Kapitel 20: "Ich werde dich vermissen"

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Niemand kam mir nach und ich war froh darüber. Roya schaute völlig schockiert, als ich mit Tränen überströmtem Gesicht ins Zimmer platzte, gab es aber schnell auf den Grund zu finden, nachdem sie nur unverständliches Gebrabbel aus mir heraus bekam.
Janus war in seiner Zeit in Schneewacht wie ein Bruder für mich geworden. Er hatte er ein sehr sanftes und liebes Wesen und kam besser mit mir und Arden aus, als mit meinen älteren Brüdern. Lord Bogard hatte ihn an meinen Vater gegeben, damit er ihn das Kämpfen lehrte und zum Mann erzog. Tatsächlich hatte sich Janus' Fähigkeiten mit der Waffe verbessert, aber ein Krieger wie Arlisar oder Lord Thymeris würde er niemals werden. Ihn an dem Abend so zu sehen, so kalt, so aggressiv, hatte mir ernsthaft weh getan. Warum hatte er so reagiert? Seit wann gab es diese Seite an ihm?
Das beschäftigte mich so sehr, dass ich mal wieder kaum Schlaf fand. Roya blieb bei mir, reichte mir Tücher und streichelte mir die Hand, wenn ich mal wieder in krampfhaftes Schluchzen ausbrach und darüber war ich ihr sehr dankbar, auch wenn ich eine Umarmung viel mehr gebraucht hätte.
~
Als ich am nächsten Morgen vor dem Spiegel saß und Roya mir die Haare frisierte klopfte es an der Tür. Im Spiegel sah sie mich fragend an.
„Es wird Lord Thymeris sein. Sagt ihm, ich bin nicht angekleidet."

Sie nickte und verschwand aus meiner Sicht. Ich hörte wie sie die Tür einen kleinen Spalt weit öffnete und dann leise sprach. Die männliche Stimme, die ihr antwortete, erkannte ich als die des Lords, jedoch verstand ich nicht was er sagte.

„Der Lord bittet Euch zu einem gemeinsamen Frühstück, Mylady", rief Roya vom anderen Teil des Zimmers.

Ein leises Seufzen entwich mir. Mir war klar, dass er eigentlich nur über den gestrigen Abend reden wollte. „Ich werde kommen, sobald ich fertig bin."
~

„Lady Aree." Der Lord kam lächelnd auf mich zu, als ich von Joffrey hereingelassen worden war. Ich gab ihm zwar meine Hand, aber zog meine Augenbrauen hoch. Er war etwas blass und sah müde aus, fast so als hätte er kaum geschlafen. Dabei muss ich gerade reden. Ich dürfte auch nicht viel besser aussehen.

Nach kurzem Zögern hob ich die Hand und legte sie ihm an die Wange. „Habt Ihr nicht gut geschlafen?"

Er schaute kurz verwundert, dann lächelte er ergeben. „Mich haben die Gedanken geplagt. Aber lasst uns erst etwas Essen, ich möchte Euch nicht mit leerem Magen schwierigen Themen aussetzen." Sanft legte er seine Hand über meine, zog sie von seinem Gesicht und führte mich daran zu meinem Stuhl.

Das Essen verlief mal wieder sehr schweigsam. Ich hatte kaum Hunger und aß deshalb nur wenig.
Kaum hatte ich meinen nur karg bestückten Teller geleert, spürte ich seinen Blick auf mir und sah hoch.

Er lächelte und begann sofort zu sprechen. „Mylady, ich weiß es ist für Euch ein unangenehmes Thema, aber ich halte es nicht für schlau, es einfach zu übergehen und so zu tun, als hätte dieser Abend nie stattgefunden. Janus, er... er erschien mir wie ein aufbrausender, unbedachter Junge, aber Ihr scheint anders über ihn zu denken?"

Ich musterte sein aufmerksames Gesicht und nickte langsam. „Er ist eigentlich nicht so. Beziehungsweise, war nicht so, als ich ihn das letzte Mal sah. Er war ruhig und sanftmütig, eigentlich gar nicht so naiv."

Der Lord nickte und begann, wie so oft, an seinem Becher zu drehen. „Ihm scheint viel an Euch zu liegen. Vielleicht etwas zu viel..."

Um seinem intensiven Blick auszuweichen heftete ich meinen stattdessen auf die Tischplatte vor mir. Ich war nicht blöd, ich hatte schon damals ein paar Annäherungsversuche von Janus bemerkt. Aber mir war bewusst, dass wir niemals eine Chance gehabt hätten und ich empfand für ihn eher wie für einen Bruder.

„Erwidert Ihr seine Gefühle?"

Mein Blick huschte wieder zu ihm, er betrachtete mich immer noch so durchdringend und hatte nun den Kopf schief gelegt. Lange Zeit schwieg ich und versuchte irgendwie seine Gedanken zu lesen. Was gäbe ich dafür nur ein einziges Mal in seinen Kopf schauen zu können.

„Nein", antwortete ich schließlich und fügte noch etwas leiser hinzu, „Das tat ich nie."
Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, wurde aber von einem Klopfen unterbrochen. Sofort hüpfte Joffrey herbei und zog die Tür einen Spalt breit auf, so wie Roya es zuvor in meinem Zimmer getan hatte. Ich hörte ihn leise mit jemandem reden, verstand aber mal wieder nichts.

