Kapitel 43: Der Basilisk

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„Ah, Lady Aree! Kommt herein, ich habe Euch erwartet!"
König Odrick stand hinter einem schweren Schreibtisch aus Eichenholz und schob hektisch einige Pergamente beiseite, bevor er sich räusperte und mit ineinander verschränkten Fingern auf seinem Sessel Platz nahm.
Die Wache schloss hinter mir die Tür und nahm die hallenden Geräusche vom Flur mit sich, sodass sich eine seltsame Stille über den Raum senkte.
„Bitte, setzt Euch."
Ich machte ein paar zögerliche Schritte zum Schreibtisch und setzte mich an den äußersten Rand des Stuhls. Es war mir nicht ganz geheuer, hier zu sein. Ich hatte schon schlimmstes befürchtet, als ein Bote kam und mir mitteilte, dass der König mich zu sich beorderte. Wollte er mir eine Strafpredigt darüber halten, dass ich mit meinem Verschwinden gestern die halbe Stadtwache in Aufruhr versetzt hatte? Das hatte mir mein Bruder schon vorgehalten.
Er räusperte sich erneut und strich einen halbfertigen Brief vor sich glatt. „Also, als erstes einmal: Mein tiefstes Beileid. Es ist eine Schande, dass es immer wieder Kinder gibt, denen es offenbar vergönnt bleibt, aufzuwachsen und das Leben kennen zu lernen."
Ich unterdrückte ein leises Seufzen. Ich hatte gehofft, dass es nicht über Arleys Tod mit mir sprechen wollte. Mir entging aber auch nicht, dass er selber finster auf die Tischplatte starrte und mir kam wieder der tragische Verlust seiner Frau und seinen Kindes in den Sinn.
„Ich verfasse grade ein Anschreiben, an Eure Eltern," sprach er schnell weiter. „Sie sollen wissen, dass die Krone ihren Verlust ebenso betrauert."

„Vielen Dank, Euer Majestät. Ich bin mir sicher, das wissen sie sehr zu schätzen."
Dieses Schreiben bringt meinen Bruder auch nicht wieder zurück, dachte ich bitter, doch mir war bewusst, dass es nur ein gut gemeintes Zeichen war.
„Ich wollte aber eigentlich über etwas anderes mit Euch sprechen."
Innerlich zog sich alles in mir zusammen, äußerlich aber blieb ich völlig ruhig und sah ihm aufmerksam ins Gesicht.
Er tippte nachdenklich mit den Fingerspitzen aneinander und schien sich seine Worte genau zurecht legen zu wollen, bevor er sprach.
„Es geht um Lady Carla."

Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. Carla?
„Ich weiß, ich weiß, nach den ganzen Geschehnissen gestern, wollt Ihr vermutlich nichts mehr davon hören, aber leider ist es wohl nicht zu vermeiden." Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte nachdenklich aus dem Fenster. „Einige Zeit nach dem Prozess kam Rajan zu mir. Er erzählte mir einige beunruhigende Dinge, über den Aufenthalt in Birkenhain und gewisse Bemerkungen von Willard Sanners. Er... ließ eine vage Bemerkung dazu fallen, dass Ihr noch anderes über ihn wisst, von seiner Tochter, etwas, dass sie Euch an jenem Abend, der gestern so .. diskutiert wurde, anvertraute."
Ich fand nicht, dass 'anvertraute' das richtige Wort war. Aber ich wusste natürlich wovon er sprach.
„Und wenn ich mich recht entsinne, erwähntet Ihr etwas... von Dingen... die niemandem widerfahren sollten." Er legte den Kopf schief und musterte mich mit leicht zusammengekniffenen Augen. „Erzählt mir bitte davon."
„Nun." Ich knetete nervös meine Finger und starrte unschlüssig auf meinen Schoss. Gestern war ich froh, dass er nicht näher nachgehakt hatte und war eigentlich davon ausgegangen, dass die Bemerkung im weiteren Prozessverlauf untergegangen war. „Eigentlich habe ich nicht das Recht, einfach so darüber zu reden. Carla... hatte gar nicht vor das zu sagen. Es ist ihr mehr im Zorn herausgerutscht."

Er betrachtete genaustens mein Gesicht, dann seufzte er leicht und beugte sich vor. Seine Stimme war leise und dringlich. „Lady Aree. Ich finde es wirklich bemerkenswert, dass ihr Sanners Tochter schützen wollt und das, obwohl Ihr wegen ihr des Hochverrats angeklagt und vor Gericht gezogen wurdet. Dennoch, hier geht es um so viel mehr. Wir haben erste, wirklich greifbare Hinweise auf die Grundzüge der Rebellionsbewegung."
„Es hat absolut nichts mit der Rebellion zu tun", warf ich ein und schämte mich so gleich dafür, ihn unterbrochen zu haben.
„Nein, das vielleicht nicht, aber es besteht die Möglichkeit, dass uns das, was Ihr hier aufdecken könntet, einen Grund für die Verurteilung von Willard Sanners liefern könnte. Versteht Ihr das? Wenn wir einen Hinweis mit Beweisen oder Zeugen hätten, hätten wir die Chance noch tiefer zu bohren. Und nachdem, was Rajan erzählte, könnte das in Birkenhain durchaus lohnenswert sein. Versteht Ihr?", fragte er noch einmal und der Blick seiner dunkelbraunen Augen bohrte sich intensiv in meinen. „Deshalb bitte ich Euch, seht über Eure guten Vorsätze hinweg und helft diesem armen Mädchen. Helft diesem Königreich! Denn wenn wir wirklich endlich ein handfestes Indiz über die Rebellion haben, dann geht es hier um sehr viel mehr, als um das Leiden einer jungen Frau. Also bitte, fasst Euch ein Herz und redet mit mir."

Stern des NordensWhere stories live. Discover now