Kapitel 30: Das Turnier - I

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Der Platz war recht sandig, aber mit festem Untergrund. In der Mitte war von der linken bis zur rechten Seite eine lange hölzerne, mit Tüchern geschmückte Abtrennung aufgebaut, die als Schranke für den später folgenden Tjost fungierte. Weiter hinten standen mehrere Schießstände aus Stroh, während direkt vor der königlichen Tribüne ein galgenähnliches Gestell aufgebaut war, von dessen Querbalken ein Ring baumelte.
Ich lauschte der Gruppe von Musikern, die sich in einer Ecke der Kampffläche platziert hatten und philosophierte grade, wie nun der Ablauf von statten gehen könnte, als Therisa anfing zu erklären.
„Die Eröffnungsspiele bestehen aus Bogenschießen, Schwertkämpfen und Ringstechen. Meistens sind es Ritter die in den Vorrunden ausgeschieden sind, aber auch einige der Turnierteilnehmer präsentieren hier schon einmal ihr Können, da ihnen damit auch häufig die Gunst des Publikums zufällt. Im Hauptteil des Turniers, dem Tjost, nehmen nur die Gewinner der Vorrunden und die Hohen Lords oder die von ihnen gestellten Ritter teil. Zwei Reiter treten solange gegeneinander an, bis einer aus dem Sattel gestoßen wird, was meistens recht schnell passiert. Der Gefallene hat noch die Chance, seinen Widersacher zu einem Zweikampf mit dem Schwert heraus zufordern, aber das ist nicht so oft der Fall, da das Publikum meistens schon auf der Seite des Gewinners steht. Sollte man im Schwertkampf dann noch einmal verlieren, ist das Ansehen ganz dahin. Man punktet eher, wenn man sich als fairer Verlierer zeigt."
König Odrick nickte nur die ganze Zeit zustimmend. Therisa hatte wohl wirklich Ahnung.
„Die Vorrunden..?", fragte ich vorsichtig.
„Grundsätzlich ist es jedem Mann des Landes, der adeligen Geblüts ist und sich Pferd und Rüstung leisten kann, gestattet, sich bei einem Turnier, welches vom König veranstaltet wird, einzuschreiben. Solch ein Turnier dauert allerdings niemals nur einen Tag. Das dieses aber für den Geburtstag unseres Königs ist", sie schielte kurz zu Odrick, der leicht das Gesicht verzog, „wurden die Vorrunden nicht zum eigentlichen Spektakel gezählt."
„Das heißt, dass alle Männer, die sich eingeschrieben hatten, in den letzten Tagen gekämpft haben und die besten nun heute auch gegen die Ritter des Hochadels antreten dürfen", schlussfolgerte ich, woraufhin Therisa bejahte und Odrick wieder nur zustimmend nickte. Ich dachte prompt an Janus. Sollte er es durch die Vorrunden geschafft haben und nun heute antreten? Irgendwie konnte ich es mir nicht vorstellen.
Da erklang eine Fanfare und ein dünner Mann in bunter Kleidung und einem lustig befedertem Hut trat in die Mitte.
„Ah, es geht los!", rief Odrick aus und scheuchte uns hektisch auf unsere Plätze. Er selbst saß auf einem großen goldverzierten Thron, während ich mich links von ihm auf einen bequemen, sehr weich gepolsterten Sessel niederließ. Für Therisa wurde währenddessen ein eben solcher Stuhl gebracht, sodass ich nun zwischen den beiden saß.
Der Redner erklärte das Turnier für eröffnet und kündigte die Eröffnungsspiele an.
„Nimmt Rajan auch an den Spielen teil?", fragte ich an Odrick gewandt, der gebannt nach rechts starrte.
„Er wäre dumm, wenn er es nicht täte", antwortete er lachend. „Achtet auf das Ringstechen, da wird er antreten."
„Das Ringstechen ist das angesehenste der Vorspiele", zischte mir Therisa von links zu. Ich hatte fast den Eindruck, es machte ihr Spaß, mich zu belehren. Aber das war nur gut für mich. „Nur die geübten Ritter versuchen sich an den Ringen. Man muss fest im Sattel sitzen und sehr sicher mit der Lanze umgehen können."
Ich wollte grade noch eine Frage stellen, als plötzlich ein Pferd vorbei donnerte und ich erschrocken zusammen fuhr.
„Ha! Nicht getroffen!", johlte der König von rechts, während ich mich noch von meinem Schock erholte. Gut, darauf sollte ich von jetzt an wohl vorbereitet sein.
Ich schielte vorsichtig nach links, wo der Ritter grade sein Pferd wendete und es wieder zum Galopp antrieb, um sich noch einmal an dem Ring zu versuchen.
„Drei Mal können sie versuchen zu treffen", erklärte Therisa weiter. „Wer alle drei trifft, wird bei den Wetten natürlich hoch gehandelt, denn mit den Voraussetzungen und solch einer Treffsicherheit hat man im Hauptteil gute Chancen."
„Wenn Rajan auch nur einen verfehlt, versohl ich ihm den Hintern!", meinte der König und schlug demonstrativ vor sich in die Luft. „Der Junge saß schon auf einem Pferd, bevor er überhaupt Laufen konnte, da sollte es ein Klacks sein, so einen blöden Ring da zu treffen!"