„Mylady, Janus Bogard von Fjordhaven bittet Euch um ein Gespräch."
Leise zischend sog ich die Luft ein. Ich war davon ausgegangen, dass Janus und seine Begleiter bereits in den frühen Morgenstunden aufgebrochen waren. Zumindest gehofft hatte ich es.
Mein Blick wirrte von Joffrey zu Lord Thymeris. Dieser sah mich kurz mit einer hochgezogenen Augenbraue an, seufzte dann und nickte ergeben. „Gebt mir Bescheid, wenn Ihr bereit seid weiter zu ziehen."
„Natürlich." Ich sprang auf und lief zur Tür. Auch wenn ich dem Gespräch mit gemischten Gefühlen entgegen sah, war ich neugierig darauf, was Janus zu sagen hatte.
~
Schweigend saß ich auf der niedrigen Mauer, die das Gasthaus umgab und starrte auf das Gras zu meinen Füßen. Ab und zu spürte ich Janus Blick auf mir, weigerte mich aber das zu beachten.
Irgendwann schien auch er das zu bemerken und räusperte sich erst leise, da ich ihn aber immer noch ignorierte nochmal etwas lauter. Als ich schließlich aufsah lächelte er erleichtert, aber noch vorsichtig.

„Ich wollte mit dir reden", sagte er leise.

„Wirklich?"

Unter meinem skeptischen Ton errötete er leicht und kratzte sich am Kopf. „Na gut, das war eine blöde Bemerkung."

Jetzt musste ich lächeln, was ihn wohl etwas mehr ermutigte. „Es tut mir leid, wie ich mich gestern Abend verhalten habe. Ich weiß, dass das dumm und kindisch war." Er griff nach meiner Hand und diesmal ließ ich es zu. „Ich hatte den Tag gefürchtet an dem ich dich an der Seite eines anderen Mannes sehen muss. Und als mir gestern bewusst wurde, dass es soweit war, dass er dich mitnehmen und ich dich vielleicht nie mehr wieder sehen würde, da bin ich einfach... durchgedreht."
„Janus." Mitleidig sah ich ihn an. „Natürlich wirst du mich wiedersehen. Sooft es mir möglich ist, werde ich nach Schneewacht kommen. Und garantiert sehen wir uns dort auch irgendwann."

„Ja, ich weiß." Betroffen starrte er auf unsere ineinander verschränkten Finger. Er erinnerte mich an einen kleinen Welpen, den man während eines Regengusses draußen stehen lassen hatte.

Aufmunternd stieß ich ihn mit der Schulter an. „Komm schon, du hast es das letzte dreiviertel Jahr ohne mich ausgehalten und auch ohne mir ein einziges Mal zu schreiben. Ich weiß genau, dass du es jetzt auch ohne mich schaffst."

Jetzt richtete er seinen Hundeblick auf mich. „Hey, hör auf mir das vorzuwerfen! Du weißt, dass ich nie gut im Texte verfassen war."
„Das ist mir doch egal, ich hätte nur gerne was von dir gehört."

Seine Augen schienen noch ein Stück größer und trauriger zu werden. „Es tut mir leid."
Ich streichelte sanft über seine Wange und lächelte. „Schon gut."

„Nein", beharrte er.
„Doch."
„Nein."
„Doch."
„Nein."

„Janus!"

„Aree."
Jetzt war ich es, die ihn schmollend ansah. „Du sollst dir wirklich keine Vorwürfe machen. Schon bei deinem Abschied, als du mir versprochen hast zu schreiben, wusste ich, dass ich nie einen Brief von dir zu Gesicht bekommen würde."
„Was?" In seinem rundlichen Gesicht erschien ein geschockter Ausdruck. „So wenig Vertrauen hast du in mich?"

„Was? Nein, so meinte ich das doch nicht! Ich wollte sagen..." Verzweifelt rang ich nach Worten, wurde aber von Janus abgelenkt, der in schallendes Gelächter ausbrach. Kurz starrte ich ihn noch fassungslos an, dann musste auch ich lachen. Es war mal wieder typisch für uns vom eigentlichen Thema ab zu kommen und über völlig belangloses Zeug zu diskutieren.

Einige Minuten saßen wir einfach da und lachten ausgelassen, was uns seltsame Blicke von Lord Thymeris' Wachen einbrachte, die ganz unauffällig in unserer Nähe standen, worum wir uns aber nicht wirklich scherten.

Am Ende hatte er seine Arme leicht um mich gelegt, während ich meinen Kopf auf seine Schulter gestützt hatte.

„Ich werde dich vermissen", murmelte ich während ich blinzelnd der immer höher steigenden Sonne entgegen sah.

„Ich dich auch", flüsterte er und strich sanft über meinen Rücken. „Aber weißt du was?"

„Hm?"
„Wir sehen uns in Goldstern. Und dann versohle ich ihm den Arsch, diesem Lord Thymeris!"
Wieder brachen wir in fröhliches Gelächter aus.

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