Kapitel 19: Janus

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Extra für uns räumte der Wirt einen Tisch von Betrunkenen frei, die zwar murrten, sich aber nach Lord Thymeris' Angebot für ein von ihm bezahlten Bier aus eigenen Stücken an den Tresen verkrümelten.
Zu uns gesellten sich noch Tristan und Joren, sowie zwei Begleiter von Janus, die ich aber nicht kannte.
So saßen wir zu siebt an einem Tisch, mitten im lauten Schankraum und schwiegen uns an. Ich hatte Lord Thymeris zu meiner Rechten, Janus auf der linken Seite und spürte von beiden ab und zu die Blicke auf mir, während ich aber nur nervös auf meine ineinander verschränkten Hände starrte.
Irgendwann seufzte ich, zwang meine Hände sich von einander zu lösen und legte sie flach auf den Tisch. „Also, Janus, ihr seid auf dem Weg nach Goldstern?"
Das Gesicht des Jungen hellte sich sofort auf, als ich ihn ansprach und das Grinsen kehrte zurück. „Natürlich! Ich nehme am Turnier des Königs teil!"
Schockiert starrte ich ihn an, mein Mund klappte fast auf. „Du?"
„Ja, warum denn nicht ich?" Er zog einen Schmollmund.
„Naja, du... du... ich wusste nicht, dass du..." In den Jahren, die er in Schneewacht verbracht hatte, hatte ich ihm manches Mal beim Trainieren mit meinen Brüdern zu gesehen. Er war nie besonders gut und gegen Arjon, geschweige denn Arlisar hatte er nicht die geringste Chance. Ich glaubte kaum, dass sich das in dem dreiviertel Jahr geändert hatte.
„Ich bin sechszehn, ich darf teilnehmen", schmollte er weiter.
„Schon, nur... ich wusste nicht, dass du so scharf darauf bist, dich in Ritterspielchen zu beweisen."
Damit verletzte ich ihn scheinbar noch mehr. „Aree, das sind keine Spielchen. Für einen Mann ist es eine große Ehre daran teilzunehmen." Sein Blick hellte sich auf und er grinste wieder. „Aber du hattest ja noch nie Ahnung von so etwas."
Jetzt war es an mir, zu schmollen. „Muss ich als Frau ja wohl auch nicht", nuschelte ich.
Janus lachte und griff meine Hand. „Aree, du scheinst es nicht zu glauben, aber ich könnte dich vor allen Gefahren beschützen."
Ich schluckte, sofort wurde mir wieder unwohl. Vorsichtig und langsam zog ich meine Hand unter seiner weg. Als er es bemerkte ließ er sofort los und blickte niedergeschlagen auf die Tischplatte.
Er tat mir leid, ich hatte ihn wirklich gern, aber was sollte ich schon machen? Mein Verlobter saß mit am Tisch und beobachtete uns genaustens.
„Sagt, Lord Thymeris, nehmt Ihr ebenfalls am Turnier teil?" Janus Augen blitzten fast schon angriffslustig, während er den Lord auffordernd musterte.
Dieser nahm seinen Blick von dem Bierkrug vor sich, den er schon die ganze Zeit hin und her drehte und sah den Rotschopf unbeeindruckt an. „Ja, das werde ich wohl."
Janus nickte. „Vielleicht haben wir die große Ehre, gegeneinander anzutreten."
Ich betete jetzt schon inständig, dass dem nicht so wäre.
Lord Thymeris neigte nur kaum merklich den Kopf. „Vielleicht." Dann nahm er meine Hand, als sei es das selbstverständlichste der Welt. Und bei ihm zog ich sie nicht weg.
Ich spürte, wie Janus sich neben mir verkrampfte und damit war das Gespräch auch wieder beendet.
Die Hand des Lords war warm, aber nicht schwitzig. Trotz der stickigen, warmen Luft im Raum fröstelte ich schon die ganze Zeit und bestimmt waren meine Finger auch eisig. Nach einer Weile begann er mit seinem Daumen kleine Kreise auf meinem Handrücken zu ziehen.
Augenblicklich musste ich mich an vorhin erinnern. Wie er meine Wange zärtlich gestreichelt hatte, seine sanfte Stimme... Ich spürte wie mir bei dem Gedanken das Blut in die Wangen schoss. Unwillkürlich sah ich zu ihm auf und begegnete seinem Blick. Er musterte mich aufmerksam und ein leichtes Grinsen schlich sich in sein Gesicht. Konnte dieser Mann eigentlich Gedanken lesen?
