throns von Schneewacht betrat lächelnd den Raum und kam auf mich zu. "Er ist nur eifersüchtig, dass heute nicht er im Mittelpunkt des Geschehens ist."

Du ahnst nicht, wie gerne ich ihm diese Ehre überlassen würde.

"Lass dich ansehen. Mutter hat recht, ein Stern des Nordens." Er strich mir über die Wange und küsste sanft meine Stirn. "Lord Thymeris konnte sich keine bessere Ehefrau aussuchen. So wunderschön und noch dazu intelligent."
"Wenn auch etwas vorlaut."
"Sei still, Arjon. Deine Schwester weiß sich sehr wohl zu benehmen, auch wenn sie vielleicht manchmal etwas zu viel Sarkasmus an den Tag legt." Mutter sah streng zu ihm und dann bedauernd zu mir. "Ich freue mich natürlich, dass du einen so wundervollen Gemahl haben wirst, aber dennoch fällt es mir nicht leicht, meine einzige Tochter gehen zu lassen."

Dann lass mich nicht gehen.

"Also, ich bin froh, wenn du weg bist, Schwesterchen."
"Ach, Arjon, hinfort mit dir! Das ist das letzte was sie jetzt braucht", schimpfte Mutter.
"Ich bring ihn raus." Arlisar scheuchte Arjon vom Kanapee, der lachte und sich aus dem Raum schleifen ließ.
Mutter sah ihm kopfschüttelnd nach. "In Wahrheit wird er dich sehr vermissen. Auch wenn er es nicht zeigen will, du liegst ihm sehr am Herzen."
Ich nickte leicht, aber sah ihm traurig hinterher. "Ich weiß", murmelte ich leise.
Lady Serana sah mich forschend an. "Du bist so still, Aree."
Ich senkte den Blick und starrte auf meine Füße, aber Mutter legte einen Finger unter mein Kinn und hob meinen Kopf. "Ich weiß, wie du dich fühlst, mein Schatz. Auch ich musste damals meine Heimat verlassen, um deinen Vater zu heiraten, wie du weißt. Ich dachte, ich würde nie wieder in meinem Leben glücklich sein." Sie lächelte. "Und nun sieh mich an. Ich habe fünf wundervolle Kinder und einen großartigen Gemahl, den ich sehr schnell lieben lernte. Und du kennst Lord Thymeris doch bereits."
Ich schüttelte den Kopf. "Ich erinnere mich nicht an ihn."
"Wohl zu tief ins Glas geschaut, was Schwesterherz?", Arjon schob sein breit grinsendes Gesicht in den Raum.
Ich verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. "Alkohol war mir stets ein Fremdwort."
"Dafür kennst du den Begriff jetzt aber sehr gut."
Bevor ich eine passende schnippische Antwort gefunden hatte, griff Mutter ein.
"Arjon, du solltest doch gehen!"
"Ich weiß, Mutter. Ich soll euch Bescheid geben, dass die Fanfare erklungen ist. Lord Thymeris kommt."
Mir blieben die Worte, die ich gerade sagen wollte, im Halse hängen und ein eiskalter Schauder überzog meinen Rücken. Der Moment, den ich seit drei Monaten, seit ich von der Verlobung erfahren hatte, fürchtete, war nun zum Greifen nah.
Lady Serana drehte sich lächelnd zur Kommode und nahm eine weitere Schatulle in die Hand. Sie enthielt kleine Spangen in Form von glitzernden Schneeflocken, die sie mir nun sorgsam ins Haar steckte.
"Du siehst so wundervoll aus."



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