Kapitel 8: Birkenhain

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Die Straße zur Feste war lang, einsam und in regelmäßigen Abständen mit großen, schlanken Birken gesäumt. In der Ferne sah man ein Gebäude aufragen.
Noch bevor wir die Feste erreicht hatten wurde ich mit meinen Zofen an den Anfang der Kolonne gesetzt, gleich hinter Lord Thymeris und seine beiden Berater. Deshalb war ich nun eine der ersten, die durch das Tor ritten. Der Innenhof war kleiner als in Schneewacht, aber doch recht geräumig.
Direkt geradeaus führten fünf Stufen hoch zum Empfangssaal, am oberen Ende der Treppe stand Lord Sanners, flankiert von ein paar Wachen. Willard Sanners war ein grobschlächtiger Mann. Er war recht groß mit breiten Schultern und mittlerweile einem kleinen Bauch. Seine Haare waren dunkel, aber schon ziemlich mit grau durchzogen, sein Bart war an einigen Stellen durch Narben gelichtet.
Ich wunderte mich warum seine Frau und seine Kinder nicht anwesend waren, so wie es sich zur Begrüßung eines anderen Hohen Lords gehörte.
Es fiel mir auf wie leise es war. Bis auf das Hufgetrappel auf dem kalten Stein herrschte bitteres Schweigen.
Vor der Treppe angekommen zügelte Lord Thymeris sein Pferd und schwang sich elegant aus dem Sattel. Ich hatte gehofft alles heimlich aus der Ferne beobachten zu können, doch zu meinem Bedauern kam der Lord direkt zu mir und half mir aus dem Sattel. Kaum auf dem Boden bot er mir den Arm an und als ich mich brav bei ihm unterhakte, führte er mich die Stufen hinauf.
Lord Sanners stand da mit verschränkten Armen und rührte sich kein Stück. Lord Thymeris wartete einen Moment, ob Sanners den Anfang machte, wie es üblicherweise war, dann begann er zu sprechen.
"Seid gegrüßt, Lord Sanners. Ich danke Euch, dass Ihr Euch bereit erklärt habt meine Gefolgschaft für eine Nacht zu beherbergen."
Da rührte sich das erste Mal etwas im Gesicht des Lords von Birkenhain, er verzog seinen Mund zu einem hämischen Grinsen, das einen Goldzahn und ein paar Zahnlücken entblößte. "Lord Rajan Thymeris, wie lang ist es doch her", sprach er mit rauchiger Stimme.
"In der Tat, es vergingen einige Jahre seit dem letzten Mal."
"Soweit ich mich erinnere war es da noch euer Vater, der Herr über den Süden war."
"Wohl wahr. Mögen die Götter seiner Seele gnädig sein."
Ich war beeindruckt, wie ruhig und selbstsicher Lord Thymeris blieb. Mich verunsicherte Lord Sanners mit seiner bloßen Anwesenheit, seine respektlose Haltung machte es nicht gerade besser.
Sanners antwortete nicht darauf sondern starrte ihn einfach an. Irgendwie erinnerte er mich an eine Ratte. Ungewaschen wie er war, mit diesem hinterhältigen Ausdruck im Blick.
"Darf ich Euch Lady Aree vorstellen, meine Verlobte."
Ich schüttelte mich aus meinen Gedanken und setzte ein offenes Lächeln auf. "Wir hatten bereits die Ehre, auf der Hochzeit des Lords", sagte ich zu Lord Thymeris gewandt. "Es ist mir eine Freude Euch wieder zu sehen, Lord Sanners." Brav vollführte ich einen leichten Knicks.
Lord Sanners sah den Bruchteil einer Sekunde zu mir. "Mhm, jaja", brummte er, wandte sich mit einem irgendwie angewiderten Blick ab und ging davon, in Richtung der Halle.
Einen Moment entglitten mir die Züge. Ich musste mich beherrschen, dass mir nicht der Mund aufklappte, ob dieser Unverschämtheit.
Lord Thymeris knurrte irgendwas und sah zu mir herunter. "Verzeiht das, Mylady." Dann machte er ein knappes Zeichen nach hinten und führte mich dann Lord Sanners hinterher.

  Das Innere der Festung hatte nichts mit dem sympathischen, hellen Eindruck der äußeren Fassaden gemein. Die Hallen waren dunkel und stickig, die Teppiche auf dem Boden dreckig und die Wandbehänge staubig und mit Spinnennetzen umwoben.
Nach der Empfangshalle, oder dem was von dieser noch zu erkennen war, ging es durch einen schmalen unscheinbaren Gang, der in einem kleineren Raum endete.
Hier standen einige marode Tische und Bänke, scheinbar war es der Speisesaal.
Dort saßen in vereinzelten kleinen Gruppen Männer aus verschiedenen Altersklassen, aber auch ein paar Jungen. An einem der Tische etwas abseits saßen ein paar Frauen.
"Darf ich vorstellen", posaunte Lord Sanners durch den Raum, sodass alle aufsahen. "Unser verehrter Besuch, Lord Rajan Thymeris von Meereshorn und seine Verlobte, die bezaubernde Lady Aree Braiden." Er lachte laut nach seiner spöttischen Bekanntmachung, von den Tischen der Männer kam eine kurze Antwort.
Ich weiß nicht, ob ich mich je unwohler gefühlt hatte, als in diesem Moment. Selbst das erste Aufeinandertreffen mit Lord Thymeris war nicht so schlimm, wie das hier. In einem kurzen Augenblick fiel mir auf, dass ich mich fest an den Arm des Lords geklammert hatte, jedoch lag es in dem Moment nicht in meinem Interesse mich von ihm zulösen.
Ihm fiel es wohl ebenfalls auf, denn als Sanners ihn aufforderte mich an den Tisch der 'Weiber' zu bringen, lehnte er ab und sagte ich würde zum Essen bei ihm bleiben.
Er musterte erst Lord Thymeris und dann mich aus seinen kleinen Rattenaugen, dann lenkte er mit einem knappen "Meinetwegen" ein und führte uns zu seinem Tisch.

Das Essen verlief sehr schweigsam. Ich aß nicht viel, das Fleisch wagte ich nicht anzurühren, aus Angst es sei vor dem Braten bereits vergammelt gewesen, was mich bei dem Gesamteindruck nicht verwundert hätte. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass auch auf Lord Thymeris' Teller viel liegen blieb.
Von dem Wein trank ich nichts und auch er nippte nur ein paar Mal daran. Lord Sanners hingegen trank seinen Kelch jedes Mal wenn er ihn an die Lippen setzte in einem Zug aus und ließ sich sofort nachschenken.
Nachdem fünften Mal wurde er plötzlich redselig. Ich hörte dem Unsinn den er erzählte gar nicht zu, sondern betrachtete viel mehr den Raum. Er besaß keine Fenster, nur einen Kamin in dem ein mickriges Feuer brannte. Wie die Empfangshalle zuvor war er dunkel und stickig und alles war staubig und ungepflegt. An einigen Stellen war der Steinboden gesplittert, so als wäre dort etwas schweres auf die Platten gedonnert. Dies war definitiv kein Ort an dem ich leben wollte.
"Erstaunlich, dass Ragnar sein kleines Töchterlein doch noch rausgerückt hat", nuschelte Sanners nach einer kurzen Pause und stierte an Lord Thymeris vorbei auf mich. "Vor fünf Jahren hat er sich stur geweigert sie mir als Weib zu geben."  




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