„Wie geht es deinem Vater?"
Mein Kopf fuhr herum. Diese Frage klang ganz normal, aber Janus' Blick war hart.
„Ganz gut, denke ich", murmelte ich vorsichtig. „Es ist jetzt schon eine Weile her, dass ich ihn sah..." Janus nickte steif. „Aber an seinen Prinzipien hält er nicht mehr fest, wie es scheint."
„Was?" Ich musterte ihn verwirrt. „Wie meinst du das?"
Er hob den Kopf, sein eisiger Blick war auf den Lord gerichtet. „Er hat immer davon geredet, dass du glücklich sein sollst. Wieso gibt er dich dann an ihn?"
Geschockt starrte ich ihn an, bemerkte gar nicht, dass mein Mund vermutlich offen stand. Doch er redete weiter.
„Bei ihm wirst du niemals glücklich. Allein schon die Entfernung. Du solltest im Norden bleiben, Aree, da wo du hingehörst. Doch bist doch unser Stern..." Seinen Blick hatte er jetzt fast schon flehend auf mich gerichtet.
„Janus, ich..."
„Mit Verlaub, Janus, ich denke nicht, dass Ihr-", setzte Lord Thymeris an, wurde aber wütend unterbrochen.
„Für Euch immer noch Lord Janus, ich bin der ältesten Sohn meines Vaters!", fauchte er, seine Augen schienen Gift zu sprühen. Wieso musste dass hier so eskalieren?
„Ihr habt kein Anrecht auf den Titel als Lord. Ihr seid der Sohn eines einfachen Lords, nicht der eines Hohen Lords. Nur Euer Vater trägt diesen Titel, als Lehnsmann der Familie Braiden. Ich kann Euch nur mit Eurem Namen ansprechen oder Eurem Familiennamen, wie auch immer Ihr es wünscht, aber keines Wegs mit einem Titel."
Janus ballte zornig seine Hände zu Fäusten. Ich saß einfach nur da, käsebleich, krallte mich in die Hand meines Verlobten und sah zwischen den beiden hin und her.
„Ja, spielt Euch nur auf", höhnte der junge Mann, der einst mein Freund war, mir jetzt aber so seltsam fremd schien. „Ihr als Angehöriger des Hochadels. Hab gehört Ihr seid sogar der Vetter des Königs. Da seid Ihr natürlich was besseres, nicht wahr?"
„Janus, bitte..."
„Ich halte mich keineswegs für etwas besseres. Als Hoher Lord stehen einem vielleicht einige Annehmlichkeit zur Verfügung, aber am meisten bedeutet dieser Titel doch Pflicht."
„Ja, natürlich Ihr habt es schwer!"
„Janus..." Wieder versuchte ich dazwischen zu kommen, doch ich sprach zu leise und er ignorierte mich einfach. Es tat mir weh, ihn so zu hören. War er doch eigentlich immer so sanft und liebenswürdig gewesen.
„Jede Menge Geld, jede Menge Ansehen, das ist wahrlich eine unerträgliche Last!", spottete er weiter. „Und jetzt müsst Ihr auch noch Aree heiraten, bei allen Göttern, Euer Leben ist wirklich nicht zu beneiden!"
„Ihr sprecht so, als wäre sie Euch wichtig, dennoch schert Ihr Euch kein Stück darum, wie es Ihr geht", sprach jetzt wieder der Lord. Ich wusste, dass er mich anblickte, doch ich sah nicht auf, denn Tränen sammelten sich in meinen Augen.
Jetzt sprang Janus auf, kochend vor Wut. Einer seiner Begleiter legte ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter, doch er schlug sie weg.
„Tut nicht so, als würdet ausgerechnet Ihr wissen wie es ihr geht! Ihr kennt sie nicht, nicht ansatzweise! Ihr schnippst einmal mit den Fingern, alles wird in die Wege geleitet und sie muss mit Euch kommen! Ich war zwei Jahre lang bei ihr, ich kenne sie, ich weiß wie es ihr geht!"