„Hat er es denn die letzten Jahre geschafft?", fragte ich und erhielt zur Antwort nur vielsagende Blicke von beiden Seiten. Gut, warum fragte ich eigentlich.
Ich hatte meine Aufmerksamkeit grade vom Ringstechen vor der Tribüne auf das Bogenschießen im Hintergrund abgewendet, als Odrick mir plötzlich aufgeregt auf den Arm schlug. Meine Güte, er war ja beinahe schlimmer als die aufgedrehten Jungen vorhin.
„Da! Rajan kommt!"
Ich folgte mit dem Blick seinem Finger nach rechts und erkannte sofort das dunkle Pferd, obwohl es an Kopf und Körper mit einem Rossharnisch gerüstet war. Der Reiter klappte gerade sein Visier zu, sodass ich die Augenpartie nicht erkennen konnte, was wohl auch aufgrund der Entfernung schwierig geworden wäre, doch ich meinte ihn an der Statur erkennen zu können. Er trug eine edle silberne Rüstung und von seinen Schultern, über den Rücken seines Pferdes reichend, hing ein dunkelroter Umhang.
Er sah nach vorne, fixierte vermutlich schon den Ring, während ihm der Schildknappe, der neben dem großen Schlachtross stand, die Lanze reichte.
Sein Pferd lief ein paar Schritte an, beschleunigte dann auf einen Trabgang und fiel schließlich in den Galopp, während Rajan sich im Sattel vor lehnte und die Lanze mit abgewinkeltem Arm nach vorne streckte.
Es überraschte mich ein wenig, als ich spürte wie mir ein aufgeregtes Kribbeln durch die Brust fuhr. Ich hatte nie viel von diesen Spielen gehalten. Bei dem Turnier zu Ehren meines Vaters vor neun Jahren, hatte ich mich nur gelangweilt. Gut, ich war damals noch ein Kind, aber seitdem hatte sich meine Meinung zu dem Thema nicht sonderlich verändert.
Mit einer bewundernswerten Leichtigkeit durchstach er den Ring mit der Lanze und riss ihn so vom Galgen los. Leichter Applaus ging durch die Menge, während Rajan sein Pferd zügelte und am Ende der Bahn wenden ließ.
Ich wusste wie viel diese Rüstungen wogen und ich konnte mir in etwa vorstellen, wie schwierig es war, diese lange Holzlanze auszubalancieren und dann auch noch im vollen Galopp. Es bedarf vermutlich einer Menge Geschicklichkeit und Training, bis man diese Disziplin beherrschte.
Ich sah zu, wie er sein Reittier wieder antrieb, um wieder auf die andere Seite zu kommen – dachte ich zumindest. Direkt vor der Tribüne zügelte er das Tier erneut und blieb stehen. Verwundert beobachtete ich, wie er die Lanze ausstreckte und an unsere Balustrade hielt.
Therisas Ellenbogen traf mich unsanft am Arm. „Holt den Ring!", zischte sie mir zu.
Ich sah verdutzt von Therisa zu der Turnierwaffe, an deren Spitze der braune Ring baumelte. Eilig stand ich auf lief zur Brüstung und beugte mich vor. Rajan hatte den Kopf zu mir gedreht, doch durch das silberne Visier konnte ich seinen Blick nicht ausmachen. Nachdem ich den Ring vorsichtig von der Spitze gezogen hatte, nickte er mir noch einmal zu, bevor er sein Pferd antrieb. Als ich den Blick hob, bemerkte ich, dass viele Zuschauer das Ganze beobachtet hatten. Schnell wandte ich mich um und setzte mich mit hochrotem Kopf wieder auf meinen Platz. Warum hatten mich jetzt alle so angestarrt?
„Mylady?" Erschrocken fuhr ich zusammen als plötzlich eine Stimme an meinem Ohr erklang, doch als ich Royas freundliches Gesicht erkannte, entspannte ich mich sofort. Ich sah, dass hinter Therisa ebenso eine Zofe stand. Anscheinend waren sie uns gefolgt und hatten sich still und heimlich dort platziert. „Soll ich es Euch abnehmen?"
Sie deutete auf meinen Schoß, mein Blick folgte ihrem Finger und ich sah auf den großen Ring, denn ich mit beiden Händen umklammert hatte.
„Oh. Ja, gern." Schließlich wollte ich ihn nicht den ganzen Tag festhalten, wer weiß, ob noch zwei dazu kamen. Roya nahm ihn mir ab und verschwand schweigend hinter meinem Rücken.
„Möchten die Damen etwas trinken?", kam da schon der nächste Diener herbei und drückte uns jeweils einen Kelch in die Hand. Die rote Flüssigkeit erkannte ich sofort und verzog wenig begeistert das Gesicht. Einfach nur Wasser wäre mir lieber gewesen. Aber was soll's, ich wollte ja nicht verdursten und da meine Kehle tatsächlich schon etwas trocken war, setzte ich den Kelch an die Lippen. Ich hatte nur ein kleines bisschen an dem Wein genippt, aber verschluckte mich sofort, als Rajans großes Pferd unerwartet vorbei donnerte. Ich begann zu husten, versuchte es aber so gut wie möglich zurück zuhalten, damit die Situation nicht noch peinlicher wurde, doch Roya eilte gleich zu Hilfe und schlug mir beherzt auf den Rücken, während Therisa und Odrick mich nur auslachten. Na toll.

Stern des NordensWhere stories live. Discover now