Kapitel 64: Zum Tode

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Er saß auf dem Stuhl, mit hängenden Schultern, und starrte vor sich in die Leere. Seine sonst glatten Haare hingen ihm zerzaust und strohig ins Gesicht.
Der Anblick machte mich wütend. Sie durften ihn nicht so behandeln, er hatte nichts Unrechtes getan.
Doch der Ausdruck in seinen Augen, als sich unsere Blicke beim Betreten des Raumes kurz trafen, war standhaft und auch wenn er unserem Vater nie so ähnlich gesehen hatte wie Arlisar, erinnerte er mich nun an ihn.
Arjon war stark.

Ich wandte den Blick von meinem Bruder und sah die Stufen hinauf.
Sein Bart war nicht mehr so frisch gestutzt, wie an dem Tag meiner Hochzeit, aber auch nicht wieder so verwildert wie davor die Tage. Er saß in edlen Gewändern und mit seiner glänzenden Krone auf dem Haupt auf seinem Thron und schaute aus trüben Augen auf uns hinab. Als ich ihn zuletzt dort sitzen sah, war ich des Hochverrats angeklagt worden. Dort war Odrick noch voller Kraft und Stolz.
Jetzt war er ausgezehrt und schwach.
So wie es die Rebellen wollten.

Eine sanfte Berührung am Arm riss mich aus den Gedanken.
„Bist du dir sicher, dass du bereit dazu bist?"
Rajan stellte sich neben mich und betrachtete mich mit zweifelndem Blick.
„Ja, bin ich. Ich muss."
Mein Blick wanderte zum Lord Schatzmeister, der mit unberührter Miene links neben dem Thronpodest stand und den in sich zusammengesackten Arjon auf dem Stuhl in der Mitte des Ganges beobachtete. Noch wog er sich in Sicherheit, doch das würde ich bald ändern.

„Deine Wunde ist immer noch gefährlich, Aree. Bitte überlege dir das gut." Er nahm meine Hand und strich mit dem Daumen sanft über meinen Handrücken.

„Rajan..." Ich umfasste seine Finger und zog ihn ein kleines Stückchen weiter zwischen die Säulen, die den Saal säumten. „Als ich bei Roya war, kam der Lord Schatzmeister, um sie zum Verhör abzuführen."
„Ja. Und?"
„Roya weiß mehr über die Rebellen, als irgendwer sonst, aber sie gehört selber nicht zu ihnen. Sie plante das alles, weil sie wusste, welche Gefahr drohte. Du erinnerst dich, was ich dir über den Lord Schatzmeister erzählt habe? Ich befürchte, dass er irgendwie ahnte, was Roya wusste und sie nun unauffällig aus dem Weg räumen wollte."

Sein Blick irrte einmal kurz in Richtung des Schatzmeisters, dann sah er wieder zu mir und runzelte die Stirn.
„Im Endeffekt hast du mir gar nichts erzählt, Aree. Was ich weiß sind nur irgendwelche wirren Bruchstücke einer Geschichte, welche sich mir nicht ganz erschließen will. Ich hatte gehofft, du würdest sie mir eröffnen, bevor dieser Prozess hier einberufen wird."
„Prozess?" Bei diesem Wort blieb mir fast du Spucke weg. „Ich dachte, wir sollen lediglich aussagen."

Rajan lächelte, doch es war kein warmes Lächeln, wie üblich. Es war hart und bitter und ließ seine Augen unberührt.

„Mag sein, dass ihr aussagt, aber wenn ihr es nicht schafft, Odrick zu überzeugen, dann hängt mindestens Arjon morgen am Galgen."
„Was?!"
„Odrick ist nicht mehr für Spielereien zu haben. Er macht ernst."

„Lady Thymeris", dröhnte die tiefe Stimme des Königs vom Thron, während ich Rajan noch schockiert anstarrte. Nur langsam schaffte ich es meinen Blick von seinen verfinsterten Augen abzuwenden und stattdessen zu Odrick aufzusehen. Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen und trommelte mit den Fingern leicht auf seiner Armlehne. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr das Verhör einer Schwerverdächtigen behindert habt."

Ich schluckte schwer und versuchte verzweifelt meine Gedanken zu sortieren.
„Ja. Das ist wahr."
„Wisst Ihr nicht, in welch ernster Lage wir uns befinden?"
„Doch das weiß ich."
„Und warum habt Ihr es dann getan?"
Man merkte deutlich, wie kurz angebunden seine Geduld war.

„Um zu verhindern, dass sie in falsche Hände gerät."

„Falsche Hände?" Er lachte einmal laut auf. „Ich versichere Euch, dass die Verhöre der Gefangenen nur von meinen engsten Vertrauten vollzogen werden."
„Ja, aber Ihr vertraut den falschen Menschen."

Stern des NordensTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang