Kapitel 34: Disqualifiziert

5K 436 7
                                    

Ich sah noch einmal zu meinen Gardisten zurück, die brav vor dem Zelt Stellung bezogen hatten, dann hob ich die Plane an und trat ein – und wäre am liebsten direkt wieder rückwärts herausgelaufen. Doch Rajan hatte mich bemerkt und den Blick gehoben.
Er stand entspannt an einen Tisch gelehnt, nur in einer Hose und mit nacktem Oberkörper.
Es war natürlich nicht das erste Mal, dass ich einen Mann ohne Oberteil sah, aber der Anblick war so ungewohnt, dass mir irgendwie sofort das Blut in die Wangen schoss.
Vor ihm stand ein großer, älterer Mann in dunkler Robe, der grade dabei war eine Salbe auf seinen linken Brustkorb aufzutragen. Die Stelle über seinen Rippen, an der Jeremin Dravíls Lanze ihn erwischt hatte, hatte eine fiese rot-violette Färbung angenommen und das war vermutlich erst der Anfang.
„Du verpasst das Finale", meinte er schlicht, lächelte mich aber warm an.
Ich versuchte die nackte Haut so gut es ging zu ignorieren, verschränkte die Finger vor dem Bauch und lächelte zurück. „Ich verspürte das Verlangen, nach meinem Ritter zu sehen."
Wie beabsichtigt verwandelte sich sein Lächeln in ein Grinsen und er lachte leise, woraufhin er jedoch sofort zusammen zuckte und einen tadelnden Blick vom Medicus erhielt.
„Dein Ritter ist zur Zeit eher ein erbärmlicher Anblick."
„Ist er nicht." Ich machte ein paar Schritte vom Eingang weg, auf ihn zu. „Er hat sich tapfer im Turnier geschlagen." Mit schräg gelegtem Kopf betrachtete ich ihn. „Und hätte selber im Finale stehen können."

Sein Grinsen verschwand, doch sein Blick blieb offen und freundlich. „Hat Rick sich noch irgendwo den Schädel eingeschlagen?"
„Ich befürchtete es kurzzeitig." Schmunzelnd strich ich mir eine entwischte Strähne hinters Ohr. „Und er hat auch sehr getobt. Aber er begnügte sich schlussendlich damit, sich schmollend auf seinen Stuhl zurückzuziehen."
Rajan nickte wissend. „Er wird mir nachher den Kopf abreißen."
„Das glaube ich nicht."
„Aber er ist sauer."
„Das...kann ich wohl nicht bestreiten."
Er grinste wieder und wollte noch etwas sagen, da platzte hinter mir ein junger Bursche ins Zelt und prallte fast gegen mich.
„Äh...verzeiht", entschuldigte er sich schnell und wandte sich dann eilig an den Medicus. „Meister Aureus, Ihr werdet dringend gebraucht!"
Der ältere Mann drehte sich nun das erste Mal um. Sein Gesicht war schmal und hager, tiefe Furchen durchzogen seine Haut, durch zu viel Stirnrunzeln und zu viele bittere Züge um den Mund. Auf seiner Brust prangte eine Brosche in Form eines Caladrius. Der Hofarzt also.
„Ich komme." Er griff noch einmal nach etwas, das neben Rajan auf dem Tisch lag und lief dann strammen Schrittes zum Eingang. Neben mir blieb er plötzlich stehen und drückte mir harsch etwas in die Hand.
Verwundert blickte ich auf den Verbandsstoff.
„Verbindet ihn. Die Salbe zieht nur langsam ein und in seinen Kleidern bringt sie ihm nichts. Und Ihr", er deutete mit spitzem Finger auf Rajan,„Ihr schont Euch." Damit hob er die Zeltplane und huschte nach draußen, dem Jungen hinterher.

Kaum waren seine raschelnden Kleider verschwunden, wurde es seltsam ruhig. Ich blickte auf den Verband in meinen Händen und dann zu Rajan. Er hatte den Kopf schief gelegt, die Arme verschränkt und musterte mich schmunzelnd.
„Kannst du das?"
„Was?"
Er nickte zu meiner Hand. „Verbinden?"
Leicht empört umfasste ich den Stoffwickel fester und ging entschlossen auf ihn zu. „Du etwa nicht?"
Als ich vor ihm stand begutachtete ich seine Seite noch einmal genauer. Wie ich vermutet hatte, verblieb die Stelle nicht bei dem rot-violett, sondern nahm bereits einen blau-schwärzlichen Ton an.
„Ist etwas gebrochen?", fragte ich mit gerunzelter Stirn. Zaghaft legte ich eine Hand auf seinen linken Arm, den er mit dem anderen verschränkt hatte. Gehorsam nahm er ihn runter, sodass ich besser heran kam.
„Nein. Nur geprellt."
Mein Blick ruhte aber nicht auf seiner Wunde, sondern folgte seinem rechten Arm, den er nun senkte. Wieso war mir das bisher nicht aufgefallen? Natürlich, wegen den Hemden und Mäntel die er immer trug. Der Arm war von der Schulter bis zum Handgelenk überzogen mit zart-braunen ... Malereien? Nein, sie schienen nicht wie aufgemalt, eher wie in der Haut.
Ich hatte von Tätowierungen gehört, aber nur in Geschichten von verwilderten Stämmen oder Verschworenen des Westkontinents. Warum also hatte Rajan...?
„Wie du weißt, gibt es im Süden die einzige Überland-Verbindung zwischen dem Ost- und dem Westkontinent", murmelte er leise und schreckte mich damit aus meinen Grübeleien. Ich sah auf und begegnete seinen dunklen Augen, aus denen er mich mit einem amüsierten Glitzern musterte. „Im Gebiet dieses 'Schwanenhalses' leben einige Stämme, die zwar rechtlich gesehen nicht zum Ostkontinent gehören, doch der Lord von Meereshorn hält es seit jeher so, Pakte mit diesen Stämmen zu schließen. So kann der Feind nicht einfach in unser Land einmarschieren."

„Und was hat das hiermit zu tun?", fragte ich und hob einen Finger um vorsichtig eine der fremdartigen Linien nachzuzeichnen. Mit ein wenig Genugtuung beobachtete ich, wie er unter meiner sanften Berührung erschauderte.
„Diese Stämme handhaben die Paktschließung nicht wie wir, mit Verträgen und Bedingungen. Man wird ihr Freund in dem man quasi ein Teil des Stammes wird. Und das geschieht mit Ritualen. Daraufhin bekommt man diese Tätowierungen."
„Was für Rituale?", hakte ich nach, während ich eine Zeichnung nachfuhr, die ich als Blume oder zumindest Pflanze zu erkennen glaubte.
Sein leises Schnauben lenkte meinen Blick wieder auf ihn. Er hatte den Kopf leicht schief gelegt und schmunzelte. „Ich glaube nicht, dass du das wirklich so genau wissen möchtest."
„Hm?" Verwundert huschten meine Augen über sein amüsiertes Gesicht, bis mir schlagartig klar wurde, auf was er anspielte. Ich spürte wie mir die Hitze ins Gesicht stieg und nahm eilig die Hand von seinem Arm.
Begleitet von seinem leisen Lachen, machte ich einen Schritt zurück und da mir glücklicherweise das Verbandszeug in meiner anderen Hand wieder einfiel, beschäftigte ich mich ganz schnell damit, den Anfang zu finden und den Stoff abzuwickeln.
„Nimmst du die Arme etwas hoch?", murmelte ich und legte die Spitze des Bandes an seine Rippen.
„Huh." Er zuckte leicht zusammen. „Deine Finger sind eisig."
„Warum ist dir das eben noch nicht aufgefallen?" Ich bedeutete ihm den Stoff festzuhalten, während ich um ihn herumlangte. Dabei kam ich seiner nackten Brust ziemlich nahe, ich spürte deutlich die Wärme die er ausstrahlte.
„Naja", antwortete er leise, seine Stimme war ganz nah an meinem Ohr.„Die Arme sind nicht so empfindlich, wie der Oberkörper."
Wenn das überhaupt möglich war, stieg mir jetzt noch mehr die Röte ins Gesicht. Ich verband ihn schweigend und spürte die ganze Zeit seinen Blick auf mir, sowie seinen Atem auf meiner Wange.

Mit ein paar letzten Handgriffen machte ich schließlich einen Knoten in den Verband und strich ihn noch einmal vorsichtig glatt, bevor ich einen Schritt rückwärts machen wollte, doch plötzlich waren seine Hände an meiner Taille und zogen mich wieder zu sich.
Leicht erschrocken sah ich auf und begegnete weichem Braun. Ganz sanft griff er nach der Strähne, die offensichtlich schon wieder entwischt war und strich sie hinter mein Ohr.
„Dein Tuch, ich gebe es dir später wieder", flüsterte er, schien sich aber gar nicht wirklich auf seine Worte zu konzentrieren. Anstatt die Hand zu senken, fuhr er mit einen Fingerspitzen vom Ohr meinen Kiefer hinab, bis zu meinem Kinn. Ein kleines bisschen zögerlich legte er die Hand an meine Wange und tippte mit dem Daumen ganz leicht auf meine Unterlippe, so zaghaft, dass ich es kaum bemerkte.
„Es war ein Geschenk", hauchte ich. „Vielleicht kann es dir noch wann anders Glück bringen. Auch wenn es heute nicht so gut funktioniert hat."
Er hielt inne und musterte mein Gesicht mit gerunzelter Stirn. „Es hat funktioniert. Es war meine eigene Entscheidung, die mich hat ausscheiden lassen."
„Und warum?" Ich legte den Kopf schief und umfasste sein Handgelenk. „Warum hast du dich so entschieden?"
Sein Blick veränderte sich schlagartig, er wurde nicht direkt finster, doch es schien, als würde etwas in ihm vorgehen, das ich noch nicht ganz deuten konnte. Er holte Luft und öffnete den Mund, brach aber ab und sah über meine Schulter.
Hinter mir raschelte die Zeltplane, als jemand herein kam. Oder eher herein polterte.

„Was sollte das, Rajan?!", donnerte der König, welcher nun zu seiner vollen, durchaus beachtlichen Größe aufgebaut im Zelteingang stand. Mit der aufrechten Haltung, den geballten Fäusten und den blitzenden Augen strahlte er eine Autorität aus, die den ganzen Raum füllte und bald zu sprengen schien. Sein haarloser Kopf, auf dem die goldene Krone prangte war vor Zorn rot angelaufen und er wirkte wirklich, als würde er jeden Moment auf seinen Vetter losgehen.
Dieser jedoch war deutlich weniger beeindruckt, als ich. Er seufzte leise, richtete sich vom Tisch auf und griff nach seinem Hemd, um es sich über zu streifen.
„Ich dachte ich müsste dir das nicht erklären", murmelte er ruhig, während er sich den weiten Ausschnitt etwas zuband und die Ärmel hochkrempelte.
„Kasgarths Sohn hat gewonnen!", fauchte Odrick weiter und deutete aufgebracht zum Zeltausgang. „Der kleine Dravíl hatte keinerlei Chance gegen ihn! Ich hätte mein Geld lieber ins Meer geworfen, als es der Schlange in den Arsch zu schieben!"
Jetzt erst widmete Rajan ihm seine volle Aufmerksamkeit und verschränkte eisern die Arme vor der Brust. „Der 'kleine Dravíl' hat mich nicht unbeachtlich erwischt. Was bringt dich zu der Annahme, dass meine Chancen gegen Kasgarth besser gestanden hätten?"
„Weil du besser bist!", zischte der König. „Du bist erfahrener, bedachter und vor allem nicht so überheblich! Wenn du nur gegen den Jungen nicht gezögert hättest!"
Sein Vetter antwortete nicht, doch ich sah wie seine Kiefermuskulatur angespannt war.
„Rajan", setzte Odrick erneut mit fester Stimme an, jedoch mit einem weicheren Unterton als zuvor. „Lass doch endlich die Vergangenheit hinter dir. Das bringt dir deinen Bruder auch nicht zurück."

Stern des Nordensजहाँ कहानियाँ रहती हैं। अभी खोजें