Ich erinnerte mich an einen Tag vor etwa zwei Jahren. Cathleen und ich saßen auf einer Mauer und beobachteten zwei streitende Hähne. 'So sind Männer.', hatte sie gesagt. 'Wollen immer, dass alles ihrem Ego gerecht wird und wenn das nicht funktioniert, streiten sie sich.' Dann hatte sie schwärmerisch in den Himmel geschaut und angefangen zu grinsen. 'Aber stell dir mal vor, sie streiten sich um dich. Weil sie beide unsterblich in dich verliebt sind und dich für sich wollen. Sie streiten um deine Liebe. Wäre das nicht toll?' Damals hatte ich gelacht und ihr zugestimmt.

Nein Cathy, dachte ich bitter, nein, das ist nicht toll. Das ist grausam.
Inzwischen hatten viele der Menschen im Raum ihre Gespräche eingestellt und beobachteten die Szene die sich ihnen hier bot.
„Ich behaupte nicht, sie zu kennen", antwortete Lord Thymeris erstaunlich ruhig, aber mit tiefer Stimme. Sein Hand lag immer noch eisern über meiner. „Aber ich lerne sie kennen. Jeden Tag ein Stückchen mehr. Ich erwarte nicht von ihr, dass sie mich liebt, denn Liebe braucht Zeit. Aber ich hoffe, dass sie mit mir auskommt."
„Niemals wird sie dich lieben!", brüllte Janus. „Vielleicht kannst du ihr Geld und Ansehen bieten, aber niemals das, was sie wirklich braucht! Jemanden, der sie liebt, der ihr Geborgenheit gibt!"
„Und ich nehme an, du könntest das?" Die Stimme des Lords klang scharf.
„Ja. Ja, ich könnte das. Und ich tue es! Wann immer sie mich braucht!" Einen Moment stand er still da, nur sein keuchender Atem war zuhören. „Wisst Ihr was? Ich fordere Euch heraus!"
„Nein", wimmerte ich, aber immer noch wurde ich ignoriert.
„Wir klären das hier und jetzt! Wenn Ihr mich schlagt, lasse ich Euch ziehen, aber wenn ich siege, bringe ich sie wieder nach Hause, wo sie hingehört."
Jetzt ließ der Lord meine Hand los und erhob sich ebenfalls. „Ich warne Euch, passt auf, was Ihr sagt. Eine Herausforderung sollte nicht leichtfertig ausgesprochen werden."
Janus lachte laut auf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich weiß was ich tue. Habt Ihr etwa Angst, Mylord?"
„Ich habe keine Angst gegen einen kleinen Jungen anzutreten. Ihr wisst nur nicht, was Ihr da tut."
Sofort verging Janus das Lachen und er blitzte ihn zornig an. „Ich bin kein Junge mehr! Ich habe mein Leben lang das Kämpfen gelernt! Und jetzt bin ich dankbar dafür, denn ich kann Aree schützen! Sie sollte glücklich sein, und Ihr macht sie nicht glücklich! Ich bringe sie nach Hause, wo sie-"
„JANUS, ES REICHT!"
Jetzt herrschte endgültig Totenstille im Raum. Alle starrten mich an. Ich war aufgesprungen und hatte so fest auf den Tisch geschlagen, dass meine Hand schmerzhaft pochte. Mit Tränen überströmtem Gesicht starrte ich Janus an, der meinen Blick erschrocken erwiderte.
„Sei doch nicht so naiv", flüsterte ich heiser. „Du hättest keine Chance gegen ihn. Janus, ich kann nicht zurück. Ich will nicht zurück." Sein Blick wurde traurig, während ich weiter sprach. „Wie Lord Thymeris es bereits sagte, wir haben Pflichten. Meine Pflicht ist es, gehorsam zu sein und ihn zu heiraten, um das Bündnis zwischen unseren Lordschaften zu stärken. Es ist mir nicht leicht gefallen Schneewacht zu verlassen und mein altes Leben aufzugeben, aber es musste sein." Vorsichtig nahm ich seine Hand und streichelte sie sanft. „Es bedeutet mir sehr viel, dass du dich so um mich sorgst, aber glaub mir, es ist alles in Ordnung. Er ist gut zu mir und ich werde mit ihm gehen. Bitte, fordere ihn nicht zum Duell. Es würde nichts ändern."
Damit ließ ich ihn los, drehte mich um und lief wortlos aus dem Raum.

Stern des NordensWhere stories live. Discover now